Süddeutsche Zeitung

Freiburg und Union:Die Kraft des Biotops

Der SC Freiburg und der 1. FC Union haben sich weit oben in der Bundesliga-Tabelle platziert. Beide Fußball-Standorte zeichnen ähnliche Eigenschaften aus: Urvertrauen in die eigene Stärke, zum Beispiel.

Kommentar von Martin Schneider

Natürlich lohnt es sich immer, Christian Streich zuzuhören, auch wenn das Zuhören dialektbedingt manchmal nicht so einfach ist. Unter der Woche kritisierte der Freiburger Trainer etwa die Übernahme des englischen Klubs Newcastle United durch ein saudisches Konsortium mit deutlichen Worten, was dazu führte, dass er es mit seinen Ausführungen sogar auf internationale Nachrichtenportale schaffte ("Bundesliga coach slams Newcastle takeover").

Über Streich auf Englisch zu lesen ist ungewohnt, aber nicht neu. Die New York Times titelte mal "The Teachings of the Philosopher of the Black Forest" (etwa: Die Lehren des Schwarzwald-Philosophen). Das britische Portal The Athletic versuchte es ein bisschen ausführlicher: "Meet the philosophical son of a butcher who could lose eight in a row and not be under pressure" (Dürfen wir vorstellen: Der philosophische Sohn eines Metzgers, der acht Spiele in Serie verlieren könnte und trotzdem nicht unter Druck gerät).

Gerade ist wieder so eine Zeit, in der der SC Freiburg häufiger in den Schlagzeilen ist. Der Klub hat ein neues Stadion, und er ist nach dem 1:1 gegen Leipzig nach dem ersten Spiel in diesem Stadion weiterhin der einzige ungeschlagene Klub in der Bundesliga. Vor dem Umzug hat Streich ein paar Worte gesagt, die es zwar nicht in die Titelzeilen schafften, die aber ganz gut erklären, womit man es in Freiburg zu tun hat.

Durch nichts zu ersetzende Faktoren: Konstanz und Gelassenheit

Er habe großen Respekt vor dem neuen, größeren Stadion, erklärte Streich zum Beispiel. "Ich hoffe sehr, dass dieser Geist, auch dieses Ankämpfen gegen Größeres und nicht zu glauben, schon bei den Größeren zu sein, dass der bleibt und dass wir uns davon nicht blenden lassen." Außerdem: "Wenn wir eine gewisse Demut bewahren, dann haben wir gute Jahre vor uns", sagte er. "Und wenn nicht, dann haben wir genug Beispiele, wo keine Demut mehr war - und diese Vereine sind jetzt in anderen Sphären unterwegs."

Die Formel beschreibt sehr gut das Phänomen des Biotop-Vereins in der Bundesliga. Und wie es die Geschichte so will, sind gerade zwei Klubs mit vorne in der Tabelle, die ihre Kraft aus der Nische ziehen. Union Berlin hat den VfL Wolfsburg 2:0 geschlagen, steht mit 15 Punkten auf Platz fünf, Freiburg mit 16 Punkten auf Platz vier.

Die Klubs zeichnen - neben inhaltlicher Arbeit - zwei Dinge aus: Konstanz und Gelassenheit. Streich und Union-Coach Urs Fischer sind aktuell die einzigen Trainer der Liga, die ihre Mannschaft länger als zwei Bundesliga-Spielzeiten lang entwickeln durften. Beide Mannschaften haben ein Urvertrauen in die eigene Stärke, was sich bei Union an der erstaunlichen Serie von 21 Heimspielen ohne Niederlage ablesen lässt. Und beide Klubs wissen, dass es kein Weltuntergang ist, wenn sie mal verlieren. Das unterscheidet sie fundamental von anderen Standorten.

Das Biotop-Phänomen ist kein neues in der Bundesliga. In den vergangenen Jahren spielten auch Mainz, Augsburg, Hannover, aktuell Union und zweimal Freiburg schon im Europapokal. In der Saison 2012/13 hatte der Sportclub am 34. Spieltag sogar noch die Chance, sich für die Champions League zu qualifizieren. Das könnte auch in dieser Saison passieren, auch wenn jeder Freiburger das auf Nachfrage abstreiten wird.

Unterschätzt zu werden, ist oft von Vorteil

An der Stelle zeigen sich dann aber auch die Grenzen des Konzepts - man kann ab einer gewissen Punktzahl nicht mehr glaubhaft vom Nichtabstieg sprechen. Und da absichtlich zu verlieren keine Option ist, müsste man eigentlich nach Höherem streben, was man aber ja - siehe Streich - schlecht kann, ohne die eigene Stärke zu verlieren. Dazu kommt, dass sowohl das Freiburger wie das Unioner Spiel auch darauf basieren, dass der Gegner sie für "klein" hält, also die Initiative übernimmt und sich dann ärgern lässt. Was man daran sieht, dass beide Teams eher unten in der Ballbesitztabelle stehen.

Doch solange man sich in seiner Rolle des ewigen Herausforderers wohlfühlt, spricht ja nichts dagegen, der Herausforderer zu sein. Und wenn es schiefgeht und man verliert, auch acht Mal in Serie, bleiben die Leute (und die Klubgremien, denn von unruhigen Aufsichtsräten liest man in Freiburg und in Köpenick auch eher selten) ohnehin gelassen.

Auch da weiß Christian Streich, wie schnell es gehen kann. Nachdem er sich fast für die Champions League qualifizierte, stieg Freiburg zwei Jahre später ab. Dass er die Demut verliert, davon ist nicht auszugehen.

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