Nicht nur am Fernsehschirm, auch in seiner wirklichen Gestalt ist Robin Zentner eine beachtliche Erscheinung. 1,94 Meter misst er, und sein Gewicht nähert sich – Pardon – dem Doppelzentner. Insofern ergriff der Reporter eine mutige Initiative, als er den Torwart des FSV Mainz 05 befragte, ob er den Freistoß, der das einzige Tor der Partie brachte, nicht doch hätte abwehren können. Eventuell, vielleicht, womöglich … Zentner stutzte zunächst, als ob er nicht glauben könne, was ihm da gerade angetragen wurde, dann straffte er sich und sprach mit beinahe donnernder Stimme: „Was ist das für eine Frage? Natürlich kann man den nicht halten!“ Und damit war die Unterredung im Leverkusener Kabinengang beendet, Zentner hatte genug Unfug gehört.
Weitere Auskünfte zum spektakulären Freistoßtor von Alejandro Grimaldo, das Bayer Leverkusen den zehnten Pflichtspielsieg hintereinander bescherte, hatte der Mainzer Torwart glücklicherweise zuvor bereits im Fernsehinterview erteilt. Zentner berichtete, der spanische Linksaußen habe vorsätzlich den Tatort nach hinten verlegt, um mehr Distanz zur Freistoßmauer zu bringen. Denn eigentlich ist es kaum möglich, über den nah am Tor platzierten Menschenwall ins Ziel zu treffen, wenn der Abschusspunkt so knapp hinter der Strafraumgrenze liegt. Zentner schwante bereits Böses, als er den Spanier beobachtete: „So hatte er Platz für seine Technik – und für mich wurde es schwierig.“
Draußen an der Seitenlinie beobachtete ein anderer Kenner die Szene, und auch Xabi Alonso ahnte, dass dieser Moment das Spiel verändern könnte. 48 Minuten hatte sich Bayer 04 bis dahin vergeblich gegen eine Mainzer Mannschaft abgemüht, die sich gekonnt gegen die Dominanz der Gastgeber wehrte und sich nicht davon beirren ließ, dass der Vorzeigeangreifer Jonny Burkardt wegen einer Muskelverletzung bereits nach zwei Minuten das Feld verlassen musste. Es gebe „nicht zu viele“ Spieler auf der Erdkugel, die solche Freistöße wie Grimaldo schießen könnten, sagte Alonso. „Als wir den Freistoß in dieser Position bekommen haben, wusste ich, dass wir eine gute Chance haben. Ich dachte mir nur: ‚Come on, Grimi, come on‘.“
Später stritten sich die Gelehrten, ob der Erfolg des deutschen Meisters und mutmaßlich einzig verbliebenen Bayern-München-Verfolgers wirklich als „Arbeitssieg“ einzustufen wäre. Oder ob man dem Werk damit Unrecht täte. Granit Xhaka hob kritisch die Augenbrauen, als er mit dem Wort konfrontiert wurde. „Wir sind mittlerweile auch eine clevere, erfahrene Mannschaft“, sagte er und distanzierte sich damit von der Mannschaft, die im Vorjahr deutscher Meister geworden war. „Für uns zählt der Sieg, nicht die Tore“, sagte Xhaka. An diesem trüben Dienstagabend begnügte sich Bayer 04 zum Schluss damit, die Bälle aus der Abwehr in die Mainzer Hälfte zu schlagen, obwohl dort kein einziger Mitspieler anzutreffen war. Den Gegner nicht durch Ballbesitz fernzuhalten, sondern mit stabiler Verteidigung einzuhegen, das war die selbstgewählte Methode.
Schön Fußball spielen können sie schon noch, die Leverkusener - aber im Mittelpunkt steht es nicht mehr so sehr
Dass die Mainzer zum Schluss eine Art Powerplay veranstalten durften, verdankten sie allerdings ihrem guten Torwart und der schlechten Leverkusener Chancenverwertung. Jeremy Frimpong und Nathan Tella hatten genug Möglichkeiten zur Entscheidung gehabt. So wurde Grimaldo zum Schützen des goldenen Tores, einer jener Stammspieler, von dem es bis in den Herbst hinein geheißen hatte, er habe seine besten Tage in Leverkusen womöglich schon hinter sich. Sein Wert und seine Klasse bewähren sich nun auf der Langstrecke. Längst bietet Grimaldo, neben dem Generaloberst Xhaka, dem Spielmacher Florian Wirtz und dem Abwehrchef Jonathan Tah (der am Dienstag erkrankt fehlte) im Dauereinsatz, wieder hohes Niveau in Serie.
Alonso nahm den Abend zum Anlass für ein zufriedenes Zwischenfazit und einen kleinen Vortrag. Er werde oft nicht richtig verstanden, wenn er über Mentalität spreche – Mentalidad, wie er immer sagt: „Mentalidad ist, für das Ergebnis zu kämpfen“, schön Fußball zu spielen, das sei etwas anderes. Schön Fußball spielen können sie schon noch, die Leverkusener. Aber im Mittelpunkt steht es nicht mehr so sehr: „Es ist wichtig, dass wir unsere Aufgaben erledigen“, meint Granit Xhaka.