Süddeutsche Zeitung

Abstiegskampf der Bundesliga:Paderborns tapferer Abschied

Der Abstieg der Ostwestfalen ist kaum noch zu verhindern. Der Klub hat sich bei seinem Bundesliga-Ausflug aber Anerkennung verdient - und wieder einen historischen Moment geschaffen.

Kommentar von Ulrich Hartmann

Im leeren Fanblock des SC Paderborn hing am Samstag ein Spruchbanner, das die Menschenrechte vorübergehend neu geordnet wissen wollte. "Grundgesetz Artikel eins: Die Bundesliga steht über allem", stand da. Wer nun dachte, für manchen Fan in Ostwestfalen gilt die zweite Liga schon nicht mehr als menschenwürdig, der übersieht den zynischen Charakter dieser Botschaft. Dass Fußball bereits munter weitergespielt wurde, während das Land noch in der Corona-Narkose lag, stößt dem einen oder anderen nach wie vor sauer auf, womöglich auch, weil nur ein Saisonabbruch mit Aushebelung der Abstiegsregel den SC Paderborn vor dem Abstieg hätte retten können.

Nach der 1:5-Niederlage gegen den Vorletzten Werder Bremen sieht der Klub drei Spieltage vor Saisonschluss - bei acht Punkten und fünf Treffern Rückstand auf den drittletzten Rang - dem Abstieg tapfer ins Auge. Man brauche jetzt über nichts mehr zu reden, sagte der Trainer Steffen Baumgart. Ohne sich rhetorisch explizit aufgegeben zu haben, bewies er damit, dass er kein Träumer ist.

Mit einem Kader, dessen Gesamttransferwert ungefähr ein Viertel vom Leverkusener 100-Millionen-Spieler Kai Havertz beträgt, hatten die Paderborner in dieser Saison eigentlich ohnehin nur eine verschwindend kleine Chance, aber dass sie diese in jedem Spiel neu zu nutzen bereit waren, brachte ihnen viel Respekt ein. Nahezu jeder Trainer der Bundesliga outete sich im Laufe der Saison als Paderborn- und Baumgart-Fan.

Ohne Angst und mit viel Laufbereitschaft trotzten die Außenseiter aus Ostwestfalen auch den Großkopferten des deutschen Fußballs knappe Ergebnisse ab: zwei Mal ein 2:3 gegen Bayern München, ein 3:3 in Dortmund, ein 2:3 in Leverkusen sowie ein 2:3 und ein 1:1 gegen Leipzig. Was Baumgart aus diesem individuell kaum konkurrenzfähigen Kader herausholte, war aller Ehren wert. Deshalb werden sie wohl auch mit ihm in die zweite Liga gehen. Einen besseren Trainer finden sie in Paderborn nicht.

Zum zweiten Mal wird Paderborn bereits nach nur einem Jahr Bundesliga schon wieder absteigen, aber aus beiden Spielzeiten bleiben Erinnerungen an diesen Verein, die auch im Bundesliga-Almanach Erwähnung finden: Aus der Saison 2014/15 bleibt das 82,3-Meter-Rekord-Distanztor von Moritz Stoppelkamp und aus dieser Saison bleibt der Gelb-Rekord von Klaus Gjasula. Er hat am Samstag um 16.01 Uhr in der 32. Minute seine 17. Gelbe Karte in dieser Saison gesehen und überbot damit den bisherigen Bundesliga-Rekord von 16 gelben Karten des damaligen Duisburgers Tomasz Hajto aus der Saison 1998/99. Schmerzen bereitete dieser Rekord akut dem Bremer Joshua Sargent, denn er war es, dem Gjasula in diesem historischen Moment die Beine wegsäbelte. Anschließend entschuldigte er sich höflich.

Wütender als über den Abstieg sind derweil die Paderborner Fans, die die Bundesliga-Heimspiele 31 bis 34 in der diesbezüglich überschaubaren Geschichte ihres SC Paderborn nicht mehr live im Stadion anschauen durften und dürfen. Beim Ende des Spiels gegen Bremen war ihr Bundesliga-Banner allerdings nicht mehr zu lesen. Es war nach hinten umgeklappt über eine Betonbrüstung. Ein Ergebnis des massiven massiven Sturms, der zur Pause über dem Stadion aufgezogen war. Nicht einmal das Wetter meinte es an diesem Tag gut mit den Paderborner Anhängern.

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Quelle:
SZ vom 14.06.2020/tbr
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