Bundesliga: Hertha - Nürnberg:Hauptstadt am Abgrund

Jagdszenen in Berlin: In der Nachspielzeit kassiert Hertha BSC gegen Nürnberg das 1:2 und muss sich als Absteiger fühlen. Manager Preetz weint, einige Zuschauer stürmen den Platz.

Johannes Aumüller

Herthas Präsident Werner Gegenbauer stand einfach auf und ging, Trainer Friedhelm Funkel war fassungslos, Manager Michael Preetz hatte Tränen in den Augen. Und rund 100 Zuschauer stürmten aus dem Fanblock mit Fahnenhaltern in der Hand in den Innenraum des Olympiastadions, nur mit viel Mühe hinderten Ordner und Polizisten die Randalierer am Vordringen zu den Spieler-Kabinen. Pal Dardai musste ein Fernseh-Interview abbrechen, die Mannschaft flüchtete in die Kabine.

Dramatische Szenen spielten sich in Berlin ab, nachdem Angelos Charisteas in der zweiten Minute der Nachspielzeit das 2:1 für Nürnberg geschossen und Schiedsrichter Kircher kurz darauf abgepfiffen hatte. "Die Sicherheitskräfte haben sich richtig verhalten, haben zunächst deeskalierend gewirkt", erklärte Preetz. "Das Wichtigste ist, dass niemand zu Schaden gekommen ist", betonte Preetz, der "härteste Konsequenzen" für die Randalierer ankündigte. "Wir müssen entschieden dagegen vorgehen. Ich hoffe, dass sich da endlich welch finden, die Arsch in der Hose haben und dem Einhalt gebieten. Ich möchte nicht erleben, was passiert, wenn es den ersten Toten gibt", sagte Nürnbergs Coach Dieter Hecking, der wie seine Spieler in die Katakomben geflüchtet war

Nach dieser Niederlage beträgt der Abstand des Tabellenletzten Hertha BSC Berlin auf den Relegationsplatz acht Punkte, der Abstand auf einen sicheren Tabellenrang sogar neun. Das klingt angesichts von noch acht ausstehenden Spielen nicht nach besonders viel, doch mit Blick auf die bisherigen Leistungen und mit Blick auf das schwere Restprogramm (unter anderem Bayern, Leverkusen, Schalke, Dortmund und Stuttgart) sind die Chancen auf den Klassenerhalt frappierend gering.

Und in der Tat gelang es seiner Mannschaft auch, dieses Motto umzusetzen. Sie "Schicksalsspiel", "Showdown", "letzte Chance", das waren in der Vorberichterstattung die Überschriften zu dieser Partie. Entsprechend appellierte Pal Dardai vor der Partie an seine Mitspieler ("Unsere Truppe ist einfach zu nett. Das sind durch die Bank fast alles liebe Schwiegersöhne. Es fehlen die Schweine, die fiesen Charaktere") - und entsprechend reagierte Funkel und schickte statt der bisher praktizierten Doppel-Sechs eine Raute auf den Platz. Mehr Offensive wagen, lautete das Motto.

zeigte eine ihrer besten Saison-Hälften, sie stürmte und stürmte und stürmte, und sie erspielte sich das, was man ein "Chancen-Feuerwerk" nennt. Dass Nürnberg jene Mannschaft sein sollte, die vergangene Woche Leverkusen geschlagen und davor Bayern ein Remis abgetrotzt hatte, das kam einem während der ersten 45 Minuten in Berlin nicht in den Sinn. Zu desolat trat der "Club" zunächst auf.

Die erste Chance gab es in der elften Minute: Nach einer schnellen Kombination im Nürnberger Strafraum verschätzte sich Gäste-Torwart Raphael Schäfer und musste der für Breno in die Startelf gerückte Dominic Maroh auf der Linie einen Schuss von Theofanis Gekas abwehren. Fünf Minuten später traf Gekas mit einem Drehschuss aus fünf Metern nur den Pfosten. Dann scheiterte Ramos aus aussichtsreicher Position an Schäfer, nur wenig später scheiterte Gekas aus noch aussichtsreicherer Position an Schäfer, und dazwischen lenkte der Nürnberger Torwart noch eine weitere Gekas-Chance an die Latte. Böse Erinnerungen wurde da wach, denn schon zuletzt beim 0:1 gegen Hamburg hatten zwei Aluminium-Treffer einen Berliner Punktgewinn verhindert.

Erst in der 37. Minute erlöste Theofanis Gekas seine Elf. Nach einer Ecke herrschte in der Nürnberger Abwehr mal wieder völlige Konfusion, einen Schuss von Cicero konnte Schäfer noch halten, doch gegen Gekas' Nachschuss war er dann machtlos. Auf Nürnbergs Seite hingegen gab es zunächst nur zwei Mitwirkende, die Normalform aufwiesen: Torwart Schäfer und das Aluminium. Eine einzige Chance erspielten sich die Gäste bis zur Halbzeitpause, doch Gündogan verzog in der 23. Minute knapp.

Immer wieder Bunjaku

Die Halbzeitpause ist der Moment in einem Fußballspiel, über den es nach dem Spiel oft heißt, Trainer x habe seine Mannschaft mit einer mitreißenden Ansprache wachgerüttelt und das Spiel gedreht. Von wachrütteln konnte in diesem Fall keine Rede sein, denn auch nach der Pause spielte Nürnberg mutlos und ohne Kreativität, aber immerhin stand in der Folgezeit die Abwehr etwas stabiler.

Die Berliner ihrerseits entfachten aber auch nicht mehr den Druck wie in ihrer Feuerwerks-Phase während der erste Hälfte, und so drohte sich eine gähnend langweilige zweite Hälfte zu entwickeln - bis in der 60. Minuten der überraschende Ausgleich fiel. Nach der ersten Nürnberger Ecke des Spiels köpfte Albert Bunjaku mit seinem zwölften Saisontor zum 1:1 ein.

Dieses Tor verschaffte den Nürnberger neues Selbstbewusstsein. Sie waren nun ebenbürtig mit den Gastgebern, eine Weile lang sogar einen Tick besser und hatten auch die größeren Chancen zum 2:1. Erst tankte sich der eingewechselte Mike Frantz im Strafraum durch und schoss nur knapp am rechten Pfosten vorbei (72.), dann tankte sich Albert Bunjaku im Strafraum durch und schoss an den rechten Pfosten (75.).

Funkel reagierte, brachte für den Defensivmann Piszczek den Angreifer Wichniarek und beorderte den einen oder anderen Defensivspieler weiter nach vorne. Noch mehr Offensive wagen, lautete also das Motto für die Abschluss-Viertelstunde. Und wieder schafften es seine Spieler, dieses Motto umzusetzen: Wichniarek, Gojko Kacar und Ramos kamen noch zu Chancen.

Doch Funkel wusste auch: Sollte den Nürnberger hier ein vernünftiger Gegenangriff gelingen, sollten die Nürnberger hier ein Tor schießen - dann hätten die Berliner nicht nur die Partie verloren, sondern höchstwahrscheinlich auch den Kampf um den Klassenerhalt. Und diese Befürchtung trat ein: In der zweiten Minute der Nachspielzeit war Angelos Charisteas bei einem Konter zur Stelle und markierte das 2:1, das Gegenbauer aufstehen, Funkel fassungslos blicken und Preetz weinen ließ. Und wegen dem 100 Fans ausrasteten.

Der Hauptstadt-Klub, er blickt in den Abgrund. Nach diesem 1:2 und bei diesem Restprogramm muss sich Hertha BSC Berlin bereits als Absteiger fühlen.

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