Süddeutsche Zeitung

Transfermarkt:Trocken wie eine endlose Sandwüste

Mehrere Klubs zahlen auf dem Transfermarkt einen heftigen Preis für das Missverhältnis von Anspruch und Wirklichkeit - das war noch nie so schlimm wie in den Zeiten der Pandemie.

Kommentar von Philipp Selldorf

Hertha BSC bangt um den Klassenverbleib, allerdings nicht nur um den eigenen. Auch Werder Bremens Abstiegsängste bewegen die Berliner. Das liegt aber nicht daran, dass sie den SV Werder so sympathisch finden, es geht ums Geschäft. Bleiben die Bremer in der ersten Bundesliga, hat Hertha Anspruch auf zehn Millionen Euro Ablöse für den Angreifer Davie Selke, der seit anderthalb Jahren als Leihgabe für Grün und Weiß tätig ist.

Für diese Mietvereinbarung hat Werder bereits zwei Millionen Euro bezahlt, für die endgültige Übernahme werden besagte zehn Millionen fällig. So hatten es beide Parteien damals ausgemacht - einen Monat, bevor ein gewisses Virus das Fußballbusiness erschütterte und der Preis-Inflation ein Ende setzte. Was außer Werder Bremen auch andere Traditionshäuser nun gewaltig in Schwierigkeiten bringt.

Davie Selke, 26, ist jederzeit imstande, in demonstrativer Leidenschaft einem Ball hinterher zu rutschen, den er dann doch nicht erreicht, und ebenso ausdrücklich geht er keinem Zweikampf aus dem Weg, den er sowieso nicht gewinnen wird. Das Problem ist nicht sein Aufwand, sondern sein Ertrag. Laut Berufsbezeichnung ist Selke Mittelstürmer, aber laut Datenbanken hat er in 32 Punktspieleinsätzen für den SV Werder drei Tore geschossen.

Die Transferbörse bietet keine Abhilfe mehr

Die sportlichen Fakten lassen den SV Werder in seinem Dilemma noch bedauernswerter aussehen: Schafft er den Klassenverbleib, muss er die zehn Millionen bezahlen, die dann anderswo dringend vermisst werden. Steigt er ab, bleibt dem Verein zwar der sündige Deal erspart, doch dann fehlen die in der ersten Liga obligatorischen Überlebenshilfen, allein beim Fernsehgeld wären das rund 30 Millionen Euro.

Wie die Kollegen in Köln oder Gelsenkirchen zahlen die Bremer den Preis für das Missverhältnis von Anspruch und Wirklichkeit - ein Preis, der in der Krise stark gestiegen ist. Der sportliche Erfolg ist ausgeblieben, die Kassen sind leer, aber die Spielerkader sind immer noch auf teurem Vorkrisen-Niveau, und die Transferbörse bietet keine Abhilfe mehr. Nicht nur für torlose Mittelstürmer, sondern auch für Profis mit Perspektive. Wie lange versucht Werder schon, mit Angreifer Milot Rashica Rendite zu machen? Inzwischen sinkt sein Preis von Spiel zu Spiel. Wie viel erlöst er noch, wenn Werder absteigen sollte?

"Relativ trocken" sei es auf dem Transfermarkt, hat Peter Knäbel neulich lakonisch angemerkt. Offenbar hatte er das Bild einer endlosen Sandwüste vor dem geistigen Auge. Schalkes Sportvorstand steht vor der Aufgabe, Profis wie Suat Serdar, Amine Harit oder Salif Sané zu veräußern, die an Renommee und Wert verloren haben, aber mit millionenschweren Verträgen aus Zeiten vor der Corona-Krise ausgestattet sind. Man werde diese Spieler "nicht verramschen", sagt Knäbel, aber was wird ihm übrigbleiben?

Die TSG Hoffenheim etwa wird nicht bereit sein, für die Übernahme von Sebastian Rudy eine Ablöse zu bezahlen und dann dessen Jahresgehalt von sechs Millionen Euro zu übernehmen. Auch Hertha BSC darf Werder im Fall Selke keinen Nachlass aus Wohlwollen zugestehen. Mitleid ist im Fußballgeschäft nicht zulässig.

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