Süddeutsche Zeitung

Bundesliga:Im Westen könnten viele Tränen fließen

Fernduelle mit rheinischer Beteiligung sorgen am letzten Bundesliga-Spieltag für Spannung. Besondere Brisanz birgt Kölns Besuch in Bremen.

Kommentar von Klaus Hoeltzenbein

Jetzt tun die Bremer gerade so, als seien sie schon abgestiegen, doch im Laufe dieser finalen Bundesliga-Woche dürfte sich die Demutshaltung ändern. Da wird sich ihre nicht allzu große Resthoffnung speisen aus der Tatsache, dass der 1. FC Köln eine miserable Geisterspielmannschaft ist: neun Duelle ohne Publikum - neun Duelle ohne Sieg. Zudem werden die Bremer ihre Suchmaschinen anwerfen und sehr schnell Mut machende Lektüre finden unter den drei Stichworten: Köln, Düsseldorf, Rivalität. Dieser tief verwurzelte Lokalzwist beginnt schon mit der Gewissensfrage, die beide Städte auf ewig wie ein Graben trennt: Alt oder Kölsch? Die Kölner behaupten, beim Alt sei schon mit dem Namen alles über dessen Qualität gesagt. Die Düsseldorfer entgegnen, selbst Rheinwasser habe mehr Würze als das schlaffe Bier, das die Stadt, in der es gebraut wird, stolz im Namen trägt.

Bis heute debattieren Historiker, woher diese Rivalität kommt, denn eigentlich ist Köln doppelt so groß und um Jahrhunderte älter - Köln entwickelte sich aus einer römischen Kolonie, das 40 Kilometer rheinabwärts liegende Düsseldorf entstand erst aus mittelalterlicher Ansiedlung. Längst aber gönnen sich beide nahezu nichts, am wenigsten den Klassenverbleib in der Bundesliga. Diesen hat sich Köln, neben Mainz und Augsburg, am Samstag trotz Geisterspiel-Zitterns endgültig sichern können. Doch gerade deshalb wird es am kommenden Samstag in Bremen nun pikant wie Löwensenf (Düsseldorfer Spezialität): Lassen sich die Kölner dort womöglich hängen? Werden im Überschwang jetzt gar ein paar Fässer Kölsch zu viel geleert?

Die Ausgangslage im Fernduell ist komplex. Zum Beispiel so: Gewinnen die Düsseldorfer bei Union Berlin, steigt Bremen ab, und Fortuna darf gegen den Zweitliga-Dritten in die Relegation. Gelingt Fortuna aber nur ein Remis, zöge Bremen bei einem Sieg mit vier Toren Unterschied vorbei. Trifft Pizarro, Pizarro, Pizarro, Pizarro - wäre Düsseldorf raus.

Durch die rheinische Reizlage verblasst alles andere, was am letzten Spieltag noch zu verhandeln ist

Man mag sich gar nicht ausmalen, welche folkloristische Energie ein Abstieg der Fortuna unter einem dann womöglich höchst passiven Mitwirken der Kölner entfalten würde. Wer hat den besseren Karneval? Wer die größere Messehalle? Den wichtigeren Flughafen? Das bessere Eishockey-Team? All diese Fachfragen wären plötzlich banal gegen den Vorwurf, den Erzrivalen in einer schweren Stunde im Stich gelassen zu haben.

Aus dieser rheinischen Reizlage nähren sich aber nicht nur die Bremer Überlebensfantasien. Es verblasst auch alles andere, was sonst noch am letzten Spieltag zu verhandeln ist. Viel ist es nicht mehr, nachdem der FC Bayern sein Abonnement auf die nun schon achte Meisterschaft in Serie längst verlängert hat. Die Schale gibt's für die Münchner in Wolfsburg, aber nur Spalier stehen wollen die Gastgeber nicht. Es geht ja um die zumindest für die Werkself spannende Frage, ob sie oder die TSG Hoffenheim als Sechster in die Europa League einzieht - oder als Siebter in die Qualifikation muss.

Das dritte Fernduell führt zurück an den Rhein, dem Epizentrum des Saisonfinales: Mönchengladbach gegen Hertha BSC, Leverkusen gegen Mainz. Wer wird vierter Champions-League-Starter? München, Dortmund, Leipzig sind durch. Leverkusen aber verfiel beim 0:2 in Berlin in überwunden geglaubte Handlungsmuster und verlor die Pole Position an den Nachbarn vom Niederrhein. Es könnte mal wieder tränenreich werden tief im Westen, am großen Fluss. In Schicksalsfragen hilft dort bekanntlich das Rheinische Grundgesetz, ein Paragrafensatz für jene Tage, an denen der Rhein in Flammen steht. Köln und Düsseldorf, Gladbach und Leverkusen - im letzten Akt eint dieser simple Satz: Et kütt, wie't kütt.

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SZ vom 22.06.2020/chge
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