Bundesliga:"Platz eins passt zu dieser wundervollen Stadt"

1. FC Köln - SC Freiburg

Stürmer Anthony Modeste trifft gegen den SC Freiburg doppelt und freut sich für die Fans des 1. FC Köln.

(Foto: Rolf Vennenbernd/dpa)

Nach dem Sieg gegen Freiburg berauscht sich das Umfeld beim 1. FC Köln an der ersten Tabellenführung seit 20 Jahren. Die Mannschaft schätzt die Lage realistischer ein.

Von Philipp Selldorf, Köln

Der Abend in Müngersdorf begann nachdenklich und wehmütig. Ein Barde mit Hut und Harmonika-Unterstützung bezog Posten vor der Fankurve und sang "In unsrem Veedel". Dieses Lied nimmt in der Rangfolge der zahlreichen kölschen Nationalhymnen einen der vordersten Plätze ein, es handelt von der schmerzlichen Vergänglichkeit und vom Zusammenhalt der Menschen in den Zeiten unaufhaltsamer Veränderung. Es war also die ideale Ballade für diesen außerordentlichen Abend, von dem jeder Kölner wollte, dass er nie verginge, und von dem jeder wusste, dass er schon am nächsten Nachmittag Geschichte sein würde.

"Helden für eine Nacht" titelten am Samstagmorgen die lokalen Zeitungen, denn es war etwas geschehen, das man nach all den entbehrungsreichen Jahren nicht mehr zu träumen gewagt hatte: Durch den 3:0-Sieg gegen den SC Freiburg übernahm der 1. FC Köln den ersten Platz in der Tabelle der Fußball-Bundesliga.

Natürlich wussten die FC-Fans, dass die exponierte Platzierung genau das ist, als was die Spieler des FC sie klassifizierten: "Eine schöne Randnotiz" (Marco Höger) und "ein Bonus" (Dominique Heintz). Trainer Peter Stöger hat niemandem etwas Neues erzählt, als er am Freitagabend um Viertel nach elf feststellte: "Morgen um siebzehnuhrdreißig ist der Spuk wieder vorbei."

Die Platzierung passe zu Köln, schreibt Ersatztorwart Kessler bei Twitter

Aber der Wiener kennt nach mehr als drei Jahren in Köln seine Mitmenschen gut genug, um zu wissen, was die mutmaßlich nicht länger als 18 Stunden währende Tabellenführung mit den Leuten anstellen würde: "Es ist klar, dass in der Stadt jetzt alle Kopf stehen", bemerkte er in jenem nüchternen Ton, in dem man der Vollständigkeit halber etwas Selbstverständliches erwähnt.

Tatsächlich waren die Straßen der Stadt in der Nacht voll von jungen und nicht mehr so jungen Menschen, die rotweiße Trikots trugen und "Spitzenreiter, Spitzenreiter" grölten. Wen interessiert es schon, dass mit maximaler Wahrscheinlichkeit morgen wieder die Bayern oben stehen würden? Was zählte: Dass in diesem Moment ausnahmsweise Phantasie und Wirklichkeit übereinstimmten.

"Zum ersten Mal, seitdem ich denken kann, passt die Platzierung zu unserer wundervollen Stadt und ihren Menschen", teilte der aus Köln stammende FC-Ersatztorwart Thomas Kessler feierlich via Twitter mit. Kessler war zehn Jahre alt, als der FC das letzte Mal in der ersten Liga ganz oben stand: auch damals am 3. Bundesligaspieltag, und wieder hatte der SC Freiburg Geleit gegeben.

Als der FC 1996 ganz oben stand, ging es gegen Freiburg mit Schmadtke im Tor

Beim 3:1-Sieg des FC unter der Regie von Peter Neururer stand ein Mann im Tor des Sportclubs, der heutzutage in Köln die höchsten Beliebtheitswerte genießt, die hier je einem Düsseldorfer zuteilwurden: Jörg Schmadtke. Stögers Landsmann Toni Polster hatte mit zwei Treffern den Sieg gesichert und hinterher den schönen Satz gesagt: "Ich widme meine Tore den Fans im Müngersdorfer Stadion. Doch für diese Leute wären sogar 50 Treffer pro Saison als Dank zu wenig."

Auch am Freitagabend stand ein Doppeltorschütze im Blickpunkt, und auch Polsters Mittelstürmer-Kollege Anthony Modeste dachte an die leidenschaftlichen FC-Fans, als er zu seinen Taten Stellung nahm. Was die Tabellenführung zu bedeuten habe, wurde er gefragt. "Mir: nichts. Den Fans: alles", antwortete der Südfranzose, der im Sommer beinahe abhanden gekommen wäre. "Was für ein riesiges Glück, dass der Tony jetzt nicht in China sitzt und Geld zählt", stellte ein hoher Klubvertreter fest.

Modeste hatte im Juni ein unerhörtes Angebot aus dem Reich der Mitte erhalten und drohte zwischenzeitlich der Versuchung zu erliegen. Die Rechts- und Vertragslage sprach jedoch für den FC, Modeste bekannte sich zu seinem Verein, und die Irritationen im Binnenverhältnis zerstreuten sich wieder. Enttäuschte Gefühle wären auch fehl am Platze - einen Ersatzmann mit vergleichbaren Fähigkeiten hätte sich der FC auf dem entfesselten Transfermarkt nicht leisten können.

"Der hat halt mehr Kraft": Freiburgs Streich würdigt Modeste nach dem Spiel

Auch Freiburgs Trainer Christian Streich würdigte die Qualitäten des Kölner Angreifers: "Der Modeste war halt stärker, der hat halt mehr Kraft", sprach er mit einem Seufzen, das so traurig und fatalistisch war, dass man am liebsten Modeste in den Freiburger Mannschaftsbus gesetzt hätte.

Zum schweren Seufzen bestand aber aus Sicht des Sportclubs nur bedingt Anlass. Die Drei-Tore-Differenz entsprach nicht dem Spielverlauf, der Aufsteiger hinterließ einen guten Eindruck. "Wir haben das gemacht, was wir gegen Darmstadt und in Wolfsburg haben vermissen lassen: Wir waren effektiv", hob der Kölner Mittelfeldspieler Höger den Unterschied hervor. Der Sportclub half mit punktuellen Aussetzern nach: Vor dem 0:2 durch Leonardo Bittencourt wurde Verteidiger Caglar Söyüncü Opfer eines selbstverursachten Schwindelanfalls; Modestes 0:3 folgte einem Einwurf von Verteidiger Frederik Sörensen - und einem Tiefschlafmoment der Freiburger Hintermannschaft.

Dass der FC in der zweiten Halbzeit bloß auf Ergebnisverwaltung zielte: geschenkt. Die Kölner Fans brauchten kein Schützenfest. Sie hatten, was sie wollten. Für eine lange kölsche Nacht waren sie: Spitzenreiter, Spitzenreiter, hey, hey ...

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