Süddeutsche Zeitung

Schalke 04:Symptome eines Absteigers

Schalke 04 bricht zusammen - Trainer Tedesco droht das Aus. Aber wer auch immer das Team nun bis Saisonende trainiert, setzt sich einer Monster-Aufgabe aus.

Kommentar von Martin Schneider

Domenico Tedesco legte seine Hände aufeinander wie zum Gebet. Er stand vor der Schalker Nordkurve, seine Haare nass vom Regen in einem Stadion, in das es eigentlich nicht reinregnen sollte, weil man das Dach schließen kann. Aber an diesem Tag regnete es trotzdem auf jeden in Gelsenkirchen. Tedesco flehte um Gnade, aber er bekam Hass. Die Fans sahen nicht, dass sich da einer seiner Verantwortung stellte, dass da einer über das halbe Spielfeld direkt nach Canossa ging, oder dass sich da einer vor die Mannschaft stellte. Die Fans sahen das 0:4 gegen Düsseldorf, sie sahen - erneut - eine desolate Leistung ihrer Mannschaft und sie sahen das, was einfach nicht zu übersehen ist: dass es auf Schalke grundsätzlich nicht stimmt. In die vor Wut verzerrten Gesichter hinein winkte Tedesco. Wahrscheinlich zum Abschied.

Die Schalker Krise wird nach dem Weggang von Sportvorstand Christian Heidel sehr wahrscheinlich das nächste Opfer fordern und es käme einer Sensation gleich, wenn Tedesco ein 0:3 gegen Mainz und ein 0:4 gegen Düsseldorf als Trainer überleben würde. Genau 15 Minuten - nach seiner Halbzeitansprache - wirkte seine Mannschaft so, als würde sie an diesem Wettbewerb namens Bundesliga teilnehmen. Den Rest der Spielzeit sah man ein sich auflösendes Team.

Tedescos Marsch vor die Fans verdient Respekt. Der Trainer hätte das nicht tun müssen, er hätte auch in den Katakomben verschwinden können. Aber er entschied sich, für alle sichtbar seinen Teil auf sich zu nehmen und sich vor seine Mannschaft zu stellen. Das verbindet ihn auf gewisse Weise mit Heidel, der seinen Vertrag auflöste und auf ein Jahresgehalt oder eine Abfindung einfach so verzichtete. Sollte Tedesco gehen müssen, verliert Schalke auf jeden Fall zwei Figuren, die ihren Teil der Verantwortung auf sich nehmen. Das ist nicht alltäglich im Fußball-Geschäft.

Bei Schalke geht es jetzt nur noch um den Verbleib in der Liga

Der Haken an der Geschichte ist aber, dass sie die Verantwortung für die schlechteste Schalke-Saison seit der Abstiegs-Spielzeit 1982/83 tragen. Daniel Caligiuri nahm Tedesco nach dem Spiel ausdrücklich in Schutz, aber auch ihm wird klar sein, dass ein solcher Auftritt in einem vorab als "entscheidend" eingestuftem Spiel den Trainer als schwächstes Glied der Kette kaum rettet. Auch, wenn dieser Trainer im vergangenen Jahr mit 32 Jahren in seinem ersten Bundesliga-Jahr Zweiter wurde.

Tedesco hat es in dieser Saison nie geschafft, aus seinem radikalen Defensiv-Fußball der vergangenen Saison rauszukommen. Auch Schalker Siege waren in der Regel eher unansehnliche Spiele - was man Tedesco nachsah, weil er eben a) sehr jung war, b) eloquent auftrat und vor allem c) damit erfolgreich war. Wenn der Erfolg wegbleibt, bleiben nicht mehr so viele Argumente, aber zur absurden Situation gehört auch, das gerade niemand Tedesco entlassen könnte. Der neue Sportvorstand Schneider wird erst am Montag berufen - dann soll er sich zur Trainerfrage äußern, hieß es am Samstag.

Nun steckt Schalke im Abstiegskampf, und der einzige Grund, warum das Team mit seinen 23 Punkten noch unglaubliche vier beziehungsweise sechs Punkte Vorsprung vor dem Relegationsplatz hat (je nach Ausgang der Partie Hannover gegen Stuttgart), ist, dass die Liga dank der dysfunktionalen Teams aus Nürnberg und Hannover einen historisch schwachen Keller zu bieten hat.

Aber jedem auf Schalke muss klar sein, dass es ab jetzt nur noch um den Verbleib in der Liga geht. Ein Sieg aus sieben Pflichtspielen, darunter Kanter-Niederlagen gegen Mainz und Düsseldorf, sind Symptome eines Absteigers. Wer immer die Aufgabe auf Schalke übernimmt - er muss mit einer bis auf die Grundmauern verunsicherten Mannschaft arbeiten. Er muss mit einem Sportvorstand Jochen Schneider arbeiten, der Schalke seit ein paar Tagen kennt. Er muss mit Fans klarkommen, die Benjamin Stambouli nach dem Spiel gegen Düsseldorf die Kapitänsbinde abnahmen, weil er ihrer Meinung nach nicht würdig sei, das Stück Stoff mit der Aufschrift "Nordkurve" zu tragen.

Und er muss damit rechnen, dass die Lage noch schlimmer wird, wenn die schweren nächsten Spiele in Bremen und zu Hause gegen Leipzig nicht positiv enden und Schalke zum ersten Mal den Abstiegsrängen nicht nur nahe kommt, sondern vielleicht tatsächlich draufrutscht. Schon nach dem Düsseldorf-Spiel sagte Stambouli mit Tränen in den Augen, sie seien kleine Spieler und Schalke ein großer Verein. Stambouli ist wohlgemerkt ein Führungsspieler - der offensichtlich schon jetzt dem Druck nicht mehr standhält. Was menschlich übrigens völlig verständlich ist, wenn Fans gegen die eigene Mannschaft eine solche Drohkulisse aufbauen. Beim Hamburger SV war das auch so, bei Bremen nicht. Der HSV stieg ab, Werder nicht, aber das nur am Rande.

Wer auch immer Schalke übernimmt, setzt sich einer Monster-Aufgabe aus. Und er muss schnell liefern. Am 31. Spieltag kommt das Revierderby in Dortmund und man kann sich vorstellen, was dort los wäre, wenn der BVB den Rivalen Richtung zweite Liga schießen könnte. Und am 34. Spieltag kommt der VfB Stuttgart nach Schalke - es könnte ein nervenzerfetzendes Endspiel werden.

Was in dieser Stunde für Tedesco spricht, ist die Tatsache, dass der Beweis aussteht, dass es ein anderer besser machen kann. Man wünscht es gerade irgendwie keinem, sich diesem Berg von Problemen zu stellen.

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SZ vom 03.03.2019/ebc
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