Süddeutsche Zeitung

1:6 gegen Union Berlin:Schalkes handfestes Debakel

Drei Bundesliga-Spiele kann der Aufsteiger mithalten - doch beim 1:6 gegen Union Berlin werden die Defizite der Gelsenkirchener deutlich offengelegt. Trainer Kramer findet, sein Team hätte sich "besser wehren" können.

Von Philipp Selldorf, Gelsenkichen

Union Berlin mache keine Geschenke, hatte Schalkes Trainer Frank Kramer gewarnt - und damit nur die halbe Wahrheit gesprochen. Die eigentliche Spezialität der Unioner besteht nämlich darin, die Geschenke anzunehmen, die der Gegner anbietet, und davon haben die Schalker am Samstagnachmittag so viele zur Verfügung gestellt, dass das Spiel nicht viel länger als eine Halbzeit Wettkampfcharakter besaß.

Nach Sheraldo Beckers Treffer zum 1:4 gleich nach der Pause - "15 Sekunden nach Wiederanpfiff", wie Schalkes Trainer Frank Kramer meldete - hatten sich die Hausherren ihrem Schicksal ergeben. Der Rest der Dienstzeit wurde von beiden Seiten energiesparend abgewickelt. Zwei späte Berliner Konter, die der eingewechselte Sven Michel zum 1:5 und 1:6 vollendete (87., 90.), machten allerdings aus der Niederlage noch ein handfestes Debakel.

Dennoch empfingen die Schalker Fans ihr Team nach dem Abpfiff mit Beifall und trotzigen Gesängen, die Spieler nahmen den Trost dankbar entgegen. "Das ist eben Schalke", lobte Verteidiger Malick Thiaw, der als Ab- und Aufsteiger und Absolvent der lokalen Nachwuchsakademie mit allen Lebenslagen des Vereins vertraut ist. Deshalb weiß er jedoch auch, dass sich die Leidenschaft ins Gegenteil wenden kann, wenn der Kredit aufgebraucht ist.

"Die nächsten beiden Spiele werden sehr, sehr wegweisend", glaubt Thiaw. Nach der Reise zum VfB Stuttgart folgt das Heimspiel gegen den VfL Bochum. Ob Thiaw dann überhaupt noch dabei ist? Nach wie vor ist ein Verkauf des begabten U-21-Nationalspielers nicht ausgeschlossen. Bei einem angemessenen Preis - von zehn Millionen Euro ist die Rede - würde Schalke dem Bewerber wohl stattgeben, um selbst nochmal auf dem Transfermarkt tätig zu werden.

Im Schalker Spiel fehlen Tempo und Kreativität, nun kamen noch Fehler hinzu

In den ersten drei Partien hatte der Aufsteiger mithalten können, gegen die cleveren, bestens organisierten Unioner wurden die Defizite im grundlegend umgebauten Kader offengelegt. Im Schalker Spiel fehlen Tempo und Kreativität. Am Samstag kamen individuelle Fehler, chronische Unterlegenheit in den Zweikämpfen und eine in den entscheidenden Szenen desolate Teamstruktur hinzu. "Wir haben heute erlebt, mit welcher Körperlichkeit und welchem Durchsetzungsvermögen Bundesliga gespielt werden muss", sagte Trainer Kramer. Seine Mannschaft müsse sich "besser wehren".

Vom Kantersieg und der vorläufigen Spitzenplatzierung in der Tabelle ließ sich Berlins Trainer Urs Fischer wie erwartet nicht zu euphorischen Gesten hinreißen. Zufrieden war er, aber vor allem ruhte er gelassen in sich selbst. Das Resultat sei "zu hoch" ausgefallen, sagte Fischer. Seine Elf habe vom Spielverlauf profitiert: "Unsere 3:1-Pausenführung war eher glücklich. Schalke war aggressiver und agiler, wir waren manchmal schläfrig - aber auch sehr effizient."

Drei Treffer aus fünf Versuchen, mit dieser sehr annehmbaren Bilanz gingen die Berliner in die Pause, während sich die Schalker fragten, wo der Lohn ihres Aufwandes und bis dahin akzeptablen Auftritts geblieben war. Durch eine von Morten Thorsby abgeschlossene Kopfballstafette war Union nach sechs Minuten in Führung gegangen. Schalke reagierte resolut mit forciertem Offensivspiel, aber beim einzigen Treffer musste Union-Verteidiger Robin Knoche durch ein Handspiel nachhelfen -zumindest ein Geschenk machten sie also doch. Marius Bülter nahm anstelle von Simon Terodde, der in der Vorwoche doppelt gescheitert war, die Ausführung des Elfmeters auf sich und nutzte die Gelegenheit zum 1:1 (31.).

Doch die Berliner waren gleich wieder da: Becker stellte sechs Minuten später die Führung wieder her, Thiaws Bein fälschte den Ball durchaus unglücklich ab. Yannick Haberer ließ Sekunden vor dem ersten Abpfiff das 1:3 folgen, Torwart Alexander Schwolow gab dabei keine vorteilhafte Figur ab. Den finalen Schlag setzte dann Becker nach der Pause, und wieder hatte ihm der desorganisierte Schalker Defensivverbund den Raum dazu geöffnet. Fazit Kramer: "Sehr schmerzhafte Niederlage - durch die Höhe und durch das Zustandekommen." Er wechselte zwar nochmal die halbe Mannschaft aus, "aber die Energie war gezogen", ein Aufbäumen fand nicht mehr statt. Auch darüber wird man sich Sorgen machen beim Aufsteiger.

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SZ/ebc/klef
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