Süddeutsche Zeitung

Bundesliga:Holger Badstuber - gegangen, um zu bleiben

Der ausgeliehene Innenverteidiger will sich bei Schalke für eine Zukunft in München empfehlen. Für den FC Bayern birgt der Transfer ein Risiko.

Von Christopher Gerards

Den 20. Februar 2016 haben die meisten Menschen vergessen, und eigentlich muss man das bedauern. An diesem Tag verdichtete sich eine Debatte, die den FC Bayern fast ein ganzes Frühjahr lang begleitet hatte. Nachmittags, um kurz vor vier, erzielte Sandro Wagner (damals Darmstadt 98) ein Tor gegen die Bayern, aber dieses Tor hatte das große Pech, dass es am 20. Februar 2016 fiel. Wagner jubelte zwar, aber ehrlich gesagt: Es war kein guter Tag für ein Tor gegen den FC Bayern.

Seltsame Namen tauchten ja auf seltsamen Positionen auf. Dort, wo sonst Boateng und Martínez als Innenverteidiger spielten, trat plötzlich Joshua Kimmich neben Serdar Tasci an. Wagner konnte nun nicht behaupten, gegen Boateng und Martínez getroffen zu haben. Er hatte getroffen gegen Joshua Kimmich, der am liebsten im Mittelfeld spielt, und gegen Serdar Tasci, der als Serdar Tasci spielte.

Ein Spieler, der mit vielen Konjunktiven leben muss

Wer böse sein will, der kann dieses alte Spiel jetzt noch mal rauskramen. Der kann den jüngsten Transfer des FC Bayern in diesem Kontext sehen. Tasci ist nicht mehr da, aber auch in diesem Jahr fällt der gesetzte Innenverteidiger Jérôme Boateng erst mal aus. Ist das also nicht riskant, was der FC Bayern jetzt macht? Ist es klug, den zurzeit erstaunlich gesunden Innenverteidiger Holger Badstuber nach Schalke zu verleihen? Das ist eine gute Frage, und die Antwort lautet: vermutlich schon. Vermutlich ist dieses Leihgeschäft, das mit einer Vertragsverlängerung verbunden ist, ein Konstrukt, mit dem alle Parteien gut wegkommen: der FC Schalke 04, der Spieler Badstuber und auch der FC Bayern.

Holger Badstuber, 27, ist ein Spieler, der mit vielen Konjunktiven leben muss. Er ist mal so etwas gewesen wie der beliebteste Innenverteidiger der Nation, der Mann, dem die Bayern und der Bundestrainer vertrauten. Er kenne kaum einen Spieler mit einer derart guten Spieleröffnung, hat nun Schalkes Manager Christian Heidel gesagt. Solche Einschätzungen führen zu klassischen Fragen wie: Was wäre, wenn Badstuber nie einen Kreuzbandriss, nie einen Muskelriss erlitten hätte? Wäre er dann Weltmeister? Würde er die Abwehr im DFB-Team anleiten? Um diese Fragen geht es oft, wenn es um Badstuber geht, aber ihm selbst geht es jetzt vor allem um eines: Er will Fußball spielen, nach Möglichkeit oft und lange. "Das A und O" sei das, hat er am Mittwoch gesagt. Und er hat ergänzt, dass bei Schalke das "Gesamtpaket spannend" sei, die Fans, das Stadion und der Trainer.

Die Frage ist aber auch, was dieser Wechsel fürs Gesamtpaket des FC Bayern bedeutet. Die Antwort darauf ist nicht ganz leicht.

"Wenn er sich entscheidet, zu bleiben, sind wir glücklich. Wenn er sich entscheidet, sechs Monate für einen anderen Verein zu spielen, sind wir offen, das zu diskutieren" - diese Sätze hat Bayerns Trainer Carlo Ancelotti jüngst gesagt. Er hat hinzugefügt, dass der Kader "komplett" sei und dass er keine neuen Spieler brauche.

Wenn man will, kann man in solche Sätze eine riskante Lässigkeit rein lesen, die sich rächen könnte, wenn irgendwann der Frühling kommt; wenn die Gegner nicht Darmstadt heißen oder Augsburg, sondern Arsenal und Dortmund. Aber so einfach ist es nicht. Ja, Boateng ist verletzt, und ja, in Badstuber fehlt jetzt ein weiterer Innenverteidiger. Andererseits spricht manches dafür, dass Ancelotti schon auch ohne Badstuber zurechtkommt. Dreimal hat er ihn in der Hinrunde eingesetzt; zweimal gegen Augsburg, einmal gegen Rostow. Ancelotti findet, dass er genug Innenverteidiger hat, auch ohne Badstuber, er hat Hummels, Martínez - und im Notfall gibt er halt den Pep Guardiola. Im Notfall baut er Kimmich hinten rein oder Alaba.

Damit Badstuber gehen konnte, musste sein Vertrag verlängert werden

Der Transfer von Badstuber ist allerdings nicht nur interessant, weil er sich taktisch auswirken kann. Der Transfer ist auch deshalb interessant, weil Badstuber beim FC Bayern das war, wofür Reporter das schöne Wort Identifikationsfigur erfunden haben. Zu tragisch ist seine Geschichte, die von Verletzungen handelt und von Comebacks. Zudem verkörpert Badstuber die bajuwarische Tradition eines Klubs, der keinen Schweinsteiger mehr hat und zuletzt Debatten aushalten musste über eine schleichende Hispanisierung.

Da ist es mindestens eine ironische Fügung, dass Badstuber der zweite Transfer ist, seit der Ober-Bayer Uli Hoeneß wieder regiert und, nur als Beispiel, kürzlich eine Deutsch-Pflicht in der Münchner Kabine gefordert hat. All das ist den Bayern bewusst, und sie wissen auch, dass das Publikum rebelliert hätte, wenn man Badstuber jetzt einfach so verkauft hätte. So kommt ein interessantes Konstrukt zustande: Ein halbes Jahr wird Badstuber verliehen. Sein Vertrag wäre zum Saisonende ausgelaufen. Weil die Statuten der Deutschen Fußball-Liga eine Leihe unter diesen Umständen verbieten, wird Bayern den Vertrag offenbar verlängern. Man kann das also auch so sehen: dass Badstuber geht, um zu bleiben.

Spannend wird sein, welchen FC Bayern Badstuber vorfindet, falls er im Sommer zurückkommt. Vermutlich werden seine Kollegen in der Innenverteidigung dann nicht nur Hummels, Martínez und Boateng heißen, sondern auch Niklas Süle. Andererseits: Wer wird überhaupt der Badstuber sein, der im Sommer zurückkommt? Das wäre ja eine schöne Pointe in der Karriere dieses Konjunktivspielers: wenn dieser Badstuber nun eine richtig starke Rückrunde spielt.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3328892
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 12.01.2017
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.