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Bundesliga: Schalke - Stuttgart:Fast-Triumph der Keller-Kinder

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Stuttgart spielt unter seinem neuen Trainer Jens Keller deutlich besser als zuletzt und führt gegen Schalke bis kurz vor Schluss. Dann sorgt eine Dummheit im Strafraum für das 2:2 - und dafür, dass beide Teams im Abstiegskampf verharren.

Michael König

Felix Magath hat herzlich gelacht vor dem Spiel. Ob ihm die Rückendeckung der Vereinsspitze gut getan habe, wollte ein Reporter wissen. "Höhöhö", machte Magath, und sein Mund sagte dann: "Das ist natürlich schön." Aber sein Blick sagte eher, dass er, der große Magath, keine Rückendeckung nötig hat. Nicht einmal, wenn sein Team, der FC Schalke 04, nach sieben Spieltagen auf dem vorletzten Tabellenplatz liegt.

"Wir haben den besten Trainer, den man haben kann", hatte Schalkes Aufsichtsratsvorsitzender Clemens Tönnies vor dem Krisengipfel mit den Tabellenletzten aus Stuttgart gesagt. Dort, in Stuttgart, wollte man diese Aussage über Christian Gross nicht mehr treffen. Deshalb war man einem alten Muster gefolgt und hatte den Trainer ausgewechselt: Jens Keller statt Gross. Das hatte ein Jahr früher auch schon funktioniert, als Gross für Markus Babbel kam. Und noch früher, als Babbel für Armin Veh kam.

Und siehe da: Stuttgart spielte wie ausgewechselt, das heißt gut, aber gewann trotzdem nicht. Und Schalke hat vielleicht den besten Trainer, steckt aber ebenfalls im Tabellenkeller fest. Die Partie endete 2:2, und das war gerecht so.

Der neue Stuttgarter Trainer hatte im Vorfeld der Partie mehrfach betont, dass er "in der kurzen Zeit" - Gross war am Mittwoch gefeuert worden - kaum etwas habe ausrichten können. Das war einerseits eine realitische Einschätzung, andererseits eine Schutzbehauptung, nach dem Motto: Wenn es schief geht, bin ich noch nicht der Schuldige. Aber es ging nicht schief - zumindest zu Beginn.

Schon in der 15. Minute durfte sich die Vereinsspitze der Schwaben, vorneweg Manager Fredi Bobic, kräftig auf die Schulter klopfen für ihr Trainer-wechsele-dich-Spiel. Denn Keller hatte den zuletzt verletzten Timo Gebhart in die Startelf genommen, und in jener 15. Minute war Gebhart genau dort, wohin seine Mitspieler Christian Träsch (feiner Steilpass) und Arthur Boka (passgenaue Flanke) den Ball transportiert hatten: an der Strafraumgrenze. Dort stand Gebhart, er schoss, und dann bejubelte er sein Führungstor zum 1:0 für Stuttgart.

Horst Heldt, der ehemalige Stuttgarter und jetzige Schalker Manager, hatte vor der Partie gesagt: "Ich fände es schöner, wenn heute der Tabellenzweite Schalke gegen den Tabellendritten Stuttgart spielen würde." Nun, zumindest sah es danach aus: Die Kellerkinder der Liga spielten offensiv und zielstrebig, von Ballgeschiebe oder Sicherheitsfußball der Marke Abstiegskampf keine Spur.

Was Heldt indes nicht gefallen haben dürfte: Sein ehemaliger Verein war zunächst spielbestimmend. Die Stuttgarter rannten an, als wollten sie in 90 Minuten alle Missstände der vergangenen sieben Spieltage beseitigen.

Kuzmanovic hätte in der achten Minute beinahe die Führung erzielt, als er vom aus dem Tor geeilten Schalker Keeper Manuel Neuer angeschossen wurde - der Ball trudelte knapp am Außenpfosten vorbei. Sekunden später scheiterte der agile, aber glücklose Marica an Neuer - Keller hatte Marica den Vorzug vor Pawel Pogrebnjak gegeben, obwohl der Russe bereits fünf Saisontore erzielt hat. Danach köpfte Kuzmanovic nach einem Eckball knapp am Pfosten vorbei - ehe Gebhart es endlich besser machte.

Angeblich Abseits

Damit war die Drangphase zunächst beendet, weil nun den Schalkern auffiel, dass man als Tabellenzweiter den Gegner kommen lassen kann - aber als Tabellensiebzehnter besser nicht.

Die millionenschwere, nach Saisonstart eilig zusammen gekaufte Offensive um Jurado, Raúl und Huntelaar entwickelte mehr Zug zum Tor, setzte dabei aber zunächst auf Kleinkunst: Mit Kurzpässen und Dribblings war der Stuttgarter Abwehr nicht beizukommen. In der 25. Minute hätte sich ein Schalker Ballverlust beinahe bitter gerächt, doch Schiedsrichter Florian Mayer wollte ein Tor des VfB wegen einer vermeintlichen Abseitsstellung nicht geben.

Auf der Gegenseite pfiff Mayer einen Eckball, der sich für Stuttgart als nicht minder folgenschwer herausstellte: Die Ecke segelte hoch in den Strafraum, dorthin, wo Stuttgarts Torschütze Gebhart eigentlich auf den Schalker Edu aufpassen hätte sollen. Tat er aber nicht. Gebhart ging drei Schritte vor, Edu schlich zurück, dann lehnte er den Oberkörper nach rechts und wuchtete den Ball mit links volley ins Stuttgarter Tor - 1:1.

Auf der nächsten Seite: Harnik kommt und trifft, Tasci macht sein Werk zunichte - und Raúl scheitert in letzter Minute.

Der guten Partie tat der Treffer keinen Abbruch, sie war phasenweise so aufregend, dass Horst Heldt in der Halbzeitpause dabei erwischt wurde, wie er nervös an einer Zigarette zog. Der neue Stuttgarter Coach Jens Keller, optisch eine Mischung aus dem ehemaligen Herthaner Lucien Favre und dem aktuellen Frankfurt-Coach Michael Skibbe, hatte seiner Mannschaft in der Kabine derweil einiges zu sagen - erheblich später als die Gastgeber kam der VfB zurück auf den Rasen.

Ob Keller seinem Spieler Martin Harnik schon angekündigt hat, dass er seine Chance als Joker bekommen würde? Und ob er Serdar Tasci ermahnt hat, in der Defensive keine Dummheiten zu machen? Das ist nicht überliefert. Aber so kam es.

Zunächst Harnik: Kaum drei Minuten auf dem Platz, traf der Österreicher zum 2:1 für Stuttgart. Auch dem zweiten Tor ging ein Geniestreich von Christian Träsch voraus, der Harnik steil schickte. Keeper Neuer hatte bei dem Flachschuss des Stuttgarters dann keine Chance.

Es lief die 73. Minute, Keller stand an der Seitenlinie und gestikulierte, er dirigierte seine Leute: Ergebnis halten, bloß nicht die Ordnung verlieren! Taten sie dann auch nicht, aber Tasci verwechselte Ordnung mit Züchtigung. Der Stuttgarter Abwehrspieler rempelte bei einem Eckball im eigenen Strafraum seinen Schalker Gegenspieler Christoph Metzelder um. Und weil der Assistent die Szene beobachtet hatte, blieb Schiedsrichter Mayer nichts anderes übrig, als auf den Elfmeterpunkt zu zeigen.

Klaas Jan Huntelaar griff sich den Ball, er hatte in der 48. Minute bereits Bekanntschaft mit VfB-Keeper Ulreich gemacht, der ihm das Spielgerät von der Fußspitze gestohlen hatte. Doch aus elf Metern ließ Huntelaar dem Nachfolger von Jens Lehmann keine Chance und traf - humorlos und knallhart - zum 2:2.

Sein spanischer Sturmpartner Raúl hatte kurz darauf die Gelegenheit, das Spiel noch zu einem Schalker Sieg zu drehen, vergab jedoch auch die letzte seiner gefühlten 70 Torchancen an diesem Tag. Und auf der Gegenseite lief der inzwischen eingewechselte Pawel Pogrebnjak alleine auf Neuer zu - abermals nach Traumpass von Träsch. Er scheiterte ebenfalls.

Um 17.21 Uhr blies Florian Mayer ein letztes Mal in seine Pfeife, 2:2, das Spiel war aus. Felix Magath kratzte sich am Kopf. Jens Keller zeigte die Skibbe-Falten auf seiner Stirn. Zum Lachen war beiden nicht zumute.

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