Süddeutsche Zeitung

Bundesliga: Relegation:Und dann trifft de Camargo

Gladbach gewinnt die hart umkämpfte erste Partie in der Relegation zur Bundesliga gegen Bochum durch ein Tor in der 93. Minute. Während die Gladbacher feiern, schimpften die Bochumer auf den Schiedsrichter - und sind trotz der Niederlage optimistisch.

Jürgen Schmieder

Kurz vor dem Ende stand Friedhelm Funkel milde lächelnd an der Seitenlinie. Er hatte gerade hatte in den Himmel geblickt und vielleicht deshalb gelächelt, weil der, wider Erwarten, nicht grau, sondern dunkelblau war. Vielleicht lächelte er aber auch vorsichtig, weil sein VfL Bochum dabei war, ein 0:0 beim ersten Relegationsspiel bei Borussia Mönchengladbach zu erreichen.

Seine Mannschaft hatte zahlreiche Gelegenheiten zugelassen und nur wenige selbst herausgespielt, weshalb Funkel ein torloses Unentschieden als Erfolg werten dürfte - und als er kurz vor dem Schlusspfiff zum Gladbacher Trainer hinüberblickte, da sah er, wie sein Kollege schimpfte und motzte und tobte. Und schon lächelte der Bochumer Coach weiter.

Dann jedoch gab es in der Nachspielzeit ein Gewühl im Bochumer Strafraum. Mike Hanke köpfte, Juan Arrango prügelte den abgewehrten Ball zurück, das Spielgerät tropfte zum eingewechselten Igor de Camargo - und der erzielte mit der Hacke den 1:0-Siegtreffer für Gladbach. Und während Favre nun jubelte, stürmte Funkel auf den Schiedsrichter zu, weil der seiner Meinung nach zu lange hatte nachspielen lassen.

Funkel hatte schon vor dieser ersten Partie über die Relegationsspiele genörgelt ("Ohne diese unsägliche Relegation stünde unser Aufstieg bereits fest"), dabei sprach die Statistik doch für ihn und seinen Verein. Als Spieler war Funkel zwei Mal mit Bayer Uerdingen der Aufstieg über die Relegation gelungen, dazu hatte der VfL Bochum nach seinen fünf Bundesliga-Abstiegen jeweils wieder den Aufstieg geschafft. Auch Funkel war als Trainer fünf Mal aufgestiegen.

Doch Funkel hatte vor der Partie in Gladbach zwei weitere Statistiken angeführt, die gegen seinen Verein sprechen. "Von zehn Relegationen gewinnt der Erstligist acht", hatte er gesagt, was der Realität von acht aus zwölf recht nahe kommt. Zum anderen sah er Gladbach im psychologischen Vorteil, weil die Mannschaft von Trainer Lucien Favre mit einer famosen Rückrunde noch in die Relegation rettete. Dass es beim VfL Bochum ähnlich war, das hatte Funkel geschickt verschwiegen.

Dass diese Partie kein Fußball-Feinschmeckermenü mit lukullischen Köstlichkeiten für den feinen Fangaumen sein würde, das war den meisten schon vorher klar. "Da spielt der 16. der Bundesliga gegen den Dritten der zweiten Liga", hatte Gladbachs Trainer Lucien Favre zuvor gesagt. Es wurde gefoult und getreten, sich beim Kopfball duelliert, wild gegrätscht, zuvor versprungenen Bällen hinterher gehechtet.

Tapferes und ehrliches Handwerk also, das durchaus seinen Reiz hatte. Es kamen in der ersten Halbzeit einige Torchancen zu Stande, die eher erkämpft als erspielt wurden und für die nicht einmal Louis van Gaal den Begriff "kreiert" verwenden würde.

Gladbach hatte dabei das quantitative Übergewicht: Juan Arrango köpfte nach nur 40 Spielsekunden knapp über das Tor, den von Mo Idrissou aufs Tor geprügelten Ball konnte Torwart Andreas Luthe abwehren (9.), der Schuss von Marco Reus (16.) aus 16 Metern verfehlte gar das Fangnetz hinter dem Tor. Dazu köpfte Dante aus sechs Metern geradezu grotesk über die Latte (24.), bei Mike Hankes Schuss reagierte Luthe gekonnt (33.).

Inmitten dieser Gelegenheiten sorgten die Bochumer für zwei Schreckmomente für die 54.000 Zuschauer im Borussia-Park. Nach einem Eckball köpfte Anthar Yahia den Ball über Torwart Marc-André ter Stegen hinweg, Philipp Daems konnte das Spielgerät an die Latte bugsieren (6.). In der 22. Spielminute stand Innenverteidiger Marcel Maltritz plötzlich alleine vor dem Gladbacher Tor, seinen Schuss konnte ter Stegen aber famos parieren.

Von der 25. Minute an jedoch wurde aus dem ehrlichen Handwerk beider Mannschaft bisweilen ein unlauteres. Die Grätschen wurden heftiger, die Tritte böser, die Pöbeleien gegen Schiedsrichter und Gegner intensiver. Dadurch freilich wurde das Passspiel ungenauer, Dante etwa entwickelte sich mit zunehmender Spieldauer zu einem Meister in der Kunst wild nach vorne gedroschener Bälle.

Lucien Favre wandte sich deshalb nicht selten angewidert ab, schüttelte verzweifelt mit dem Kopf oder brüllte wütend auf seine Spieler ein - denn freilich waren sowohl Ergebnis als auch die Art der Spielgestaltung eher den Bochumern genehm. "Wir haben gut begonnen, aber Bochum spielt mit", sagte Gladbachs Sportdirektor Max Eberl (im früheren Fußballerleben auch eher Handwerker den Feingeist) während der Pause - und forderte gar Unmögliches: "Wir müssen noch aggressiver spielen."

In der zweiten Halbzeit schienen sich dann beide Mannschaften zunächst an die Worte von Bochums Manager Thomas Ernst zu halten, der in der Pause gesagt hatte: "Diese Relegation dauert vier Halbzeiten." Sowohl Gladbach als auch Bochum legten eine kreative wie kämpferische Pause ein, als würden sie sich auf die beiden Halbzeiten in Bochum kommenden Mittwoch vorbereiten.

Erst von der 60. Spielminute an wurde die Partie wieder packend und intensiv, was vor allem daran lag, dass die Gladbacher erkannten, dass sie mit einem Sieg besser für die Halbzeiten in Bochum gerüstet wären als mit einem torlosen Unentschieden. Mike Hanke schoss zunächst zu ungenau (61.), danach scheiterte er nach schöner Hereingabe von Arrango aus vier Metern (67.) an seiner Technik und darauf mit einem schönen Kopfball an Torwart Luthe. Kurz vor dem Ende der Partie köpfte Dante noch zwei Mal über das Tor, Arrango scheiterte mit einem feinen Volleyschuss an Luthe.

Die Bochumer dagegen überschritten die Mittellinie nur noch, um ihren Abwehrspielern ein wenig Entlastung zu bieten und nicht als spielerische Totalverweigerer dazustehen - mehr als einige Distanzschüsse (einer gar aus mehr als 50 Metern) jedoch kamen bei den biederen Angriffen nicht heraus.

Als das Spiel dann abgepfiffen wurde, da jubelten die Gladbacher Spieler, Favre tanzte an der Seitenlinie herum und sagte danach: "Das ist unglaublich wichtig und verdient. Wir haben uns zeitweise zu wenig bewegt und haben nicht kreativ gespielt, doch wir waren geduldig und sind belohnt worden." Und natürlich sagte er auch wieder sein Lieblingswort: "Fantastisch!"

Die Bochumer waren jedoch ob der langen Nachspielzeit kaum zu beruhigen. "Ich weiß nicht, was im Kopf des Schiedsrichters vorgegangen ist", schimpfte Christopg Dabrowski. Funkel ergänzte: "Da soll er gleich drei Minuten anzeigen, dann haben wir kein Problem." Der Trainer bleibt dennoch optimistisch: "Wir haben mit Leidenschaft und Euphorie gespielt, sie werden am Mittwoch ein Riesenspiel erleben."

Zur Ehrenrettung von Schiedsrichter Günter Perl sei gesagt, dass der Treffer exakt 19 Sekunden nach der vorgegebenen Nachspielzeit von zwei Minuten fiel.

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