Wäre Christian Gross noch der zuständige Trainer, hätte man ihn nach dem 0:0 zwischen Schalke 04 und Mainz 05 wie üblich gefragt, ob er denn jetzt immer noch Hoffnung habe, dass sein Team den Klassenverbleib schaffen könne. Er hätte dann geantwortet, dass die schwindende Zahl der Spiele zwar ein limitierender Faktor sei, dass er aber selbstverständlich weiterhin an ein geglücktes Resultat seiner Mission glaube.
Aus der Sicht des 66 Jahre alten Schweizers gab es keine Alternative zum Prinzip des Durchhaltens. Von seinen Mitarbeitern ließ er sich im Zwiegespräch deren Glauben an das Unglaubliche versichern, wie ein General, der in seinem Offiziersstab die verbliebenen Widerstandskräfte gegen den überall schon verkündeten Untergang sammelt.
Selbst dem unbeugsamen Gross wäre es allerdings schwergefallen, aus der torlosen Begegnung am Freitagabend eine Parole der Hoffnung zu destillieren. Seinem am Mittwoch ins Amt gelangten Nachfolger Dimitrios Grammozis, 42, wurde derlei auch gar nicht mehr abverlangt. Niemand stellte mehr in den Raum, ob Schalke mit dem Remis gegen den Tabellennachbarn die allerletzte Restchance vergeben habe. Das überaus trostlose Spiel war Antwort genug gewesen. Die Fragen an Grammozis richteten sich stattdessen auf Personalien. Zum Beispiel, warum er den 18 Jahre alten Debütanten Kerim Calhanoglu aufgestellt habe anstelle des etablierten Verteidigers Bastian Oczipka, 32, oder Can Bozdogan, 19, anstelle von Benjamin Stambouli, 28. Im Fall von Calhanoglu verwies Grammozis auf positive Trainingseindrücke, ansonsten auf die personelle Notlage, die weiterhin aberwitzige Ausmaße hat. "Es hat eine gewisse Tiefe im Kader gefehlt", erklärte Grammozis mit diplomatischen Worten, weil er die Ersatzkräfte nicht kompromittieren wollte. Das Fehlen der vielen Leistungsträger konnte die übriggebliebene Elf aber nicht kompensieren.
Schalkes Geister-Team wäre ansehnlich besetzt
Der Trainerwechsel beim Gegner habe seinen Matchplan über den Haufen geworfen, hatte der Mainzer Coach Bo Svensson vor der Partie gesagt. Offenbar befürchtete er neue Motivation bei den eigentlich schon demoralisierten Schalkern. Aber seine Sorge ließ spätestens in dem Moment nach, als Svensson am Freitag von der Aufstellung der Hausherren erfuhr. Spielmacher Amine Harit hatte sich während des Warmmachens verletzt und damit eine Elf der Abwesenden komplettiert. Am späteren Abend gesellte sich auch noch Kapitän Sead Kolasinac zu den Versehrten. Mit Fährmann im Tor, Nastasic und Sané in der Verteidigung, Bentaleb, Harit und Uth im Mittelfeld sowie Paciencia und Huntelaar im Sturm wäre das Geister-Team ansehnlich besetzt. Das reale Team hingegen konnte seine Defizite an Klasse, Form und Erfahrung nur notdürftig kaschieren. Binnen zwei Tagen habe man "keine Wunderdinge" vollbringen können, sagte Grammozis. Aus Gründen, die für Schalke typisch sind, hatte ihm mancher Fan genau dieses zugetraut.
Die Mainzer kamen in nahezu voller Besetzung und mit dem Selbstbewusstsein einer Mannschaft, die sich neuerdings wieder jedem Gegner gewachsen sieht. Vor allem in der zweiten Hälfte waren sie den Schalkern deutlich überlegen, die Güteklasse der Partie haben sie dadurch aber nicht gesteigert. Mit der allzeit vorhandenen Hast und Hektik, der unzureichenden Passquote und dem eingebauten vorsätzlichen Spielzerstörmodus hatten sie mindestens die gleiche Verantwortung für das unansehnliche Geschehen wie das disharmonische Schalker Restaufgebot. Svensson war dennoch voll des Lobes über den angeblich wohlgelungenen Auftritt seiner Elf, lediglich das Resultat ärgerte ihn: "Wir hätten den Sieg verdient gehabt."

Statistisch betrachtet mag das eine legitime Ansicht sein, zwanzig Torschüsse standen auf dem Zettel. Aber was sagen diese Zettel schon aus? "Wir hatten zwanzig Torschüsse, aber davon waren nur zwei gefährlich", analysierte präzise der Abwehrchef Stefan Bell. Die Mainzer machten phasenweise starken Druck, aber dass sie ihre außerordentlich gute Chance auf drei Punkte unbedingt nutzen wollten, das war nicht zu erkennen. Einen der Gründe dafür verriet später Mittelfeldspieler Dominik Kohr, als er das 0:0 unter dem Aspekt guthieß, man habe damit den Vorsprung auf Schalke erhalten. Immerhin sprangen die Mainzer zumindest über Nacht auf den Relegationsplatz.
Die Zukunft in Gelsenkirchen gehört Spielern wie Hoppe und Thiaw
Zwei gefährliche Torszenen hatten im Übrigen auch die kaum im Angriff befindlichen Schalker zu bieten. Die erste resultierte aus einem Kopfball von Shkodran Mustafi, die andere löste Suat Serdar mit einem Fernschuss aus. Torwart Frederick Rönnow sorgte für das dritte Schalker Highlight, indem er mit einer tollen Parade den späten Rückstand verhinderte. Letztlich konzentrierte sich Schalke unter Mustafis Anleitung auf den Erhalt des 0:0 - so viel zum Thema letzte Chance im Abstiegskampf.
Mustafi, Serdar und Rönnow werden - wie die meisten etablierten Profis - dem künftigen Schalker Team aller Voraussicht nach nicht mehr angehören. Die Zukunft in Gelsenkirchen gehört Spielern wie dem 19-jährigen Mittelstürmer Matthew Hoppe und dem gleichaltrigen Verteidiger Malick Thiaw. Auch Calhanoglu, ein Neffe des ehemaligen HSV- und Leverkusen-Spielers Hakan Calhanoglu (jetzt beim AC Mailand), konnte sich mit feiner Technik und Spielverständnis empfehlen. Am Freitagabend hat Schalke 04 den Probelauf für die Saison in der zweiten Liga aufgenommen. Das Prinzip des Durchhaltens ist mit Christian Gross in die Schweiz entschwunden.