Bundesliga:Tor oder Siebenmeter

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Kraftvoll zur Weltklasse: Jannik Kohlbacher (vorne) von den Rhein-Neckar Löwen im Duell mit Matthias Hild vom TuS Fürstenfeldbruck. (Foto: Günther Reger)

Jannik Kohlbacher, im Sommer aus Wetzlar zu den Rhein-Neckar Löwen gewechselt, ist in der Weltklasse angekommen - und will sich vor der WM für einen Stammplatz im Nationalteam empfehlen.

Von Michael Wilkening, Mannheim

Manchmal werden im Sport Regeln aufgestellt, bei denen es gar nicht darum geht, dass sie zu 100 Prozent richtig sind. Es handelt sich vielmehr um Faustformeln, um Phänomene, Sportler und ihr Wirken zu beschreiben. Eine dieser Regeln lautet "Tor oder Siebenmeter". Sie kommt bei Jannik Kohlbacher zur Anwendung. Die für den Kreisläufer der Rhein-Neckar Löwen erstellte Regel soll die Chancenlosigkeit der Gegenspieler verdeutlichen, sobald Kohlbacher den Ball in den Händen hält. Entweder wirft er den Ball mit beeindruckender Ruhe ins Tor - oder er wird dabei derart behindert, dass die Schiedsrichter auf Siebenmeter entscheiden müssen. Kurzum: Wenn Kohlbacher den Ball hat, haben die Abwehrspieler verloren.

Natürlich werden die Leistungen von Kohlbacher so ein wenig überhöht, denn in der Realität gilt die Regel lediglich zu 85,71 Prozent. Von 70 Würfen, die er in der laufenden Bundesligasaison abgegeben hat, landeten 60 im Tor. Die Faustformel umschreibt das Wirken des Nationalspielers dennoch gut. Denn in der Bundesliga gibt es unter den erfolgreichsten 100 Torschützen keinen, der einen besseren Wert aufweist. Außerdem wurde Kohlbacher bei seinen Fehlversuchen vermutlich derart behindert, dass die Schiedsrichter eigentlich hätten auf Siebenmeter entscheiden müssen.

Es ist unabhängig von Wurfquoten und Faustformeln beeindruckend, wie sich Kohlbacher seit seinem Wechsel im Sommer vom beschaulichen Mittelfeldklub HSG Wetzlar hin zum Topverein Rhein-Neckar Löwen behauptet hat. Kohlbacher, 23, ist wegen seiner urwüchsigen Kraft und dem tiefen Körperschwerpunkt schwer zu verteidigen. Er brilliert darüber hinaus mit Explosivität und Beweglichkeit, die man ihm auf den ersten Blick nicht zutraut. Schon lange wurde ihm von Experten bescheinigt, das Zeug zur Weltklasse zu haben. Dabei wurde möglicherweise übersehen, dass der Kreisläufer schon in der Weltklasse angekommen ist.

Am Montag treffen die Löwen im Topspiel auf Flensburg

"Jannik zeigt überragende Leistungen", sagt Nikolaj Jacobsen, der als Trainer der Rhein-Neckar Löwen von der "Kohlbacher-Regel" profitiert und darauf baut, dass sie auch an diesem Montag zum Tragen kommt. Im Bundesliga-Topspiel beim Meister SG Flensburg-Handewitt (18.30 Uhr) braucht der Pokalsieger einen Erfolg, um den Kontakt zum Tabellenführer nicht zu verlieren. Drei Minuspunkte haben die Löwen, die Flensburger sind bislang gänzlich ohne Verlustpunkt durch die Saison gekommen. "Wenn wir verlieren, ist Flensburg erst mal weg", sagt Löwen-Spielmacher Andy Schmid, der im Zusammenspiel mit Kohlbacher versuchen wird, das zu verhindern.

Mit einem starken Auftritt im Duell der besten Teams der zurückliegenden Jahre könnte Kohlbacher also die Position der Löwen im Titelrennen verbessern - und gleichzeitig Werbung in eigener Sache machen. Im Januar bei der Weltmeisterschaft im eigenen Land möchte er bei Bundestrainer Christian Prokop eine tragende Rolle einnehmen. "Ich habe die WM 2007 noch als kleiner Bub verfolgt und war begeistert von der Stimmung", sagt Kohlbacher. Diesmal soll die nächste Generation der kleinen Buben ihm zujubeln. Und weil sich der Kreisläufer im vergangenen Jahr entscheidend darin verbessert hat, den Gegner am Torewerfen zu hindern, stehen die Chancen dafür gut.

Er profitierte von einem Talente-Förderer in Wetzlar

Vor knapp drei Jahren gehörte Kohlbacher bereits zu der Mannschaft, die in Polen völlig überraschend Europameister wurde, ein halbes Jahr später war er aber nicht dabei, als die Deutschen bei den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro Bronze gewannen. Ihm wurde die eigene Defensivschwäche zum Verhängnis, der Kader war mit Allroundern bestückt worden. Mit Beharrlichkeit und der Fähigkeit, zuzuhören und zu adaptieren, steigerte Kohlbacher danach aber seine Leistungen in der Abwehr der HSG Wetzlar und profitierte vom Drang des dortigen Trainers Kai Wandschneider, talentierte Spieler besser machen zu wollen. "Ich habe unter ihm immer 60 Minuten lang hinten und vorne gespielt, das hat mir sehr geholfen", sagt Kohlbacher.

In Wetzlar durfte er Fehler machen und aus ihnen lernen, so dass sie ihm im Trikot der Löwen und der Nationalmannschaft inzwischen viel seltener unterlaufen. In seinem neuen Verein ist er längst auch im Angriff und in der Abwehr gefragt. Er arbeitet also fleißig daran, die "Kohlbacher-Regel" zu erweitern. "Tor oder Siebenmeter - und niemand kommt vorbei" soll sie lauten, möglichst schon beim Bundesliga-Topspiel in Flensburg. Und anschließend während der Weltmeisterschaft im Januar.

© SZ vom 18.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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