Süddeutsche Zeitung

Bundesliga: Stanislawski verlässt St. Pauli:Dauerkarte auf Lebenszeit

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Der "ewige Hamburger" verlässt den Kiezklub: Nach 18 Jahren im Verein kündigt Trainer Holger Stanislawski in einer emotionalen Ansprache seinen Abschied vom FC St. Pauli an. Über seinen möglichen Wechsel nach Hoffenheim schweigt er.

Jörg Marwedel

An diesem nicht nur laut Präsident Stefan Orth "traurigen Tag", an dem der FC St. Pauli seinen "Frontmann" und "wichtigsten Mitarbeiter" verlor, wie Sportchef Helmut Schulte sagte, hat es viele Tränen gegeben. Am meisten wohl, als Trainer Holger Stanislawski, 41, vor seine Spieler trat und ihnen mitteilte, dass er nach Saisonende nicht mehr ihr Chef sein wird.

Der "ewige Hamburger", wie er sich selbst nennt, hat dabei die Fassung verloren. Und wenn man ihn später erlebte, wie tief bewegt er auf einer Pressekonferenz den Abschied vom FC St. Pauli bekannt gab, konnte man sich vorstellen, wie sehr der früher beinharte Abwehrspieler wohl die Contenance verloren hatte.

Holger Stanislawski hat 18 Jahre, die er für diesen Klub als Profi, Vizepräsident, Manager und Trainer gearbeitet hat, Revue passieren lassen. "Fast mein halbes Leben", wie er feststellte. Und deshalb bleibe St. Pauli, das für ihn "wie eine zweite Familie war", immer "mein Klub". 37 Minuten hat Stanislawski am Stück - mit kleinen Schluckpausen - gesprochen.

Er hat davon berichtet, wie er manchmal eine Stunde im Auto gesessen, auf die neue Südtribüne geblickt und sinniert habe, was dort in den vergangenen Jahren alles entstanden sei. Und er hat über den Abschied geredet. Über den Tod seiner Mutter, die kürzlich starb. Über Verluste, aber auch darüber, dass man einmal loslassen muss - so, wie jetzt auch vom FC St. Pauli. Weil es Zeit sei.

Womöglich ist Stanislawski der Aufsteiger beim möglichen Absteiger. Denn Schulte, der Ende der achtziger Jahre selbst eine Pauli-Trainer-Ikone war, hatte früh gemerkt, dass aus "Stani", wie sie ihn alle nennen, einmal "ein absoluter Toptrainer" werden würde.

Nach soviel "Liebe und Leidenschaft, die er in den Klub gesteckt hat" (Stefan Orth), ist, wie Stanislawski verriet, "die Batterie leer". Er hat ja das Team als Coach nicht nur von der Regionalliga bis in die Bundesliga geführt, er hat damals nebenbei auch noch ein Sportmanagerstudium und später seine DFB-Trainerlizenz absolviert, als Bester seines Jahrgangs absolviert.

Wenn man ihm am Mittwoch so zuhörte, dachte man unwillkürlich: Da will einer ein Jahr Auszeit begründen. Zuviel Kraft habe ihn das alles gekostet, acht Kilo abgenommen habe er seit Saisonbeginn. Das Präsidium habe sehr um ihn gekämpft, angeblich haben sie ihm ein neues Vertragsangebot gemacht, angeblich haben sie ihm mehr als jeder andere Klub geboten.

Ob das stimmt, ist eine andere Frage. Sicher ist nur, dass er versuchen will, in anderer Umgebung neue Kräfte zu sammeln. Wobei man sich fragte, was ein ehrgeiziger Verein wie die TSG Hoffenheim von einem Trainer erwartet, der vielleicht eine Pause benötigt hätte. Doch über seine neue Aufgabe hat Stanislawski noch nicht sprechen wollen. Er hat nicht offiziell bestätigt, dass er sich mit Hoffenheims Mäzen Dietmar Hopp einig sei.

Er sehe sich mit seinen Co-Trainern André Trulsen und Klaus-Peter Nemet als ein Team, hat er nur gesagt. Aber das sei wohl noch ein Detail, dass er mit seinem künftigen Arbeitgeber zu klären habe. Mehr wollte er nicht über die Zukunft sagen, denn dann würde er ja sein persönliches Schicksal höher hängen als "das, was ich hier zurücklasse". Noch hat er ja ein Ziel mit seiner Elf, den Klassenerhalt. Schon jetzt denkt er ans letzte Heimspiel, ausgerechnet gegen den FC Bayern. Das Gefühl sei eine Mischung aus "Vorfreude und Angst", wegen der wohl erneut fließenden Tränen.

Totenkopf im Herzen

Er denkt an das Lied "You'll never walk alone", das am Millerntor fast so schön intoniert wird wie beim FC Liverpool. Er denkt an den Totenkopf, den er "immer in meinem Herzen tragen wird" - und an sein ursprüngliches Versprechen, er werde den damals in der dritten Liga spielenden Klub erst verlassen, wenn dieser wieder Profi-Fußball spiele.

Dieses Versprechen hat er gehalten, und deshalb hat der FC St. Pauli "Uns Stani" zwei Geschenke zum Abschied gemacht. Die Nummer 21, die er als Spieler trug, soll nie wieder vergeben werden. Und er bekommt eine lebenslange Dauerkarte, weil für ihn "immer ein Platz ist im Stadion", wie Schulte feierlich mitteilte. Sicher ist: Bei der St. Pauli-Ikone Stanislawski wird noch manche Träne fließen, egal ob der Klub absteigt oder nicht.

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Quelle:
SZ vom 14.04.2011
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