Bundesliga nach Terror:Wie der Fußball den Schock bewältigt

Training Nationalmannschaft

Polizei am Trainingsplatz: Bundestrainer Joachim Löw bei den Vorbereitungen der Nationalelf in Barsinghausen in Niedersachsen.

(Foto: Nigel Treblin/dpa)
  • Der Schock nach den Vorgängen in Paris und Hannover sitzt bei allen Beteiligten im Fußball tief.
  • Am Wochenende soll der Bundesligaspieltag unter höheren Sicherheitsvorkehrungen ausgetragen werden.
  • Wie die Nationalspieler die Ereignisse verkraftet haben, ist unklar.

Von Johannes Aumüller und Philipp Selldorf

Auf den matschigen Parkwegen gab es jetzt kein Durchkommen mehr. Polizisten, die nicht mehr freundlich waren, sondern Helme, Masken und Maschinenpistolen trugen, hatten den Zugang zum Stadion abgeriegelt. Statt auf der Tribüne saß der kommissarische DFB-Präsident Reinhard Rauball jetzt auf einer Pressekonferenz neben Bundesinnenminister Thomas de Maizière und dessen niedersächsischem Kollegen Boris Pistorius, die über die Gründe für die Absage des Länderspiels gegen die Niederlande informieren sollten. Und es lag wohl am Stress und an der Spannung dieses Abends, dass der erfahrene Jurist und Funktionär im Laufe der Befragung einen Satz sagte, den er womöglich wenig später schon bereute.

Rauball war auf die Auswirkungen des Geschehens auf den kommenden Bundesliga-Spieltag angesprochen worden, und der 68-Jährige erwiderte, dass er diese Frage "nicht übel nehmen" könne, er habe sie sich selbst schon gestellt. Schließlich bemerkte er: "Mein Eindruck ist, dass der Fußball in vielen Facetten eine andere Wende bekommen hat." Zwar ergriff de Maizière umgehend das Wort und erklärte, dass die Deutschen selbstredend weiter Fußballspiele, Volksfeste und Weihnachtsmärkte besuchen dürften: "Wir sind nicht bereit, unsere Lebensweise zu ändern." Aber Rauballs Aussage konnte er nicht mehr aus der Welt schaffen.

Liga zeigt trotzige Reaktion

Noch am Abend gab Rauball allerdings in klaren Worten die Marschroute für die Haltung des nächstes Tages vor: Der nächste Bundesliga-Spieltag an diesem Wochenende soll wie geplant stattfinden, verkündete er. Jeder Funktionär, der sich zum Thema äußerte, schloss sich dem an. "Dass gespielt wird, steht außerhalb jeder Frage. Das wäre eine solche Kapitulation, das würde ja Freudenstürme in Syrien und anderswo auslösen", sagte BVB-Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke. Die Experten sehen keine spezielle Gefahrenlage für den Fußball, der DFB-Sicherheitsbeauftragte Hendrik Große Lefert warnte vor "Panik".

Die Spiele finden also statt, aber dass die Ereignisse in Paris und Hannover Auswirkungen auf den Stadionbesuch haben, steht auch schon fest. An den jeweiligen Orten setzen sich nun die Verantwortlichen der Klubs mit den Vertretern der Polizei und der Behörden zusammen, um zu erörtern, welche zusätzlichen Schritte nötig sind. Es gibt zwar ein paar Empfehlungen des DFB, aber jedes Spiel ist ein Einzelfall.

Aus manchen Klubs heißt es, dass sie das anstehende Spiel wie ein "Risikospiel" betrachten - unter diesen Begriff fallen gemeinhin Partien, oft brisante Derbys, die ein erhöhtes Sicherheitsbedürfnis haben. Diverse Vereine kündigten bereits verstärkte und intensivere Einlasskontrollen an. Zwar muss schon jetzt jeder Zuschauer kontrolliert werden, aber es ist bekannt, dass das Abtasten im Einzelfall oder kurz vor Spielbeginn schon einmal rascher und oberflächlicher geschieht als eigentlich gedacht.

Es sei nun überall mit längeren Schlangen und Wartezeiten zu rechnen, sagt Jörg Radek, der stellvertretende Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei; die Fans sollten rechtzeitig und früher als üblich am Stadion sein. Auch Vip- oder andere Gäste, die üblicherweise ohne Kontrolle ins Stadion kommen, müssen sich nun an manchen Stadien abtasten lassen. Der rheinland-pfälzische SPD-Politiker Roger Lewentz, derzeit Vorsitzender der Innenministerkonferenz der Bundesländer, appellierte an die Fans, Pyrotechnik und Böller diesmal erst recht zu Hause zu lassen.

Nationalspieler sind spürbar beklommen

Womöglich führt die Debatte noch zu weiteren Schritten. "Wir müssen uns bewusst sein, dass Gefährdungslagen bestehen, und überlegen, ob wir zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen ergreifen", sagte DFB-Interimschef Rainer Koch. Leverkusens Sportchef Rudi Völler sprach sich dafür aus, über die Einführung personalisierter Tickets wie in Italien zu diskutieren.

Sicherheit und Fußball, das ist nicht zuletzt auch in finanzieller Hinsicht ein Dauerthema. Es ist schwer, den Kostenaufwand für alle Bundesliga-Spiele zu beziffern; Schätzungen gehen von einem hohen zweistelligen Millionen-Betrag aus.

Manche Bundesländer sehen es nicht mehr ein, dass sie die Kosten übernehmen sollen. Zuletzt schickte das Land Bremen der Liga eine Rechnung über 425 718,11 Euro wegen des Mehraufwandes beim Derby Werder gegen den HSV. Nun teilte eine Senatssprecherin mit, sie würden auch künftig keine Gebührenbescheide ausstellen, wenn ein Spiel durch erhöhte Terrorgefahr mit mehr Polizeikräften abgesichert werden müsse als üblich, sondern nur, wenn mit mehr Gewalttätigkeit im Zusammenhang mit Fußball gerechnet werden müsse.

Nationalspieler suchen Normalität

Auch bei den Nationalspielern ist fraglich, wie es weitergeht. Die Akteure und ihre Trainer, die auf der Fahrt zum Stadion von der Absage des Spiels erfuhren und prompt umkehrten, waren nach Angaben des DFB größtenteils noch am Abend aus Hannover heimgereist. Viele erschienen am nächsten Tag zum Dienst bei ihren Klubs. Aber ob sie nach den dramatischen Geschehnissen erst in Paris und dann in Hannover geradewegs in den gewohnten Betrieb zurückkehren können?

Rauball erzählte am Dienstagabend, er habe schon beim Mittagessen im Quartier die Beklommenheit in der Mannschaft gespürt. "Da muss aufgepasst werden", sagte er und drückte die Sorge aus, dass die Erfahrungen der vergangenen Tage bleibende Spuren hinterlassen könnten.

Schon der Auftritt und die Äußerungen von Joachim Löw am Montag hatten nahegelegt, dass einigen Spielern die Absage der Partie lieber gewesen wäre als deren Austragung zum Zweck einer politischen Zeichensetzung. Einige wenige Spieler hätte man tatsächlich überreden müssen, hieß es am Mittwoch beim DFB, aber man habe natürlich niemanden gezwungen. Die Bedenken im Team hatte der DFB ja selbst öffentlich gemacht, als er am Spieltag ein Statement von Ilkay Gündogan verbreitete, in dem der Dortmunder seine zerrissene Gefühlslage schilderte. Am Abend stellte Rauball fest: "Nach dem heutigen Tag müssen wir uns um die Spieler kümmern und möglicherweise auch den Teampsychologen stark einbeziehen." Hans-Dieter Herrmann, der DFB-Psychologe, hat sich am Mittwoch dann via dfb.de zu Wort gemeldet und erklärt, dass die Spieler schon "deutlich angespannt" gewesen seien, "als der Bus plötzlich in eine andere Richtung fuhr und die Nachricht der Absage verkündet wurde". Es sei durchaus "denkbar, dass Sorgen und Ängste bei einigen erst mit etwas Abstand zu Tage treten".

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