SC Freiburg:Er traut dem Ganzen nicht

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Motivator, Mahner, Vorbild, Zweifler: Freiburgs Trainer Christian Streich im Dialog mit seinen Spielern. (Foto: Ulmer Pressebildagentur/Imago)

Der kleine SC Freiburg ist mittlerweile ziemlich groß geworden, nun steht die Europapokal-Auslosung vor der Tür. Während die Erwartungen steigen, hört einer nicht auf zu mahnen: Trainer Christian Streich.

Von Sebastian Leisgang

Am Donnerstag hat Christian Streich nur einen einzigen Satz gebraucht, um seine Sicht auf die Dinge darzulegen. Der Trainer des SC Freiburg saß in einem moosgrünen Polohemd im Presseraum des neuen Stadions, es ging jetzt um etwas Großes. Internationaler Fußball im Breisgau, Europapokal, das ist doch was. Die Leute in der Stadt sind schon seit Tagen in freudiger Erwartung, an diesem Freitag wird die Gruppenphase ausgelost, Manchester United könnte einer der Gegner sein, und was sagt Streich? "Ich überlege mir noch, ob ich vor dem Fernseher sitze oder Fahrradfahren gehe. Das habe ich noch nicht abschließend entschieden."

Streich, 57, ist ein skeptischer Mann, ein Zweifler, der selbst in der Stunde des größten Erfolgs nicht loslassen kann. Einer wie Streich verliert auch auf dem Gipfel nie das Tal aus den Augen, ein einziger Fehltritt könnte ja genügen, und schon würde man in den Abgrund stürzen.

Im Grunde, und das ist tatsächlich etwas, das ihn beschäftigt, ist sich Streich nicht einmal sicher, ob das Wasser auch morgen noch die Dreisam hinunterfließt. Das Bächle, das sich sonst durch die Freiburger Altstadt schlängelt, ist ja jetzt schon stillgelegt an diesen heißen Augusttagen. Ein Bächle ohne Wasser, was soll man da mit den handgemachten Holzbooten anfangen, die an einem Stand in der Fußgängerzone angeboten werden? "Kannsch ah in de Badwanne mitnähme", sagt der Verkäufer.

Streich ist da anders. Für ihn ist der Klimawandel "schlimm und besorgniserregend". Ist ja alles im Fluss gerade, das Wetter, die Weltlage und, auch wenn es längst nicht so weit oben einzuhängen ist: auch der Fußball in Freiburg.

Freiburg gegen Bochum, der SC ist Favorit - Streich betont: "Das wird richtig Arbeit!"

"Wir sind relativ schnell gewachsen", sagt Streich, "und wir werden immer größer." Das bringe Herausforderungen mit sich, Aufgaben, die auch für ihn nicht so leicht zu bewältigen seien. Die Erwartungen des Umfelds seien höher und höher, in der Geschäftsstelle müsse er sich ständig neue Namen einprägen, und dann sind da ja noch diese Bedenken, mit denen Streich Tag für Tag durchs Leben geht: "Ich traue dem Ganzen nie so ganz, aber das wird sich nie verändern - egal, wo wir stehen."

Als Streich das sagt, sitzt er gerade im Medienraum des neuen Stadions, das der Verein zu Beginn des Jahres bezogen hat. Es ist der Tag vor dem zweiten Heimspiel der Saison, es geht gegen den VfL Bochum, eine Mannschaft, die mit null Punkten auf dem letzten Platz steht und gerade 0:7 gegen die Bayern verloren hat. Freiburg ist Favorit, Streich in Sorge. "Bochum ist Mentalität", sagt Streich. Und: "Das wird richtig Arbeit morgen."

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Die Öffentlichkeit, so weit ist es mittlerweile schon, erwartet einen Freiburger Sieg, doch er, Streich, weiß, was auf seine Mannschaft zukommt. Angeschlagene Gegner sind gefährliche Gegner, und für einen Verein wie den SC Freiburg ist ein Sieg in der Bundesliga alles andere als eine Selbstverständlichkeit. So hat es Streich schon vor Jahren gesehen - und so sieht er es auch heute noch. Er hat aber auch registriert, dass sich etwas getan hat im Umfeld.

Vor einer Woche, als Freiburg samstagnachmittags in Stuttgart spielte, begrüßte der Stadionsprecher die Gäste als "Topteam". Ein Wort, das Streich höchstens dann in den Mund nehmen würde, wenn es um Manchester United ginge. Allzu lange ist es ja noch gar nicht her, dass Freiburgs Trainer bestürzt fragte, wenn er sich von den Schiedsrichtern ungerecht behandelt fühlte: "Was machet ihr mit uns kleine Freiburger?"

Mittlerweile, das weiß auch Streich, sind die kleinen Freiburger ziemlich groß geworden.

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Ein Samstagmorgen auf dem Stadionvorplatz, es ist die Ruhe nach dem Sturm. Es sind erst ein paar Stunden vergangen, seit die Mannschaft den Menschen ein mitreißendes Fußballspiel geboten hat, jetzt wirkt die Stille unter dem Eindruck des Vorabends irgendwie seltsam. Freiburg gegen Dortmund, 34 700 Zuschauer und ein Spiel, das die Leute trotz des 1:3 abgeholt hat. Jetzt stehen nur gut eine Handvoll Fans am Rand des Trainingsplatzes und lugen zwischen dunkelgrünen Zaunblenden auf den Rasen. Die Spieler plagen sich in der prallen Vormittagssonne, Steigerungsläufe von Strafraum zu Strafraum, hoch und runter, einmal, zweimal, zwölfmal. Als es geschafft ist, stützt Nils Petersen seine Hände auf die Oberschenkel, er ist erledigt.

Der Verein ist ein Synonym für Beständigkeit - und zugleich Inbegriff stetiger Entwicklung

Petersen, 33, weiß nur zu gut, was auf Freiburg in diesem Jahr zukommt. Er hat mal bei Bayern und für die deutsche Nationalmannschaft gespielt, doch Einheiten wie an diesem Morgen muss er oft über sich ergehen lassen. Bei den Spielen setzt ihn Streich meistens nur für ein paar Minuten ein, dann muss er am nächsten Tag trainieren.

Jetzt ist Petersen der Erste, der vom Platz schleicht. Es sei mittlerweile der Anspruch, auch gegen Mannschaften wie Dortmund mitzuhalten, sagt der Stürmer, die Arme in die Hüfte gestemmt, Schweißperlen auf der Stirn. Platz sechs in der Bundesliga, der Einzug ins Finale um den DFB-Pokal: Mit der vergangenen Saison hat Freiburg neue Maßstäbe gesetzt, Petersen weiß das. Ihm ist klar, dass Erwartungen eine Last sein können und dass es manche vielleicht nicht schaffen werden, diese Last zu tragen. Petersen kennt das aus seiner eigenen Karriere, doch jetzt sagt er: "Wir müssen damit leben, dass wir an der letzten Saison gemessen werden."

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Petersen ist vor sieben Jahren nach Freiburg gekommen. Streich arbeitet seit 1995 für den Klub, Sportdirektor Klemens Hartenbach seit 2001, Sportvorstand Jochen Saier seit 2003. Alleine das zeigt, dass Freiburg anders ist. Der Verein ist ein Synonym für Beständigkeit und zugleich ein Inbegriff stetiger Entwicklung. Vor der Saison musste der Klub seinen besten Verteidiger abgeben, Nico Schlotterbeck ging nach Dortmund, doch auch da zeigte sich, dass Freiburg nicht mehr zu den Kleinen gehört. Als Ersatz kam kein Talent, sondern Matthias Ginter, ein Weltmeister.

Wenn Streich jetzt über den Weg spricht, der hinter dem SC liegt, dann redet er von "guten Jahren", für die der Europapokal nun der Lohn sei. Freiburg im internationalen Vergleich, das sei "toll", sagt Streich. Christian Streich wäre aber nicht Christian Streich, wenn er nicht auch sagen würde: "Aber wir müssen schon wissen, dass es ein richtiger Kraftakt wird."

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