Süddeutsche Zeitung

Interview am Morgen:"Eine Stufe unter La Liga und der Serie A"

Der englische Journalist Archie Rhind-Tutt berichtet aus Deutschland über die Bundesliga. Er spricht über ihren geringen Stellenwert auf der Insel - aber auch darüber, was die Premier League von ihr lernen kann.

Interview von Tim Brack

Für viele deutsche Fußballfans ist dieser Freitagabend ein besonderer Tag: Die Bundesliga geht wieder los, zum Auftakt empfängt der Meister FC Bayern Hertha BSC. In Deutschland gehören die Spiele der ersten Liga bei vielen Menschen fest zum Alltag. Die Sportteile der Zeitungen und unzählige Portale berichten, die Fans saugen alle Informationen auf. Doch wie ist der Stellenwert der Liga in anderen Ländern? Der englische Journalist Archie Rhind-Tutt, 27, lebt seit 2015 in Deutschland und ist als Korrespondent für den US-Sender Fox Sports und die englische Zeitung Guardian für die Bundesliga zuständig. Er erklärt, wie die Engländer auf den Fußball in Deutschland blicken.

SZ: Herr Rhind-Tutt, als Bundesliga-Korrespondent müssen Sie so kurz vor dem Auftakt sehr beschäftigt sein.

Ich will jedenfalls nicht mehr vorhersagen, ob Bayern München Meister wird (lacht).

Dann eine andere Frage zum Einstieg: Gibt es überhaupt Interesse an der Bundesliga in England? In der englischen Premier League spielen schließlich die besseren Spieler.

Da herrscht eine Insel-Mentalität. Die allerwichtigste Liga der Welt ist die Premier League. Die Bundesliga spielt nicht wirklich eine Rolle. Dass Jürgen Klopp (Trainer des FC Liverpool, Anm. d. Red.) dort herkam, ist interessant, aber ansonsten ist die Bundesliga eine Nische.

Woran liegt das?

Das ist die englische Kultur, es gibt eine Menge Tradition und man muss zugeben: Die Premier League ist eine der stärksten Ligen der Welt. Die Engländer sind sehr von ihr besessen, aber das ist bei den Deutschen mit der Bundesliga ähnlich. Es ist auch nicht so, dass die NBA (US-Basketballliga) oder NFL (US-Footballliga) sehr groß in England sind.

Und wo steht die Bundesliga im Vergleich zu anderen internationalen Fußballligen?

Sie ist im Fernsehen auch eine Stufe unter La Liga und der Serie A. Italienischer Fußball ist besonders in den Neunzigern Kult geworden, als Paul Gascoigne dort war. Es gab eine sehr berühmte TV-Sendung, die Football Italia hieß. Das hat geholfen, den Mythos des italienischen Fußballs aufzubauen. Deutschland hatte das nicht.

Also gibt es keine Sendung für Bundesliga-Liebhaber?

Viele Live-Spiele werden auf dem Zahlsender BT Sport übertragen und es gibt Highlight-Shows, aber die müssen mit der Premier League konkurrieren. Heutzutage ist der Wettbewerb sehr groß, was europäischen Fußball angeht. Da ist es schwer, etwas aufzubauen. In der Bundesliga spielen auch fast keine großen Stars. Sie ist noch ziemlich klein in England, aber es gibt durchaus engagierte Fans, die Spiele schauen und sogar nach Deutschland fahren.

Sie selbst sind wegen des Fußballs nach Deutschland gekommen, leben heute in Köln. Was sind Unterschiede?

Ich bin seit meiner Kindheit Fan des FC Fulham. Aber die Stadionerfahrung in Craven Cottage (Fulhams Stadion, Anm. d. Red.) ist sehr unterschiedlich zu der in einem Bundesliga-Stadion.

Inwiefern?

Es ist viel leidenschaftlicher.

In Fulham?

Nein, um Gottes Willen. Ich möchte meinen Verein nicht kleinreden, aber beim 1. FC Köln ist die Stimmung und wie diese Stadt bei einem Heimspiel schwebt, schon etwas ganz anderes. Wenn ich mit dem Fahrrad zum Stadion fahre, sind das nur 15 Minuten, aber man bekommt so viel mit von dieser Begeisterung. FC-Fan bin ich deswegen nicht geworden. Ich halte es natürlich mit Fortuna Köln.

Was könnte für den Engländer faszinierend an der Bundesliga sein?

Diesen Kampf für die Seele des Fußballs finde ich interessant. In England ist diese Seele vor Jahren verloren gegangen. Dort hat das Fernsehen die ganze Macht, weil da das Geld herkommt. Es gilt: Fernsehen zuerst, dann die Fans. Dadurch ist Fußball in England mehr für den Fan auf der Couch als für den im Stadion. In Deutschland haben die Anhänger noch größeren Einfluss, das ist wichtig für die Kultur. Deswegen gibt es Dinge in Deutschland, die du in einem Premier-League-Stadion nicht machen kannst.

Was denn?

Es gehört quasi zum Grundgesetz, dass man hier Bier im Stadion trinken kann. In England kennt man das nicht.

Hat sich das Image der Bundesliga dadurch verändert, dass mit Jadon Sancho ein hochtalentierter englischer Nationalspieler hier kickt?

Sancho hat dahingehend etwas bewegt, dass immer mehr britische Talente in die Bundesliga kommen. In dieser Saison spielen unter anderem Jonjoe Kenny, Ademola Lookman, Ethan Ampadu und Lewis Baker hier. Sie sehen, dass das Niveau der Bundesliga sehr gut ist und besser als in der Championship (Englands 2.Liga). Man kann hier viel lernen, was Taktik angeht.

Welche Spieler kennt man abgesehen von Jadon Sancho?

Natürlich kennt jeder die Bayern-Spieler. Aber in der Wahrnehmung gibt es einen Unterschied zwischen der Bundesliga und Bayern und Dortmund. Da war das Champions-League-Finale 2013 in Wembley ein Wendepunkt für den deutschen Fußball. Aber wenn du jemanden auf der Straße fragst, wer Friedhelm Funkel ist, wird er leider antworten: Wer?

Das hört sich nicht sehr hoffnungsvoll für die Bundesliga in England an.

Man muss die Frage stellen: Warum sollen Engländer die Bundesliga schauen? Was es braucht, ist eine Mannschaft unter den letzten Vier der Champions League, die nicht FC Bayern heißt. Dann würden die Engländer denken: Da läuft etwas im deutschen Fußball.

Kann die Premier League trotzdem etwas von der Bundesliga lernen?

Bodenständigkeit. Mehr Interesse an den Fans. Aber das ist zu spät. Dieser Zug ist vor langer Zeit abgefahren. Das ist der große Unterschied zwischen dem deutschen und dem englischen Fußball.

Zum Abschluss dann doch noch: Wer wird deutscher Meister?

Na gut, aber ich kann jetzt keinen anderen Tipp geben: Borussia Dortmund.

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