Süddeutsche Zeitung

1. FC Nürnberg:Der fürsorgliche Besserwisser

  • Mit Trainer Michael Köllner tritt der 1. FC Nürnberg an diesem Samstag beim FC Bayern an.
  • Bevor Köllner das Amt übernahm, war er Messdiener, Klosterschüler und Zahnarzthelfer. Seine Erfahrungen haben ihn geprägt.
  • Hier geht es zur Tabelle der Fußball-Bundesliga.

Von Gerhard Fischer

Fuchs und Mühl ergeben Fuchsmühl. Das würde kein Schwein interessieren, wenn sich nicht Folgendes zugetragen hätte: Neulich, in Augsburg, schossen Alexander Fuchs und Lukas Mühl die Tore für den 1. FC Nürnberg. Trainer Michael Köllner sagte, es freue ihn, "dass es mein Heimatort Fuchsmühl in die Torschützenliste geschafft hat".

Köllner ist pfiffig und extrovertiert, er ist der Aufstiegstrainer und vom Vorstand mit einem Bleiberecht ausgestattet, selbst wenn Nürnberg absteigen sollte. Er ist ein Typ. Manchmal auch ein Kauz. Franz Beckenbauer hat zum Freiburger Christian Streich gesagt, als er ihn erstmals traf: "Ich dachte, du bist ein Wahnsinniger, aber du bist ja ganz nett." Michael Köllner gewinnt auch, wenn man ihm begegnet, und er hat etwas von Streich: die Eigenwilligkeit, die Geradlinigkeit - und den Willen, Dialekt zu sprechen. Köllner ist Oberpfälzer. Um ihn zu verstehen (in diesem Fall ist sein Charakter gemeint), muss man in dieses Fuchsmühl zurückblenden, in einen kleinen Ort im Landkreis Tirschenreuth.

Köllner, 48, wuchs in den 1970er Jahren auf, seine Tante hatte eine Metzgerei und die größte Wirtschaft in Fuchsmühl. Es gab fünf Wirtshäuser für 1500 Einwohner, das kulturelle Leben bestand aus Schützenverein, Fußballverein, Feuerwehr. Köllner war natürlich Fußballer, natürlich Ministrant und nach eigenen Angaben auch ein großer Lausbub. Gläubiger Christ ist er heute noch.

Es gibt auch Menschen, die ihn nicht mögen

Als er zehn war, ging er ins Klosterinternat nach Weiden. Das ist bloß 30 Kilometer von Fuchsmühl entfernt, aber es war eine andere Welt, in der dem Lausbuben Grenzen aufgezeigt wurden. Köllner musste mit 20 Buben in einem Zimmer schlafen, jede Nacht habe "gefühlt einer geweint, weil er Heimweh hatte", erzählte er einmal. Das Waschbecken war auf dem Gang. Es lief bloß kaltes Wasser. Die Älteren bestimmten über die Jüngeren, und wer nicht spurte, wurde auf den hohen Spind gehoben oder in den Papierkorb gesteckt. Das prägt. "Die Bundeswehr danach war ein Ferienlager", sagte er.

Dort machte er eine Ausbildung zum Zahnarzthelfer, weil ein Bundeswehr-Zahnarzt gefragt hatte, ob er bei ihm arbeiten wolle. Die Abschlussprüfung schrieb er mit 300 Mädchen, und auf dem Zeugnis strichen sie das "in" von Zahnarzthelferin mit dem Filzstift durch.

Später wurde er Sportfachwirt und Fußball-Lehrer, er schrieb Fußball-Bücher und trainierte Jugendmannschaften, sehr lange jene des DFB. In Nürnberg wurde er Leiter des Nachwuchs-Leistungszentrums, dann im Frühjahr 2017 Trainer der Profis. Von Anfang an hat er polarisiert.

Da gibt es Spieler, Funktionäre und Journalisten, die ihn als empathisch und fürsorglich beschreiben. Als einen, der mehr im Kopf hat als Fußball. "Bildung hat noch keinem geschadet", sagte er einmal. Er geht mit den Spielern ins Kloster, gibt Lesetipps und diskutiert mit ihnen über Politik. Er selbst liest Bücher über den 1. FC Nürnberg und besucht die Stammtische der Meister-Elf von 1968. Köllner will, dass was zusammenwächst, er spricht oft von der "großen Club-Familie". Köllner ermuntert seine Spieler auch, gemeinsam etwas zu unternehmen.

Aber es gibt auch Menschen, die ihn anfangs nicht mochten (und heute vielleicht immer noch nicht mögen). Journalisten und Leute aus dem Verein, die von den Journalisten als "Leute aus dem Verein" zitiert wurden. Köllner, sagten die einen und schrieben die anderen, sei "schwer zugänglich" und ein "Besserwisser". Er halte sich für einen "Allesköllner".

Michael Köllner geht damit lässig um. "Ich bin das alles - ein Kümmerer, empathisch und schwer zugänglich, und ein Besserwisser", sagte er einmal und lachte dabei. "Das ist wie in einer Familie - man zeigt alle Seiten, manchmal muss man weich sein, manchmal streng." Er habe im Nürnberger Nachwuchs-Zentrum "auch Seilschaften zerschlagen". Es sei klar, dass die Betroffenen sich enttäuscht äußerten, auch über die Medien.

Aber Köllner hat Erfolg. Er ist aufgestiegen, Nürnberg steht in der Bundesliga über dem Strich - trotz eines 0:7 in Dortmund, trotz eines 0:6 in Leipzig. Der Klassenerhalt wäre eine beachtliche Leistung, denn das Team ist bescheiden besetzt. Da sind Junge wie Fuchs und Mühl, tapfere Kämpfer wie Behrens (der in München fehlen wird) und Petrak; und da gibt es Goden, Kubo und Misjidan, die in keinem Quiz als Bundesliga-Spieler identifiziert werden würden. Köllner holt offenbar viel aus dieser Mannschaft heraus, er gilt als taktisch ausgefuchst und als ein Freund des gepflegten Balltransports. "Es heißt doch Fußballspiel und nicht Fußballschlagen oder Fußballkämpfen", sagte er mal.

26 Jahre

ist es her, dass der Club beim FC Bayern München gewonnen hat. Sergio Zarate (2) und Christian Wück trafen am 28. März 1992 beim 3:1 im Olympiastadion. Insgesamt ist die Bilanz frustrierend: Nürnberg verlor 23 von 30 Gastspielen, die vergangenen sechs bei 1:18 Toren.

"Viele Leute spielen auch Lotto"

Seinem Chef gefällt das. Club-Vorstand Andreas Bornemann sagte am Montag im kicker auf die Frage, ob er mit Michael Köllner in die zweite Liga gehen würde: "Er bleibt unser Trainer. Wir sind in den nächsten Jahren darauf angewiesen, Spieler weiterzuentwickeln. Und darin ist er hervorragend." Vor dem Spiel bei den Bayern war Köllner erst mal kleinmütig, aber er ist eben taktisch ausgefuchst: Wer sich klein macht, kann größer heraus kommen. Wie groß denn der Unterschied zwischen dem FCB und dem FCN sei, wurde er gefragt. "Die einen sagen eine Liga, die anderen Welten und wieder andere Galaxien", meinte er. Eigentlich sei der FC Bayern "ja fast Galaxien entfernt". Realistisch betrachtet habe man keine Chance.

Also gar nicht erst antreten? Die Punkte schön eingepackt nach München schicken, sozusagen drei Punkte im Weggla?

Das nun doch nicht. Am Ende sagte Köllner: "Viele Leute spielen auch Lotto, obwohl sie wissen, dass ihre Chance auf einen Sechser minimal ist."

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Quelle:
SZ vom 08.12.2018/ebc
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