Süddeutsche Zeitung

Bundesliga:Die Signale stehen auf Anpfiff

Trotz des Handy-Fehltritts von Hertha-Profi Kalou erlaubt die Politik den Start der Bundesliga. Doch die Frage bleibt: Was passiert bei einem positiven Test im Spielbetrieb?

Von Johannes Aumüller und Javier Cáceres

Am Dienstag wies FDP-Chef Christian Lindner einen Millionär in die Schranken - einen "Fußballmillionär", um genau zu sein: Salomon Kalou von Hertha BSC, der am Vortag in einem Facebook-Video seine Verstöße gegen die Corona-Regeln dokumentiert hatte und den der Klub deshalb vom Trainings- und Spielbetrieb suspendierte. Dieses "individuelle Fehlverhalten" eines Arbeitnehmers müsse "so streng geahndet werden, dass es selbst Fußballmillionären richtig weh tut", sagte der sonst der Großverdienerschelte eher unverdächtige Lindner der Deutschen Presse-Agentur. Danach war Lindner aber gleich wieder Industrielobbyist: Aus der Verfehlung des 34-Jährigen dürfe "nun kein Schaden für die Liga insgesamt entstehen".

Die Befürchtung, dass Kalous Fehltritt für die Fußballbranche und ihren Arbeitgeberverband DFL negative Folgen habe, hatte Lindner allerdings weitgehend exklusiv. Zwar braucht es viel Fantasie für die Annahme, dass Kalou im Profibetrieb wirklich der behauptete "Einzelfall" sei. Und die Vorsitzende der Sportministerkonferenz der Länder, die Bremer Senatorin Anja Stahmann (Grüne), rügte Kalous Clip auch als "Bärendienst" für die Bundesliga. Doch Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) erteilte im Deutschlandfunk nur eine kleine Mahnung: "Ich hoffe, dass jetzt alle verstanden haben, dass es hier um etwas geht." Aus allen maßgeblichen Lagern war zu hören, dass das Video quasi folgenlos bleiben werde für die Zusammenkunft der Spitzenpolitiker am Mittwoch, die für die nähere und mittlere Zukunft des Profifußballs entscheidende Bedeutung hat.

Bundeskanzlerin Angela Merkel und die 16 Ministerpräsidenten entscheiden dann, ob die Liga wieder spielen darf - als Geisterbetrieb selbstverständlich, vor leeren Rängen. Das ist für die Branche überlebenswichtig, andernfalls droht rund einem Drittel der 36 Erst- und Zweitligisten bald der Ruin. Die Signale aus dem politischen Betrieb sind ziemlich eindeutig. Das 51-seitige Hygiene-Konzept der Liga habe sie überzeugt, taten maßgebliche Länderchefs ebenso kund wie aus dem Bundeskabinett bereits Spahn, Horst Seehofer (Innenminister, CSU) und Hubertus Heil (Arbeit, SPD). Nur die Kanzlerin erklärte sich öffentlich noch nicht, sie galt eher als Bremserin. "Dem Beginn des Spielbetriebs muss eine zweiwöchige Quarantänemaßnahme, gegebenenfalls in Form eines Trainingslagers, vorweggehen", heißt es in der der Deutschen Presse-Agentur in Berlin vorliegenden Beschlussvorlage des Bundes für die Beratungen der Kanzlerin mit den Regierungschefs der Länder am Mittwoch.

Ein Ja für die Bundesliga scheint sicher - trotz landesweit aufscheinenden Unverständnisses und all der Debatten über eine Sonderstellung für den Fußball. Das politische Kalkül ist offensichtlich, dass diese kritischen Debatten abebben, wenn parallel bis zum Wiederanpfiff des Profifußballs auch in anderen Bereichen Lockerungen versprochen oder umgesetzt werden. Für Mittwoch bleibt nur noch die Frage, wann der Liga-Neustart möglich ist; dabei zeichnete sich nach SZ-Informationen in den Vorgesprächen aber ein Disput ab. Demnach sollen manche Länder wie Nordrhein-Westfalen und Bayern einen Anpfiff schon am 15. Mai für möglich halten, eine andere Gruppe hingegen für einen späteren Termin plädieren, zum Beispiel den 29. Mai.

Die Frage ist, ob die Politik die DFL mit ihrer Argumentation durchkommen lässt

Doch auch bei einem grundsätzlichen Ja der Politik bleiben große Hindernisse, ob sich der Spielbetrieb und die neun ausstehenden Spieltage durchziehen lassen. Die größte Frage ist, wie der Fußball damit umgehen will, wenn während des Mannschaftstrainings oder des Spielbetriebs ein Corona-Positivfall auftritt.

Das Robert-Koch-Institut (RKI) unterscheidet beim Umgang mit dem Umfeld eines positiv Getesteten zwei Kategorien. In Kategorie eins fallen Haushaltsangehörige und andere Personen, die mit dem Infizierten mindestens 15 Minuten Gesichts- oder Sprachkontakt hatten - addiert, nicht am Stück. Diese Personen sollen sich in Quarantäne begeben. Wer weniger als 15 Minuten Nahkontakt hatte, zählt zur Kategorie zwei und soll nicht unbedingt häuslich isoliert werden. Trotz der üblichen Abläufe eines Fußballspiels, trotz der vielen Zweikämpfe, Standardsituationen und verbalen Kommunikationsformen, sollen die Spieler gemäß des Hygiene-Konzeptes der DFL in Kategorie zwei gehören. Zudem, so argumentieren die Vertreter der Liga, entscheiden ja nicht die Vereine über den konkreten Umgang mit Positivfällen, sondern die jeweiligen lokalen Gesundheitsämter.

Die Frage ist, ob die Politik sie mit dieser Argumentation durchkommen lässt. Innenminister Seehofer sagte zwar, dass bei einem Positivtest die ganze Mannschaft in Quarantäne müsse. Die Ministerpräsidenten aber sind diesbezüglich bisher still. Auch Bayerns Landeschef Markus Söder wiederholte seine Aussage, dass ein Positivtest den Spielbetrieb zum Erliegen bringen würde, zuletzt nicht mehr.

Es besteht die Sorge, Fans könnten sich vor den Stadien versammeln

Zu welchen Irritationen diese Herangehensweise führen kann, zeigen schon die Folgen jener Tests, welche die Liga bei allen Spielern und Betreuern vor Beginn des Mannschaftstrainings durchführen ließ. Zehn Positiv-Fälle gab es laut DFL bei 1724 Tests. Bekannt sind davon drei beim 1. FC Köln, einer bei Dynamo Dresden und einer bei Erzgebirge Aue. Zudem waren laut Rheinischer Post auch ein Spieler und ein Physiotherapeut von Borussia Mönchengladbach positiv, was ein Vereinssprecher aber nicht bestätigt. Öffentlich mitteilen will die DFL die konkreten Fälle nicht. Doch während Köln nur die drei Infizierten in Quarantäne schickte und die anderen weitertrainieren ließ, verhängte Aue am Dienstag drei Tage Quarantäne fürs komplette Team - nicht auf Anordnung des Gesundheitsamtes, sondern per eigener Entscheidung. Beim Klub hieß es, man habe sich dafür entschieden, weil am Donnerstag neue Tests anstehen. Danach werde im Licht der Ergebnisse neu entschieden. Virologisch spielte eine Drei-Tages-Frist bisher keine Rolle, weil es viel länger dauern kann, bis sich die Krankheit bei einem Infizierten zeigt.

Ein zweiter heikler Punkt bleibt die Befürchtung, dass es vermehrt zu Zusammenkünften vieler Menschen kommt, wenn wieder Spiele stattfinden. Das könnte in Wohnzimmern oder in noch geschlossenen Sportbars passieren - wobei dem Fußball hier argumentativ in die Karten spielt, dass die Politik auch die Beschränkungen für Gastronomie und für Zusammenkünfte im heimischen Wohnzimmer wieder lockern will. Zudem besteht die Sorge, dass sich bei Geisterspielen - wie schon im März - Fans vor dem Stadion zusammenrotten könnten. Allerdings sahen zuletzt just zahlreiche Ultra-Gruppierungen den Wiederanpfiff der Liga sehr kritisch.

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Quelle:
SZ vom 06.05.2020/schm
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