Herbstmeister RB Leipzig:Klares Feindbild für Märchenfreunde

RB Leipzig v FC Augsburg - Bundesliga

Ja, die Leipziger sind tatsächlich Herbstmeister.

(Foto: Bongarts/Getty Images)

Deutschlands meistgehasster Verein steht zum Jahreswechsel ganz oben in der Tabelle. Das sollte vor allem die sogenannten Traditionsklubs freuen.

Kommentar von Boris Herrmann

Anlässlich der Herbstmeisterschaft von RB Leipzig lohnt es sich, noch einmal an eine Fan-Choreografie vom August 2016 in Sinsheim zu erinnern. "Wir wollen auf den Thron zurück", stand damals auf einem Banner. Und damit war keineswegs die Herbstmeisterschaft der heimischen TSG Hoffenheim im Jahr 2008 gemeint. Es war ein Ausdruck der Sehnsucht nach ganz anderen Ehren. Auf dem nächsten Banner stand: "Deutschlands meistgehasster Verein, TSG 18,99€ Hoppenheim".

Die Traditionsdebatte treibt seltsame Blüten, seit in Leipzig erfolgreich Profifußball gespielt wird. Auch die Anhänger von VW Wolfsburg haben sich ja schon konsumkritisch mit diesem Thema auseinandergesetzt ("RB & Montagsspiele will kein Fan sehen"), was im Fall der Montagsspiele sogar stimmt. Ein Blick auf die aktuelle Zuschauertabelle verrät allerdings, dass ein handelsübliches Bundesligaspiel in Leipzig etwa 16 000 mehr Fans anlockt als eine vergleichbare Veranstaltung in Wolfsburg. Ultras von Bayer Leverkusen, so was soll es tatsächlich geben, demonstrierten mit dem Spruch "Aspirin statt Taurin" gegen den Ausverkauf der deutschen Fußballkultur. RasenballSport, vulgo: Red Bull, Leipzig spielt seit dreieinhalb Jahren in der höchsten deutschen Liga. Ungeachtet aller sportlichen Belange hat die auf dem Getränkemarkt gegründete Fußballfirma den Wettbewerb also um eine hübsche Kategorie bereichert: das mitunter sogar selbstironische Retorten-Bashing unter Retortenklubs.

Nun gibt es aber auch jene, die den Kulturkampf mit heiligem Ernst führen. Die Frontlinie verläuft zwischen Leidenschaft und Kommerz, Liebe und Geld, Stadionwurst und Klebebrause. Bullenschweine und Dosenklub gehören noch zu den harmloseren Rufnamen für die geschäftstüchtigen Leipziger. Man versteht, weshalb sich die Hoffenheimer mit ihrem Graswurzelmäzen Dietmar Hopp da inzwischen vernachlässigt fühlen.

"Ein Klub darf nicht wie ein Konzern geführt werden", sagt ausgerechnet BVB-Boss Watzke

Jetzt steht Deutschlands meistgehasster Verein zum Jahreswechsel also ganz oben in der Tabelle, und man hört einige schon wieder klagen über das Ende der Fußballwelt, wie wir sie einmal kannten. Dabei sollten sich vor allem die sogenannten Traditionsklubs über Leipzig freuen. Die Verwendung des Begriffes Traditionsklub setzt nämlich voraus, dass es auch Klubs gibt, die keine Tradition haben.

Tatsächlich gibt es gute Gründe, RB zu verachten. Einer der besten ist: "Ein Klub darf nicht wie ein Konzern geführt werden." Aber es entbehrt auch nicht einer gewissen Ironie, wenn solch ein Satz von Hans-Joachim Watzke geprägt wird, dem Geschäftsführer der börsennotierten Borussia Dortmund GmbH & Co. KGaA.

Auf dem Markt der Mythen gelingt es den Dortmundern selbst im Erneuerbare-Energie-Zeitalter noch, sich als der Verein der rußgeschwärzten Kohlekumpels zu positionieren. Ein paar Kilometer weiter kicken die angeblichen Malocher von Schalke, die sich vom russischen Staatskonzern Gazprom hauptsponsorn lassen. Und in Berlin-Köpenick wird der 1. FC Union wahrscheinlich bis in alle Ewigkeit als "ehrlicher Schlosserklub" verehrt, obwohl auch dort längst keine Schlosser mehr mitspielen.

Es ist schon erstaunlich, dass es im Milliardengeschäft Profifußball immer noch Vereine gibt, die es schaffen, bei ihren Sympathisanten das Gefühl zu erzeugen, es hätte sie schon immer gegeben. Sie nennen sich gerne "gewachsene Vereine", als wären sie in einem unschuldigen Fußballparadies an Bäumen herangereift. Dabei handelt es sich um ein romantisches Märchen, das sich in diesem modernen Traditionsgewerbe nur deshalb erzählen lässt, weil da - man kann schon fast sagen: traditionell - auch die Wolfsburgs, die Leverkusens oder die Hoffenheims mitmischen. Und neuerdings eben auch RB Leipzig, das ein besonders klares Feindbild für Märchenfreunde abgibt: die böse Brausehexe.

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