Bundesliga-Relegation:Dumme Sache

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Weniger Chancen als erhofft - und die beste nicht genutzt: Der Kölner Sebastian Andersson vergibt das 1:1 gegen Kiel. (Foto: Meuter/Nordphoto/imago)

Beim 1. FC Köln versuchen sie, den Ärger über das 0:1 gegen Kiel in positive Kraft umzuwandeln. Der Zweitligist erhält fürs Rückspiel unerwartete Unterstützung.

Von Ulrich Hartmann, Köln

Der Fußballer Jonas Hector hätte sich am Mittwochabend über Vielerlei aufregen können. Über seine drei erfolglosen Torschüsse. Über seine zwei folgenlosen Torschuss-Vorlagen. Und natürlich über sein verlorenes Kopfballduell beim Gegentreffer in der 59. Minute. Dieses Gegentor besiegelte die 0:1-Niederlage des Bundesligisten 1.FC Köln gegen den Zweitligisten Holstein Kiel im Relegations-Hinspiel. Es erhöhte dramatisch die Gefahr, dass Köln am Samstag zum siebten Mal in die zweite Liga absteigt.

Über all das hätte Kölns Kapitän fluchen und schimpfen können. Doch die Wut brach erst aus ihm heraus, als ihm ein Reporter des Senders DAZN im Interview nach dem Schlusspfiff zur Gesprächseröffnung unverblümt anbot: "Lassen Sie jetzt gerne einfach mal Dampf ab!" Und als er dann fragte: "Wie leer fühlen Sie sich?" Und als er abschließend auch noch wissen wollte: "Wie wichtig wird jetzt bis Samstag das Mentale - sich zu sagen: Da geht noch was?"

Hector wollte allerdings keinen Dampf ablassen. Er fühlte sich auch nicht leer. Und auf die Frage nach dem Mentalen wollte ihm vor Trotz keine Antwort einfallen. Die eigentlich harmlosen Fragen aber fühlten sich offenbar an wie Ohrfeigen. Sie machten dem 31-Jährigen wenige Minuten nach dem Abpfiff noch einmal bewusst, dass seinem 1. FC Köln nun sehr konkret der Abstieg droht. Draußen vor dem Stadion, hinter der Südtribüne, hörte man die Fans. Böller knallten. Die Akustik insgesamt deutete auf Unzufriedenheit hin. Und dann noch diese Fragen! "Scheißfragen!", bellte Hector. "Dumme Fragen!" Dann wurde er aus dem Interview entlassen.

"Es ist erst Halbzeit", sagt FC-Trainer Friedhelm Funkel betont ruhig

Nicht selten sind in Interviews nach Fußballspielen solche Ersatz- und Übersprungs-Wutanfälle zu beobachten. Es sind dann gar nicht so sehr die Fragen, die dumm sind. Es geht eher um zuvor dumm vergebene Chancen, um dumme Gegentore, dumme Niederlagen. Die Kölner hatten sich gute Gelegenheiten herausgespielt, um ein oder zwei Tore zu schießen. Das Gegentor nach einer knappen Stunde durch den soeben eingewechselten Kieler Simon Lorenz kam aus dem Nichts, wie man im Fußballjargon sagt. Unnötige Niederlagen gibt es immer wieder. Aber dieses war ein außerordentlich wichtiges Spiel für den 1. FC Köln, für die Stadt und die Fans. Die Vorstellung, dass ihr Herzensklub nächste Saison wieder mal nur in der zweiten Liga mitspielen darf, quält viele Menschen. Auch Hector.

Erhöhter Redebedarf: Ellyes Skhiri (links) muss sich harte Worte von FC-Kapitän Jonas Hector anhören. (Foto: Rolf Vennebernd/Reuters)

Am Samstag, kurz bevor um 18 Uhr in Kiel das Rückspiel angepfiffen wird, könnten sie ja vielleicht einen Reporter in die Kölner Kabine einladen und ihn einfach nur ein paar Fragen stellen lassen. Dann wären Jonas Hector und womöglich noch ein paar seiner Kollegen derart geladen, dass sie das 0:1 noch umzudrehen vermögen. Aber selbst wenn sie in der Kabine einfach nur ihren Trainer Friedhelm Funkel sprechen lassen, besteht noch eine realistische Chance, den Abstieg abzuwenden. "Es ist erst Halbzeit", sagt der 67-Jährige betont gelassen. Ein Tor aufzuholen in 90 Minuten, das geht immer.

Holstein Kiel will zum Rückspiel 2350 Zuschauer ins Stadion lassen - "aus Sicherheitsgründen"

Nun wurde allerdings am Donnerstag bekannt, dass das Rückspiel am Samstag für die Kölner doch schwieriger werden könnte als gedacht. Holstein Kiel will nämlich 2350 Zuschauer ins Stadion lassen - "aus Sicherheitsgründen". Beim finalen Saisonspiel gegen Darmstadt am vergangenen Sonntag hatten sie aus Fairnessgründen noch freiwillig auf Zuschauer verzichtet. Man wolle erst Fans zulassen, wenn dieses Recht für alle gelte, hieß es da noch. In Köln am Mittwoch waren keine Zuschauer zugelassen, weil die Inzidenz in der Stadt zu hoch war. In Kiel wollen sie auf ausgeglichene Bedingungen nun aber offenbar keine Rücksicht mehr nehmen. Am vergangenen Sonntag hatten sich vor dem dortigen Stadion ungefähr 1500 Fans versammelt. Solche Ansammlungen will man diesmal vermeiden. Und lässt die Zuschauer deshalb lieber geordnet ins Stadion.

Manchmal reicht eine Chance: Sven Lorenz (Nummer 19) nutzt - 19 Sekunden nach seiner Einwechslung - eine Lücke in der Kölner Abwehr zum entscheidenden Tor für Kiel. (Foto: Rolf Vennenbernd/dpa)

Das erhöht die Chancen, dass Holstein Kiel als erster Fußballklub Schleswig-Holsteins in die Bundesliga einzieht. 2350 Fans können elf Fußballern sehr gut Beine machen. Und das ist auch nötig. Immerhin ist das Rückspiel gegen Köln für Kiel bereits das elfte Spiel binnen 37 Tagen. Das macht im Schnitt fast alle drei Tage ein Spiel. Anfangs klappte das noch gut. Die Kieler verloren, abgesehen vom Pokalspiel in Dortmund, keines ihrer sechs Zweitliga-Spiele nach der Corona-Quarantäne. Sie gewannen sogar fünf davon. Erst als bloß noch ein Sieg zum Aufstieg in die Bundesliga nötig war, verloren sie 2:3 in Karlsruhe und 2:3 gegen Darmstadt.

Am Mittwoch in Köln demonstrierten sie, dass ihnen diese Misserfolge nicht nachhängen. Kompakt und auf Konter eingestellt, stürzten sie die Bundesliga-Fußballer des Traditionsklubs ins Unglück. Lorenz traf 19 Sekunden nach seiner Einwechslung. Janni Serra hätte mit einem zweiten Tor zwölf Minuten vor Schluss den Bundesliga-Aufstieg fast schon perfekt machen können, traf aber nur die Latte. So wird es jetzt noch einmal spannend. "Das wird bis zur letzten Minute heiß bleiben", prophezeit der Kieler Trainer Ole Werner. Findige TV-Reporter bereiten in Zusammenarbeit mit Psychologen schon mal ihren Fragenkatalog für die anschließenden Interviews vor.

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