Leverkusens Krise:Bosz fährt immer die gleiche Linie

Football: Bundesliga - day 26: Hertha Berlin v Bayer Leverkusen

Was machen wir bloß falsch? Leverkusens Trainer Peter Bosz (rechts) und Neu-Nationalspieler Florian Wirtz beim 0:3 in Berlin.

(Foto: Sören Stache/AFP)

Im Winter war Leverkusen Tabellenführer und galt als heimlicher Herausforderer des FC Bayern - jetzt verliert die Elf nur noch. Das hat auch mit Trainer Bosz zu tun, der stur bei seinen Mitteln bleibt.

Von Philipp Selldorf, Leverkusen

Der Bundestrainer hat Jonathan Tah nicht vergessen, als er in der vergangenen Woche seine Besetzungsliste für die anstehende Länderspiel-Serie aufstellte. Das mag daran liegen, dass er möglicherweise etwas anderes vergessen hat, nämlich Tahs unglückseligen Auftritt beim 0:6 der Nationalelf in Spanien, der ja schon ein paar Monate zurückliegt. Es kann aber auch sein, dass Joachim Löw neulich das Interview mit Simon Rolfes gelesen hat, in dem Bayer Leverkusens Sportdirektor behauptete, Tah sei "reifer und erwachsener geworden".

Der Einsatz des 25 Jahre alten Verteidigers beim Leverkusener 0:3 im Berliner Olympiastadion lud jetzt ebenfalls dazu ein, Pro und Kontra abzuwägen. Es gab einige Szenen in der Partie, in denen Tah nicht wie der Auswahlspieler einer großen Fußballnation aussah. Beim Berliner 2:0 klebte er zwar vorschriftsmäßig eng am Gegenspieler Jhon Cordoba, öffnete damit aber Matheus Cunha den Weg vors Tor. Beim dritten Berliner Treffer wurde Tah abermals unvorteilhaft am Tatort gesichtet: Er war zur richtigen Zeit am richtigen Ort und am richtigen Mann - und kam trotzdem nicht an Cordoba und den Ball heran.

Und das Pro? War auch kein Trost. Im Direktvergleich war Tah zwar der bessere Zentralverteidiger als sein Nebenmann Edmond Tapsoba, den Sportchef Rolfes neulich noch für "unverkäuflich" erklärt hatte. Doch der vielfach gefeierte Tapsoba steckt längst in dem gleichen scheinbar bodenlosen Leistungsloch wie die meisten seiner Leverkusener Mitspieler. Die Bilder seiner aktuellen Auftritte wirken wie Manipulationen, die in Umlauf gebracht wurden, um seinen Marktwert zu senken.

Tapsoba ist eigentlich eine heiße Aktie an der Fußballbörse. Für den 22-jährigen Abwehrspieler aus Burkina Faso hatte Bayer im Winter 2019/20 eine Ablöse gezahlt, die weitaus größer war als die Adresse des Empfängers. Doch der portugiesische Provinzklub Vitoria Guimaraes konnte auf finanzkräftige Mitbieter verweisen. Bayer zahlte gern und Bayer gewährte vor drei Monaten auch gern eine Gehaltserhöhung für Tapsoba, um den ohnehin bis 2025 laufenden Vertrag um ein weiteres Jahr zu verlängern. Damit wollte man sich gegen die alsbald erwarteten Annäherungsversuche internationaler Großklubs absichern.

Essen, Bern, Mainz, Berlin, Bielefeld, Freiburg: Stationen der Bayer-Krise im Jahr 2021

Was ist seitdem passiert mit Edmond Tapsoba? Was ist los bei Bayer 04? Solche laienhaften Fragen stellen sich derzeit auch die Verantwortlichen in Leverkusen, und zwar in quälender Regelmäßigkeit. Essen, Bern, Mainz, Berlin, Bielefeld, Freiburg - diese Städtenamen bezeichnen Stationen der Krise, die im Jahr 2021 von der Bayer-Elf Besitz ergriffen hat. Zugleich zeigen diese Orte an, dass Leverkusens Pleiten-Serie nicht mit der potenziellen Übermacht der Gegner zu erklären ist. Diese Serie ist eine Eigenproduktion, und es ist unvermeidlich, dafür den Regisseur heranzuziehen.

Nach dem bitteren Nachmittag in Berlin machte das Gerücht die Runde, schon am Abend werde ein Schnellgericht tagen und die Beurlaubung für Trainer Peter Bosz beschließen. Das war jedoch nicht der Fall. Allerdings hielt sich die Leverkusener Chefetage am Sonntag und Montag ausdrücklich mit Kommentaren zur Lage zurück.

Was man Bosz nicht nachsagen kann: dass er in der Krise keine Linie hätte. Genau das ist aber eines seiner Probleme - die Linie des niederländischen Trainers ist immer die gleiche. Spielstil, Besetzung, Coaching, Kommunikation: Stets sind es die Mittel und die Worte vom vorigen Wochenende, die er Samstag für Samstag wiederholt. Seine von offensivem Denken geprägte Lehre hatte Bayer 04 bis zum Weihnachtsfest zum Tabellenführer und heimlichen Bayern-Herausforderer gemacht. Nun gilt das Festhalten an der Strategie als Ausdruck limitierter Handlungslösungen. Ein paar umstrittene Personalien garnieren die Vorwürfe: der strenge Umgang mit Mittelfeldspieler Kerem Demirbay und der nachsichtige Umgang mit Charles Aranguiz etwa oder die Vorzugsbehandlung für Patrik Schick und die Benachteiligung von Lucas Alario.

Dass Bayer 04 in einer sportlich ernsten Krise steckt, ist in den Fußballmedien bisher nur am Rande diskutiert werden. Dass dieser Klub in existenzielle Schieflage gerät, wenn er die internationalen Plätze verfehlen sollte, das braucht tatsächlich niemand zu glauben. Die Sportchefs Rudi Völler und Simon Rolfes haben zuletzt versucht, ein wenig öffentlichen Druck aufzubauen. Womöglich werde man ohne den Europacup Spieler verkaufen müssen, sagte Völler, und Rolfes meinte, ein Jahr ohne Europa sei "nicht vorstellbar".

Aber Sorgen um die Zukunft macht sich erstmal nur der Trainer. Jonathan Tah äußerte am Sonntag in Berlin Kritik an den Mitspielern: "Ich hatte nicht das Gefühl, dass wir uns als Mannschaft zu hundert Prozent unterstützen und helfen." Und das waren doch zumindest sehr erwachsene Worte des Nationalspielers.

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