Süddeutsche Zeitung

Khedira und Mustafi:Ein bisschen Glanz aus Rio

Sami Khedira und Shkodran Mustafi versuchen sich nun im Bundesliga-Abstiegskampf. Auch andere Weltmeister von 2014 hoffen auf einen neuen Karriereimpuls.

Kommentar von Klaus Hoeltzenbein

Wenn ein Fußballer von weit oben nach weiter unten umzieht, kommt häufig der Begriff vom Austragshaus (bayr.: Austragsstüberl) ins Spiel. Man kennt dies aus der Politik, wenn jemand das Amt niederlegt und kurz darauf erklärt, er werde jetzt lieber Autos verkaufen, eine Gasleitung verlegen oder der Bundesbahn endlich zu mehr Pünktlichkeit verhelfen. Das unweit vom Zentrum der Regierungsmacht gelegene Berliner Olympiastadion ist nun anscheinend auch ein solcher Ort für ausrollende Karrieren. Nachdem jüngst die dezenten Flirtversuche von Hertha BSC mit Mario Götze gescheitert waren, hat jetzt ein anderer Rio-Weltmeister von 2014 dort Quartier bezogen. Sami Khedira übernimmt, sein Perspektivauftrag: Ein bisschen mehr Glanz, ein bisschen mehr Flair muss in die alte Hütte.

Blöd nur, dass die sportliche Lage derzeit für reine Lobbyarbeit viel zu ernst ist. Denn im Westen Berlins haben sie sich vom überstrapazierten Ziel des Wandels zum "Big City Club" dermaßen blenden lassen, dass dem Tabellen-15. jetzt die Mutation zum "Big City's little Club" und plötzlich, aber wahrhaftig der nächste PR-GAU droht: mit erstklassigem Personal der Abstieg in die zweite Liga.

Sami Khedira hat viel von dieser Welt gesehen. Er war mit dem VfB Stuttgart, mit Real Madrid und Juventus Turin in großen Ligen Landesmeister. Jetzt ist er 33, kam in Turin nicht mehr zum Einsatz und sucht nun, wie so viele, eine passende, auffällige Pointe seiner Laufbahn. Das Problem beginnt allerdings schon an diesem Freitag - da kommt der FC Bayern nach Berlin. Als notorischer Tabellenführer und mit Khediras Weltmeisterkollegen von einst, Manuel Neuer, Jérôme Boateng und Thomas Müller. Khediras sportliche Situation ist da grundlegend anders. Sie erinnert weniger an die Brasilien-WM 2014, eher an die gescheiterte Titelverteidigung, die 2018 in Russland Knall auf Fall schon in der Vorrunde endete. Damals hatte Löws Auswahl ein ähnliches Kernproblem wie akut die Berliner Hertha: viele wirklich gute Spieler, aber keine gute Mannschaft.

Rausdriften, um drinzubleiben: Das ist das Motto von Mario Götze

Der Begriff vom Austragshaus oder Austragsstüberl stammt aus der ländlichen Vergangenheit. Damit wurden bescheidenere Gebäude bezeichnet, die errichtet wurden, wenn der Bauer den Hof an seine Erben übergab, aber doch am Orte wohnen bleiben wollte. Das Prinzip: Man driftet ein bisschen raus, um trotzdem noch dabei zu bleiben. Ein gegenwärtiger Fall aus der Rio-Finalelf ist da der immer noch relativ junge und auf ewig berühmte Siegtorschütze Mario Götze, 28, der sich zum Nachbarn in die Niederlande, zum PSV Eindhoven, verabschiedete, um dort seine verlorene Form zu finden.

Oder auch, in der weniger bekannten Variante, Shkodran Mustafi, 28, der Verteidiger, der bei der WM in einer kleineren Rolle auftrat und jetzt, um als Fußballer auffällig zu bleiben, von der Auswechselbank des FC Arsenal in die Bundesliga zu Schalke 04 umzieht. Mustafi sitzt bei den hoch verschuldeten Schalkern nun quasi im Armenhaus der Liga, Khedira ist in ein Austragshaus de luxe gezogen. Denn in Berlin läuft bekanntlich der Versuch, der Hertha im nicht versiegenden Finanzfluss aus den Quellen des Investors Lars Windhorst zu einer Art Frischzellenkur zu verhelfen.

Beide, Khedira und Mustafi, werden sich nun im Kampf gegen den Abstieg noch einmal begegnen. Andere kreuzen auf dem Rasen niemals mehr ihren Weg, womöglich auch nicht Mesut Özil, 32, der zwar weiterhin aktiv ist, dem die Türken allerdings soeben die Goldene Brücke von London nach Istanbul bauten. Im Auftaktspiel für Fenerbahce wurde der Ex-Schalker am Dienstag nach 77 Minuten eingewechselt - mit seinem feinen linken Fuß konnte der im Unfrieden aus der DFB-Elf geschiedene Özil den zweiten Treffer beim 2:1 gegen Antakya einleiten.

Acht der 23 Weltmeister haben die kurzen Hosen für immer in den Spind gehängt. Sie sind heute zumeist Fernsehexperten (Schweinsteiger, Mertesacker, Höwedes, Weidenfeller), aber auch Trainer (Klose), Unternehmer (Lahm, OK-Chef der deutschen EM 2024), Privatier (Schürrle) oder Amateurfußballer aus Leidenschaft (Großkreutz, TuS Bövinghausen). Und Podolski? Die Stimmungskanone aus dem Campo Bahia? Klimpert noch auf allen Feldern, ist in Köln im Dönerbuden- und Eisdielen-Gewerbe (Ice Cream United) aktiv und in der Türkei Kapitän bei Antalyaspor.

Auf das Quartett vom Fernsehen könnte im Sommer 2021 eine durchaus spannende Kommentierung zukommen. Mitspielen müsste dazu allerdings Joachim Löw, der ewige Bundestrainer. Unter dem Eindruck des jüngsten 0:6 gegen Spanien in Sevilla lässt er vielleicht Gnade walten. Er müsste ja nur Thomas Müller zurückholen, seinen Animateur aus dem Märchensommer 2014. Auch bei Müller dachten viele ähnlich wie jetzt bei Khedira, er säße in München fortan schmollend in einem Austragsstüberl de luxe, nachdem Löw ihn rausgeworfen hatte. Doch jetzt, mit 31, drängt er mit aller Macht und Schellenbaum zurück zu Hofe.

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