Bundesliga-Rückkehrer Kevin Kuranyi:Der vergessene Verwandte

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Spielte für Moskau auch in der Europa League: Kevin Kuranyi

(Foto: AFP)
  • Kevin Kuranyi spielte fünf Jahre in Moskau und hat große Lust auf Deutschland: "Ich will mich noch mal in der Bundesliga beweisen."
  • In Hoffenheim soll der 33-Jährige seine Integrationsfähigkeit und Erfahrung einbringen.
  • Nach seinem unrühmlichen Abgang aus der Nationalmannschaft will er sich wieder positiv ins Gespräch bringen.

Von Tobias Schächter

41 Millionen Euro! So viel Geld hat die TSG Hoffenheim vor einigen Wochen für den Wechsel ihres besten Spielers Roberto Firmino vom FC Liverpool kassiert. Das ist Rekord in der Bundesliga. Ohne diesen spektakulären Deal hätte wohl kaum jemand Notiz genommen von den Vorbereitungen der Badener auf die neue Saison. Mittelmaß findet es selten in die überregionalen Schlagzeilen, der Tabellenachte der vergangenen Saison hatte sich mit einer graumäusigen Rückrunde jüngst selbst aus dem Fokus gespielt.

Am Freitagabend aber machte die TSG zum zweiten Mal in diesem Transfersommer von sich reden. Diesmal verpflichteten sie einen Spieler für: 0 Euro. Und dennoch ist die Aufmerksamkeit groß: Der neue Stürmer heißt nämlich Kevin Kuranyi. Dass der ehemalige Nationalspieler noch einmal ein Thema für die Bundesliga werden könnte, schien ja mit jedem Jahr Kuranyis in Russland abzunehmen. Zuletzt hatte sein Management aber geschickt lanciert, dass Kuranyi an einer Rückkehr nach Deutschland interessiert sei. Jüngst hatte er sogar medienwirksam ein paar Tage beim Regionalligisten 1. FC Saarbrücken mittrainiert. Und nun ist Kevin Kuranyi also plötzlich wieder da - so wie ein vergessener Verwandter, der nach stillen Jahren in der Fremde plötzlich wieder auf einem Familienfest auftaucht.

Nach fünf Jahren bei Dynamo Moskau, wo er nicht nur reich (kolportiertes Jahresgehalt: 5,7 Millionen Euro), sondern auch 33 Jahre alt geworden ist, kehrt Kuranyi nun wieder in jene Liga zurück, in der er einst für den VfB Stuttgart und den FC Schalke 111 Tore in 261 Spielen geschossen hat. "Ich will mich noch einmal in der Bundesliga beweisen", sagt Kuranyi, der einen Vertrag über ein Jahr mit Option auf Verlängerung in Hoffenheim unterschrieben hat.

Die Vertrags-Gespräche starteten erst vergangenen Mittwoch, dann ging es sehr schnell. Die Nähe zu seiner früheren Heimat Stuttgart, aber auch die sportliche Perspektive, Leader in einer jungen Mannschaft werden zu können, waren schlagende Argumente für den Wechsel nach Hoffenheim. Dabei hatte Kuranyi nicht nur lukrativere Angebote von Klubs auf der arabischen Halbinsel, er stand auch in konkreten Gesprächen mit Bayer Leverkusen. Jetzt sagt Kuranyi, er freue sich darauf, mit den zahlreichen hochveranlagten, jungen Spieler in Hoffenheim zu arbeiten.

Junge Mannschaft soll von seiner Erfahrung profitieren

Derzeit hält sich der 1,90 Meter große Fußballer mit einem Athletiktrainer in einem Mittelmeerland fit, heißt es aus seinem Umfeld. Am Donnerstag soll er in Hoffenheim vorgestellt werden und das Training mit der Mannschaft aufnehmen, die derzeit noch in Norwegen im Trainingslager weilt.

Kuranyis Verpflichtung ist das bislang stärkste Zeichen von Trainer Markus Gisdol und Sportdirektor Alexander Rosen, nach der schlechten Rückrunde neue Reize in der Mannschaft setzen zu wollen. "Wir müssen den Verlust von Firmino als Chance begreifen, sowohl was die individuelle Entwicklung der Spieler aber auch die Entwicklung der Mannschaft und der Hierarchie angeht", sagt Rosen. Durch seine in vielen Jahren auf höchstem Niveau gemachten Erfahrungen im Profifußball, werde das gesamte Team sowohl auf, als auch neben dem Platz von Kevin Kuranyi profitieren, glaubt Rosen.

Kuranyi soll seine Integrationsfähigkeit einbringen

In Moskau fungierte der lebensfrohe Fußballer als Brücke zwischen den russischen und den ausländischen Spielern, organisierte zum Beispiel gemeinsame Grillabende. In russischen Klubs, so ein Insider, ist das Verhältnis zwischen den verschiedenen Gruppen schwierig. Kuranyi kam bei der Integrationsarbeit sein multikultureller Charakter zugute. Er ist in Rio de Janeiro als Sohn einer Mutter aus Panama und eines Vaters aus Frankreich geboren, sein Großvater war Ungar, erst mit 16 kam Kevin nach Deutschland und musste die deutsche Sprache erst lernen.

Der Hoffenheimer Kader kann nach dem Umbruch - neben Firmino gingen in Andreas Beck (Besiktas Istanbul) und Sejad Salihovic (China) auch "die beiden letzten Herbstmeister von 2008" (Rosen) - Integrationsfähigkeit und Routine gebrauchen. Und auch mehr Treffsicherheit: Zwar landete die TSG in der Statistik der herausgespielten Chancen in der vergangenen Runde unter den Top-3-Teams der Liga - das aber auch im Ranking der vergebenen Gelegenheiten. Kuranyis Quote war in Russland gut, in 123 Spielen traf er 50 Mal, spielte einige Male in der Europa League. Trainer Markus Gisdol sagt, Kuranyi identifiziere sich uneingeschränkt mit der Spielidee der TSG. Das heißt: Im notorischen Gegenpressing ist der Stürmer der erste Balljäger, der im Spielaufbau des Gegners die Verteidiger unter Druck setzt.

Unrühmlicher Abschied aus der Nationalmannschaft

In der vergangenen Saison belastete die ungeklärte Stürmerhierarchie das Klima in der Hoffenheimer Kabine. In Adam Szalai, Anthony Modeste und Sven Schipplock stritten drei Spieler um eine Mittelstürmerposition. In Schipplock (für 2,5 Millionen Euro zum HSV) und Modeste (für 4 Millionen nach Köln) verließen zwei Unzufriedene den Klub. Was Kuranyis Verpflichtung für den bislang enttäuschenden Szalai bedeutet, wird sich zeigen. In Mark Uth vom SC Heerenveen kam ein beweglicher Stürmer schon hinzu.

Es ist ein interessanter Zug, den die Hoffenheimer mit der Verpflichtung Kuranyis wagen. Die prägendste Erinnerung der deutschen Öffentlichkeit an den Spieler ist dessen unrühmlicher Abschied aus der Nationalmannschaft. Im Oktober 2008 verließ Kuranyi bei einem Länderspiel gegen Russland in der Halbzeitpause das Stadion in Dortmund, Bundestrainer Joachim Löw hatte ihn nicht für den Kader nominiert. Es war ein bitterer Abgang im DFB-Dress nach 52 Einsätzen und 19 Toren. Kuranyi, der auch für die WM 2006 nicht nominiert wurde, hat seinen Fehler später bereut, heute gehört dieser zu seinem Erfahrungsschatz. In Hoffenheim hat Kevin Kuranyi nun mindestens ein Jahr Zeit, sich in Deutschland wieder positiv in Erinnerung zu bringen.

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