Süddeutsche Zeitung

Bundesliga:Rheinisches Lazarett

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Sowohl der 1. FC Köln als auch Leverkusen haben den Ausfall von Stammspielern in Mannschaftsstärke zu beklagen - mit unterschiedlichen Konsequenzen.

Von Philipp Selldorf, Köln/Leverkusen

In gewöhnlichen Zeiten hat Peter Stöger an jedem Wochenende ein Problem mit seinem Gewissen. Der Trainer des 1. FC Köln ist ein Mann mit Mitgefühl, der seine Spieler nicht nur als nutzbringende Fußballer, sondern auch als Menschen schätzt. Es fällt ihm daher schwer, dass er Samstag für Samstag so viele seiner Schüler enttäuschen muss, weil er für sie bloß einen Platz auf der Bank oder gar auf der Tribüne hat.

Insofern könnte man meinen, dass die gegenwärtige Gesundheitskrise am Geißbockheim zumindest für Stöger etwas Gutes hat. Die vielen verletzten Stammspieler erleichtern ihm sein Werk, es bleiben nicht mehr viele übrig, die er bei der Aufstellung enttäuschen kann. Aber dieser Bonus schafft ihm keine Erleichterung - denn nun beschwert die Anteilnahme sein Herz. Der Anblick der mit Schienen und Krücken umherwandelnden Patienten aus dem Mannschaftskreis, "der tut halt allen leid", sagt Stöger, das eigene Empfinden auf die ganze Gruppe übertragend.

Mit den langfristig verletzten Stammspielern Timo Horn (Knie-Operation), Matthias Lehmann (Knie), Dominic Maroh (Schulter) und dem jüngsten Unglücksfall Marcel Risse (Kreuzbandriss) arbeitet Stöger seit dreieinhalb Jahren erfolg- und erlebnisreich zusammen; mit Leonardo Bittencourt, seit Oktober am Sprunggelenk verletzt, seit immerhin anderthalb Jahren. Logischerweise ist eine gewisse Nähe entstanden, die Stöger gern zulässt. Vor allzu weit ausgreifenden Vatergefühlen bewahrt den Trainer jedoch seine Professionalität. Weshalb er einerseits dem Bedauern über das Los der Maladen Raum geben und andererseits in aller Sachlichkeit das Heimspiel gegen Borussia Dortmund am Samstag anstimmen kann. "Das Wichtigste am Sport ist, dass du die Situation annimmst und schaust, wie du mit den Jungs, die zur Verfügung stehen, das Beste ablieferst", hat Stöger am Dienstag am Geißbockheim erläutert. Eine der vordringlichen Aufgaben bestand zunächst darin, den angeschlagenen Anthony Modeste und Simon Zoller die Trainingseinheit auf dem gefrorenen Rasen zu ersparen. Der Rest durfte nach 50 Minuten Arbeit in die warme Kabine.

Wie in Köln muss man auch auf der anderen Rheinseite mit einer Verletzungsserie umgehen, die nicht mehr in den Rahmen des Üblichen passt. Bei Bayer Leverkusen haben sich in der vergangenen Woche Kevin Volland und Admir Mehmedi bis ins neue Jahr hinein in den Krankenstand verabschiedet, nach dem Spiel gegen Freiburg (1:1) reichte auch Kevin Kampl ein Attest ein, das wenigstens acht Wochen Pause vorsieht. Kampls Fall ist unverdächtig, seine "bruchähnliche" Fußverletzung resultierte aus dem Kampfgeschehen. Anders ist es bei Volland und Mehmedi. Deren Fälle haben hinter den Kulissen detektivische Recherchen in Gang gebracht.

Es klingt nach Ironie, dass sich die beiden Angreifer just bei jener Gelegenheit im Dienst verletzten, die der Trainer Roger Schmidt seit Langem herbeigesehnt hatte. "Einfach mal eine komplette Trainingswoche" - so lautete neulich sein größter Wunsch, als er gefragt wurde, wie er die Mängel im Bayer-System zu beheben gedenke. Dass dann aus der Schulungswoche gleich zwei schwere Muskelverletzungen hervorgingen, deutete auf Missstände. In der regionalen Presse sah sich bald der Athletiktrainer Oliver Bartlett Beschuldigungen ausgesetzt, die Belastungsfähigkeit der Spieler falsch eingeschätzt zu haben. Der Engländer verfügt zwar über Referenzen, nachdem er jahrelang Jogi Löw beim Nationalteam und Jürgen Klopp bei Borussia Dortmund zugearbeitet hat, im Hause Bayer 04 ist sein Ansehen allerdings messbar gesunken. Nicht nur Volland und Mehmedi haben in jüngster Zeit Muskelblessuren beklagen müssen. 2014 kam Bartlett mit Roger Schmidt aus Salzburg an den Rhein, ob er 2017 noch dort sein wird, das ist fraglich. Gelinde ausgedrückt.

Wenn Schmidt und Stöger ihre Langzeit-Verletzten zu einer Elf zusammenführen könnten, dann käme ein starkes Team zustande: Horn; Risse, Maroh, Bender; Lehmann, Kampl; Volland, Bittencourt, Mehmedi, Bellarabi. (Bayer-Verteidiger Toprak hat sich fit gemeldet.) Doch wenn Schmidt am Sonntag sein Team für das Spiel bei Schalke 04 formiert, dann kann er aus ungleich größeren Reserven schöpfen als sein Kollege Stöger für die Partie gegen Dortmund. Die taktische Annäherung an Thomas Tuchels Borussia hat der österreichische Trainer noch nicht abschließend berechnet, eines aber konnte er am Dienstag "mit Sicherheit sagen: Wir werden uns nicht darauf ausruhen, dass wir die letzten beiden Spiele gegen Dortmund gewonnen haben". Das war übrigens Ironie.

Mancher Kölner jammert jetzt, dass der Verlust der Stammspieler nicht aufzufangen und überhaupt eine große Ungerechtigkeit sei, weil er die schöne Bilanz der Vorrunde zunichtemachen werde. Stöger hingegen lamentiert ausdrücklich nicht, nicht mal in Nebensätzen und Zwischentönen. "Es weiß ja keiner, ob es am Ende fünf, sechs Punkte mehr wären, wenn alle (Stammkräfte) spielen könnten", sagt er. Es macht den Eindruck, als ob er einen Reiz darin sieht, wieder in die bereits abgelegte Underdog-Rolle zu schlüpfen.

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Quelle:
SZ vom 07.12.2016
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