Bundesliga:RB Leipzig - Mit Karambolage-Fußball zum Bayern-Konkurrenten

Lesezeit: 3 Min.

Das Team von Trainer Ralph Hasenhüttl etabliert sich an der Tabellenspitze mit gewaltsamem Fußball. Das Leipziger Selbstbewusstsein wächst.

Von Philipp Selldorf, Leverkusen

Wenn eine Mannschaft zweimal in Führung geht, am Ende aber verliert, dann erfährt sie üblicherweise am nächsten Tag aus den Überschriften der Boulevardpresse, dass sie zu dumm, zu doof oder zu dämlich sei, um ein Spiel zu gewinnen. Die Umstände, unter denen Bayer Leverkusen 2:3 gegen Leipzig verlor, ließen besonders drastische Schlagzeilen erwarten. Nicht nur, dass die Hausherren beim Stand von 2:1 einen Elfmeter verschossen, sie erleichterten auch die Gegentore, die den Aufsteiger zum Sieger machten.

Das böse Urteil der Kritiker mussten die Leverkusener jedoch nicht fürchten, das sprachen sie selbst aus. "Wir waren zu dumm, um die Führung richtig runterzuspielen", stellte Verteidiger Jonathan Tah fest. Dumm, dümmer und noch dümmer habe man sich verhalten, so lautete seine Analyse der Schlüsselszenen. "Warum sollte man sich selbst belügen?", sagte er, "man muss der Wahrheit immer ins Auge schauen."

"Das tut der Liga gut", findet Hasenhüttl

Die bitterste Wahrheit aus Leverkusener Sicht bestand darin, dass die Niederlage nicht nur auf den von Calhanoglu fahrlässig vergebenen Elfmeter sowie den heftigen Blackout des Torwarts Leno beim 2:2 zurückzuführen war, sondern auf die letztlich überlegenen Qualitäten des Gegners. Dies gestand sogar Bayer-Trainer Roger Schmidt ein, der selten ein Scheitern einzuräumen pflegt: Leipzig habe Leverkusens Fehler und Schwächen "ausgenutzt und sich den Sieg verdient", sagte er seufzend, "wir haben gut gespielt, aber nicht gut genug".

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Sein Kollege Ralph Hasenhüttl musste sich derweil beherrschen, damit er nicht vor Stolz und Freude durch den Saal tanzte. Dem Politikum, als ungeschlagener Aufsteiger die Tabelle anzuführen, trat Hasenhüttl mit einem staatstragenden Statement entgegen: "Das tut der Liga gut", sagte er, "aber es gibt im Moment nicht nur uns, sondern auch andere Mannschaften, die ihre Sache richtig gut machen."

Die Partie ging so geschwind los, dass die ersten beiden Tore gefallen waren, bevor überhaupt alle Spieler den Ball berührt hatten. Kampls Führungstreffer (2.) glich dessen Mitspieler Baumgartlinger mit einem Eigentor aus (4.). Der Mittelfeld-Zweikämpfer hatte nicht bloß in diesem Moment Probleme, dem irrwitzigen Tempo des Leipziger Spiels standzuhalten. Etlichen seiner Teamkollegen erging es im Laufe der zweiten Hälfte ähnlich, auffälligerweise auch dem Abwehrchef Toprak.

Es ist keine Beleidigung, den Leipziger Fußball als gewaltsam zu bezeichnen, er gleicht einem organisierten Überfallkommando. Da die Leverkusener eine artverwandte Variante praktizieren, sahen die Zuschauer zunächst ein Spiel, das eher in den Verkehrsfunk passte als ins Sportprogramm: Rund um den Ball herrschte extrem hohes Fahrzeugaufkommen, die Spieler waren wie rasende Motoren unterwegs, Unfälle und Karambolagen häuften sich, alle paar Minuten mussten Sanitäter ausrücken. Insgesamt sah die Partie aus, als wären hyperaktive Kräfte entfesselt worden. Beim Betrachter kam Sehnsucht nach Ruhe und Gelassenheit und eleganten Beckenbauer-Pässen auf.

Ansehnlicher wurde es, als die Kräfte der Spieler nachließen und sie nicht mehr ganz so bedingungslos jedem Ball hinterherhetzten. Leipzig agierte wacher und zielbewusster, was an Emil Forsbergs glänzenden Pässen lag - und an der einstudierten Eigenschaft, bei jeder Gelegenheit sofort mit einem direkten Steilpass den Blitzkonter zu starten.

Wäre Timo Werner außer schnell auch ein besserer Techniker, dann hätte RB vermutlich mehr Tore geschossen. So brauchte es ein Stück Beihilfe des Gegners für den Ausgleich. Dass Forsbergs dünner Fernschuss im Tor landete, das war Lenos Schuld, keine Frage. "So einen Schuss aus 25 Metern kann man auch mal halten", sagte Trainer Schmidt.

An Motivation und Teamspiel ist Leipzig zurzeit kaum zu überbieten

Aber das Tor war auch ein Zeichen der zunehmenden Leverkusener Überforderung. Beim 2:3 sahen sie dann nur noch ohnmächtig zu, wie Demme, Forsberg und Orban den Treffer perfekt inszenierten. "Vielleicht waren die Leipziger in der zweiten Halbzeit noch mehr da, sie wollten das Spiel unbedingt gewinnen, und wir haben nachgelassen", sagte Nationalspieler Tah. Möglicherweise hatte dieser Siegeswille auch mit der Farbbeutel-Attacke auf den Mannschaftsbus zu tun, die ein paar Vermummte bei der Anreise der Gäste unternommen hatten. An Motivation und geschlossenem Teamspiel ist dieses Leipzig zurzeit kaum zu überbieten.

RB-Kapitän Orban wurde später gefragt, ob sein Team sich nun als Tabellenführer mit dem FC Bayern vergleiche. Dies wies er jedoch zurück. Nicht aus Bescheidenheit, sondern aus Gründen der Logik: "Das machen wir nicht, weil wir noch nie gegen die gespielt haben. Mit Bayern beschäftigen wir uns, wenn es im Dezember so weit ist." Das klingt nicht nach Kleinmut. Roger Schmidt glaubt, dass sich der amtierende Meister und der Aufsteiger aus Sachsen zum Spitzenspiel treffen werden: "Ich sehe keinen Grund, warum Leipzig das nicht durchziehen sollte."

© SZ vom 21.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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