Fans vor Bundesliga-Restart:Wandern statt Fußball um 15.30 Uhr

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Die Fans fehlen in den Bundesliga-Stadien am Wochenende. (Foto: Roland Weihrauch/dpa)

Was machen organisierte Fans während der Geisterspiele? Wenig deutet auf die Gefahr hin, dass sie sich vor den Stadien versammeln - viel dagegen darauf, dass sie nicht den Fernseher einschalten.

Von Sebastian Fischer, München

Die Liebe zu ihrem Verein ist bei Monika Sänger nicht zu übersehen. Ihr Arbeitsplatz im Home-Office ist mit Fan-Devotionalien dekoriert, von denen sie versichert, sie nicht extra für das Videotelefonat arrangiert zu haben. Hinter ihr hängt unter anderem ein Wimpel aus der Europa League an der Wand. Als der 1. FC Köln 2017 erstmals seit 25 Jahren wieder im Europapokal spielte, war sie in London, Borissow und Belgrad dabei. Das FC-Wappen trägt sie als Tattoo auf der Schulter.

Sänger, 44, sagt über sich, dass sie eine "Allesfahrerin" ist, ein unter Fans mit Anerkennung verwendeter Titel. Er bezeichnet Anhänger, die jedes Spiel ihres Vereins im Stadion anschauen, überall. Dass sie eines verpasse, sei die "absolute Ausnahme". Es kam zwar zuletzt vor nicht langer Zeit mal vor: als Köln im Februar 3:0 gegen Schalke 04 gewann. Aber da hatte sie die Entschuldigung, fast zeitgleich eine Begegnung der zweiten englischen Liga zwischen Sheffield Wednesday und Derby County im Hillsborough-Stadion zu besuchen, das auf ihrer Liste noch fehlte. Sänger ist nämlich auch Groundhopperin - also ein Fan, der Besuche in verschiedenen Stadien sammelt wie andere seltene Münzen. Wenn sie zu einem Auswärtsspiel fährt, nimmt sie schon mal einen Umweg. Als sie vergangene Saison den FC beim Hamburger SV sah, schaute sie sich tags zuvor das Stadtderby in Kopenhagen an.

Monika Sänger, 44, geht seit 30 Jahren ins Stadion. Ihr erstes FC-Heimspiel war ein 1:0 gegen den FC St. Pauli. Torschütze: Falko Götz. (Foto: Privat/OH)

Im Leben von Monika Sänger spielt der Fußball eine sehr große Rolle. Und deshalb könnte man nun natürlich auf die Idee kommen, dass sie sich freut, wenn nach mehr als zwei Monaten Pause an diesem Wochenende wieder Fußball im Fernsehen läuft, weil die Bundesliga als erste Liga Europas nach Ausbruch der Corona-Pandemie mit Geisterspielen wiederbeginnt. Die ersten beiden Spieltage gibt es im Free-TV, Sänger hat sogar ein Sky-Abo - noch, wie sie sagt. Sie habe es vor vielen Jahren abgeschlossen, als der Sender noch Premiere hieß und mit dem passablen Argument warb, auch Filme ohne Werbung zu zeigen.

Der Fußball-Hunger ist wohl nicht mehrheitsfähig

Doch am Sonntag um 15.30 Uhr, wenn ihr FC den FSV Mainz 05 empfängt, wird Sänger nicht im Wohnzimmer zuschauen, wie sie es sonst manchmal macht, wenn sie krank ist und nicht ins Stadion gehen kann. Sie wird mit einer Freundin ins Ahrtal fahren, um Etappe fünf des Ahrsteigs zu wandern, 17,2 Kilometer von Kreuzberg bis Walporzheim. "Das ist landschaftlich schön, das ist anspruchsvoll, da bin ich gut abgelenkt", sagt sie. Und es ist eine Form des Protests: "Ich möchte nicht das unterstützen, was ich kritisiere", sagt sie. "Irgendwie muss man ja mal darauf aufmerksam machen, dass das so nicht geht."

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Wenn zuletzt von Fußballfans die Rede war, dann ging es oft wahlweise um solche, denen mit Geisterspielen wohl ein großer Gefallen getan werde - oder um die, von denen bei Geisterspielen Gefahr ausgehen könnte. Polizei-Gewerkschaftler Jörg Radek hat diese Woche im Kicker quasi beide Auffassungen noch einmal zusammengefasst, als er sagte, die gelockerten Corona-Beschränkungen könnten "unter ausgehungerten Fußballfans zu einer unbedarften Leichtigkeit führen".

Radek meinte, dass sich Fans vor leeren Stadien treffen könnten, was nicht nur virologisch bedenklich wäre, sondern auch zum Spielabbruch führen würde. Allerdings schickte er gleich die Einschränkung hinterher, "dass sowohl Fanvereinigungen wie auch die DFL bereits verdeutlicht haben, wie wertvoll es ist, dem Stadion fernzubleiben". DFL-Geschäftsführer Christian Seifert hatte gesagt, es gebe keine Rückschlüsse auf Fanansammlungen. Und auch der Fußballhunger ist eher nicht mehrheitsfähig: Im jüngsten ZDF-Politbarometer fanden es nur 32 Prozent der Befragten gut, dass nun weitergespielt wird.

Sänger sagt, sie halte die Sorge wegen Fanversammlungen für "totalen Schwachsinn". Ein Argument für die Sorge sind die Szenen feiernder Menschen vor dem Stadion, als Borussia Mönchengladbach im März vor der Saisonunterbrechung das bislang einzige Bundesliga-Geisterspiel im Derby gegen Köln gewann. Doch der März wirkt in diesen Tagen weit weg. Und ein Argument gegen die Sorge ist für Sänger eindeutig ausschlaggebend: Die Ultras, die organisierten Stehplatzfans und Meinungsführer in den Kurven, haben sich in der Krise bislang vor allem mit sozialem Engagement hervorgetan. Vielerorts organisierten sie Einkaufshilfen für Bedürftige, schrieben unterstützende Botschaften für Pflegekräfte auf Transparente. In Köln bedankte sich gar Kardinal Woelki für den Einsatz der Ultras. Sänger fragt: "Warum sollten die jetzt konträr handeln?"

Mit einer gemeinsamen Stellungnahme des Bündnisses "Fanszenen Deutschland" haben viele Ultras schon früh in der Krise deutlich gemacht, dass sie von einer Fortsetzung der Saison mit Geisterspielen gar nichts halten. Vielleicht am deutlichsten wurden in dieser Woche die Ultras aus Düsseldorf: Mit der Wiederaufnahme sei die Saison für sie beendet, sie habe "unter den momentanen Umständen keinen Wert", schrieben sie auf ihrer Webseite und fügten hinzu, dass es "leider notwendig" sei, darauf hinzuweisen, dass sie weder öffentlich noch intern Treffen veranstalten würden. "Sicherlich wäre es ein leichtes, den Protest vor oder in das Stadion zu bringen", heißt es. "Doch als Ultras tragen wir nicht nur Verantwortung, sondern auch gesamtgesellschaftliche Solidarität mit."

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Am Wochenende, so ist zu hören, wird es vielerorts Protestbanner außerhalb der Stadien geben, an manchen Standorten wohl auch drinnen. Viele Fans ärgert es besonders, dass den Geisterspielen "ein Anstrich des fußballerischen Normalzustands" verliehen werden soll, so formulieren es die Ultras in Düsseldorf. Etwa mit Pappkameraden, wie sie in Mönchengladbach mit Fotos von Fans auf den Tribünen aufgestellt werden. Der 1. FC Köln rief Dauerkarteninhaber dazu auf, mit Fan-Utensilien zu einer Art Choreografie beizutragen.

"Wo kommen wir denn da hin?", fragt Monika Sänger, wenn man sie darauf anspricht. Sie hat dem Verein keinen ihrer Glücksbringer geschickt, obwohl sie genügend anzubieten hätte. Sänger ist kein Ultra, auswärts steht sie im Block, bei Heimspielen hat sie eine Sitzplatz-Dauerkarte. Sie vertritt den FC in der gemäßigten Fan-Interessengemeinschaft "Unsere Kurve". Die zeigt - anders als die Ultras - zähneknirschend Verständnis für Geisterspiele als Mittel im Existenzkampf, sie kritisiert aber - wie die Ultras - die Abhängigkeit der Klubs vom TV-Geld und fehlende Nachhaltigkeit in der Branche und fordert Veränderungen.

Das sieht auch Sänger so. Das Geisterspiel des FC in Mönchengladbach schaute sie noch mit Freunden in einem Brauhaus am Dom, aber es kamen keine Emotionen auf. Sie mag es ja schon unter gewöhnlichen Bedingungen nicht, Fußball im Fernsehen zu schauen. Ihr fehle dann die Gemeinschaft, das Erlebnis. Und sie würde immer um die Ecke gucken wollen, so beschreibt sie das: Wohin fliegt der Pass? Steht da überhaupt jemand?

Ja, sagt sie, in ihrem Bekanntenkreis gebe es "tatsächlich Menschen, die sagen: 'Wunderbar! Endlich wieder Fußball!'" Manche würden die Spiele wohl im Radio hören, da erzeuge der Kommentator ein bisschen Emotionen. Es überwiege aber die Ablehnung. Andere Fans aus der Gemeinschaft "Unsere Kurve" haben vor, den Spieltag ähnlich zu verbringen wie sie. Schalke-Fan Ulrich Vogelpoth zum Beispiel will während des Revierderbys gegen Dortmund den Wohnwagen auf Vordermann bringen, spazieren gehen und mit der Familie, "alle blau-weiß", später grillen. "Soll ja schönes Wetter geben", sagt er. Vielleicht werde er irgendwann mal auf die Ergebnisse in der Kicker-App schauen.

Monika Sänger hat noch nicht entschieden, ob sie beim Wandern den Ticker liest oder sogar abends die "Sportschau" guckt. Aber sie will auf jeden Fall zur Anstoßzeit ein Selfie machen und es posten. Es soll ein Foto werden von einem Fußballfan, weit weg vom Fußball.

© SZ vom 15.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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