Der liebste Schlachtruf der Frankfurter Fans vor dem Anpfiff war eine herzliche Widmung an die Gastgeber: "Absteiger, Absteiger", hieß es unentwegt im eng besetzten Gäste-Block, man machte sich einen Spaß aus der Schalker Not. Normalerweise wird sowas vom lieben Gott bestraft, aber es waren trotzdem die Frankfurter, die als Letzte lachen durften. Durch ein Elfmetertor von Luka Jovic in der 99. Minute gewann die Eintracht ihr Spiel in Schalke 2:1 und setzte damit den Marsch in die Tabellenspitze fort, während sich Schalke tatsächlich weiterhin mit Abstiegsängsten plagen muss.
Das Tor, das den Frankfurtern doch noch den Erfolg brachte, fiel nach einem Videoentscheid, dem Schiedsrichter Sascha Stegemann eine ausgiebige Prüfungszeit vorausgehen ließ. Daniel Caligiuri wurde im Strafraumgetümmel vom Ball an der Hand getroffen, eine Absicht konnte man ihm nicht unterstellen, schon gar nicht die Verhinderung eines Tores, aber das Handspiel erachtete Stegemann dennoch für strafbar. In den Schalker Reihen sorgte der Beschluss für wilde Proteste, am Ende drohte auch Huub Stevens die Contenance zu verlieren.
Seine Meinung zur umstrittenen Szene wollte er später nicht wiedergeben: "Du darfst nicht alles sagen als Trainer, als Fan und Supporter kannst du das tun, aber als Trainer nicht, dann kannst du bestraft werden", sagte er und ließ seinen Frust kurz darauf an den Reportern aus, dazu später mehr.
Stevens verzichtet auf Etablierte und setzt auf die Jugend
Immerhin für seine abermals besiegte Mannschaft wählte er tröstende Worte: "Wir haben uns bravourös zurückgekämpft, ein großes Kompliment an meine Mannschaft." Sein Kollege Adi Hütter sprach im Namen der Eintracht sein Mitgefühl aus: "Schalke hat aufopferungsvoll gekämpft. Ich muss natürlich von einem glücklichen Sieg sprechen, nachdem wir in der allerletzten Minute das 2:1 geschossen haben."
Die Eintracht verdiente sich den Sieg, weil sie bis in die letzten Minuten den Druck aufrechterhielt und das 2:1 zu erzwingen suchte. Spielerisch hatten die Frankfurter ihre Vorteile gegen eine entschlossen kämpfende Schalker Mannschaft selten nutzen können. "Am Ende mit Glück, insgesamt nicht gut gespielt, trotzdem drei Punkte" - so fasste es Makoto Hasebe trefflich zusammen, der sich sowohl als souveräner Abwehrchef wie als Antreiber in den Schlussminuten hervortat. Die Schalker hatten an diesem Samstagnachmittag zumindest EIN Erfolgserlebnis: Sie wurden von ihrem Publikum mit Ovationen verabschiedet. Mittelfeldspieler Suat Serdar verließ sogar mit Sonderapplaus den Platz, allerdings ein wenig zu früh: Referee Stegemann hatte ihn, just vor dem Freistoß, der zum Videoentscheid führte, mit der zweiten Gelben Karte vom Platz gestellt.
Der rege Austausch zwischen dem Schalker Profi- und dem Schalker Oberligateam setzte sich auch am Samstag fort. Diesmal beförderte Trainer Huub Stevens den Verteidiger George Timotheu aus der fünften in die erste Liga, es sind gute Zeiten, um auf Schalke Karriere zu machen. Der 19-jährige Mittelfeldspieler Nassim Boujellab, der am vorigen Sonntag in Hannover sein Bundesligadebüt feierte und am Mittwoch im Pokalspiel gegen Bremen zum ersten Mal der Startelf angehörte, erhielt am Freitag einen Profivertrag bis 2022. "Nassim ist ein Junge mit Potenzial - und einer, der sich entwickeln will", lobte Stevens.
Bei einigen der etablierten Profis scheint Stevens da seine Zweifel zu haben. Angreifer Yevhen Konoplyanka verlor seinen Kaderplatz, und während Nationalspieler Sebastian Rudy auf der Bank landete, stand Boujellab auch am Samstag von Anfang auf dem Platz, ebenso wie der dringend vermisste Rechtsverteidiger Daniel Caligiuri. Die Eintracht hingegen musste auf drei verletzte Stammspieler verzichten: Sebastian Rode, Sebastien Haller und Mijat Gacinovic.
Das beeinträchtigte die Eintracht aber überhaupt nicht in ihrem Selbstverständnis als Spitzenteam. Sie gingen die Partie mit großer Gelassenheit an, was man vom Gegner nicht sagen konnte. Verwirrung, Desorganisation und Ballverluste in Serie kennzeichneten kennzeichneten das Schalker Spiel. Alexander Nübel musste seine Elf schon nach drei Minuten vor dem Rückstand mit einem Blitzreflex nach Schuss von Luka Jovic bewahren. Frankfurt wahrte jedoch mühelos Kontrolle und näherte sich dem Schalker Tor in einer Häufigkeit, die das 1:0 in der 13. Minute logisch aussehen ließ: Ein einfacher Ballgewinn durch Martin Hinteregger hinter der Mittellinie, über Filip Kostic geht´s in den Lauf von Ante Rebic, der mit Coolness und ein wenig Glück an Nübel vorbeiziehen kann.
"Hör auf! Ich antworte dir nicht mehr"
Schalke reagierte angemessen schockiert und setzte das Fehlpass-Fest fort, ließ es aber zumindest an Kampf und Einsatzhärte nicht fehlen. So erwirtschaftete Breel Embolo in der 21. Minute gegen Hinteregger den Freistoß, der den Ausgleich brachte. Embolos Kopfball nach Caligiuris Flanke wehrte Kevin Trapp kurz ab, Suat Serdar nutzte die Gelegenheit zum Nachschuss - ein Heimspieltor, ein seltenes Ereignis in Gelsenkirchen, und ein erweckendes Erlebnis für die Schalker, die sich nun mit Leidenschaft und hin und wieder auch mit unerlaubter Härte in die Partie zurückkämpften. Das 1:1 zur Pause entsprach dem weiteren Spielgeschehen, wobei die Hausherren Glück hatten, dass Stegemann in einem weiteren Video-Gerichtsfall (Jeffrey Bruma gegen Ante Rebic) zu ihren Gunsten entschied.
In der zweiten Hälfte brauchte Schalke wieder die Hilfe von Torwart Nübel, der mehrmals mit starken Paraden den Rückstand verhinderte. Erst wehrte er einen Kopfball des eingewechselten Paciencia ab, dann einen weiteren Kopfball des Mitspielers Caligiuri. Danach schaffte es Schalke wieder, die Eintracht vom eigenen Strafraum fernzuhalten und kam nun seinerseits zu ein paar halben Möglichkeiten, wozu auch die Einwechslung Ahmed Kutucus beitrug, der den unglücklichen Embolo ersetzte. Erst gegen Ende nahm die Überlegenheit der Eintracht wieder zu.
Mit einer Pointe, die den reaktivierten Trainer-Pensionär in solche Aufregung versetzte, dass er sich eine Stunde nach dem Spiel in den Nahkampf mit einheimischen Journalisten begab. Einem Reporter gegenüber sagte er: "Hör auf! Ich antworte dir nicht mehr. Weg! Du bist lächerlich. Du stehst hier und bist der große Junge, aber du bist lächerlich. Hast du kein Gefühl dafür?" und bezeichnete dessen Kollegen, der die Frage wiederholte, als "Papagei". Auf Schalke hinterlässt der Abstiegskampf Spuren.