2:2 in Frankfurt:Trügerisches Lob von Klinsmann

Trainer Juergen Klinsmann (Berlin) Eintracht Frankfurt 05 vs Hertha BSC Berlin, Fussball, 1. Liga, 06.12.2019 DFL REGULA; Jürgen Klinsmann

Hat ein gutes Spiel seiner Mannschaft gesehen: Hertha-Trainer Jürgen Klinsmann.

(Foto: imago images/Eibner)

Von Frank Hellmann, Frankfurt

Am Ende verkniff sich Jürgen Klinsmann jedes Triumphgeheul. Ein kurzes Abklatschen mit seinem Assistenten Alexander Nouri. Viel mehr Gefühlsregung hatte der neue Trainer von Hertha BSC nach dem 2:2 (1:0) bei Eintracht Frankfurt vor der Bank nicht anzubieten. Aber wie es sich für Berufsoptimisten gehört, genügte ihm der kleine Finger seiner immerhin leidenschaftlich kämpfenden Mannschaft, um die ganze Hand zu greifen. "Es ist wirklich spannend, diesen Prozess mitzuerleben. Die Spieler sind gewillt zuzuhören und die Dinge in schneller Zeit umzusetzen. Da ist etwas am Heranwachsen", versicherte Klinsmann.

Kritiker werden dagegenhalten, dass der glücklich gewonnene Punkt in Frankfurt viel mehr wie ein kleines Präsent des Nikolaus daherkam, der am Freitagabend noch nicht alle Geschenke losgeworden war. Der Statistikbogen sprach klar für die Eintracht: 27:8 Torschüsse, 22:4 Flanken, 16:1 Ecken und 58 Prozent Ballbesitz gegenüber der Hertha. Für Klinsmann war es dennoch "ein großer Schritt nach vorne. Wir nehmen jeden Punkt gerne mit, vor allem auswärts", befand der 55-Jährige.

Spielerische und taktische Defizite waren allerdings auch in Frankfurt deutlich sichtbar. Das umkämpfte Bundesligaspiel an diesem nasskalten Abend diente als Lehrbeispiel dafür, wie unterschiedlich eine eigentlich identische 3-5-2-Grundformation interpretiert werden kann. Hier die mutige, forsche Eintracht, da eine zeitweise fast verängstigt wirkende, zurückweichende Hertha. Denn auch mit der neuen Außenbahnbesetzung - Lukas Klünter rechts und Marvin Plattenhardt links - agierten die Berliner praktisch mit einer Fünferkette. Folglich fehlte meist der Zugriff im Mittelfeld.

Ein Problem, das Klinsmanns Co-Trainer Nouri in seiner Endphase als Chefcoach beim SV Werder zum Verhängnis geworden war. Er hatte bis zu seiner Entlassung im November 2017 mit genau jener vorsichtigen Ausrichtung die Bremer Mannschaft aller offensiven Lösungsmöglichkeiten beraubt. "Wir wollten uns in gewissen Situationen tiefer fallen lassen. Wir werden schon noch variieren", versprach Klinsmann bezüglich der Systemfrage. Die Formation sei zunächst nur gegen den BVB und die "starke Eintracht" ausgewählt worden. "Wir müssen noch sehen, was für die Mannschaft am besten passt." Mehr Überzeugung auf dem Rasen würde der Hertha in jedem Fall guttun. Klinsmann bat um Geduld: "Wir wissen, es geht nur ein Schritt nach dem anderen und ein Tag nach dem anderen."

Bei Spielern wie Grujic hat Klinsmann großen Kredit

Außerhalb des Platzes griff der Projektleiter mit dem angeborenen Reformwillen angeblich bereits rigoros durch. Als die Berliner Delegation den Gästebereich bezog, soll Klinsmann unvermittelt angeordnet haben, dass die Frankfurter Sicherheitskräfte sich bitte an anderen Stellen postieren. Am Kabinengang würden sie die Hertha stören - Frankfurter Funktionäre reagierten bei dieser Ansage mit Kopfschütteln.

Offenen Wiederspruch wagte später in der Pressekonferenz Eintracht-Trainer Adi Hütter, obwohl er Klinsmann erst im Frühjahr zufällig in einem Frankfurter Restaurant für einen längeren Meinungsaustausch getroffen hatte. Die Kollegen-Aussage vom "absolut gerechten Unentschieden" forderte seinen Widerspruch heraus. "In Summe gesehen hätten wir das Spiel gewinnen müssen. Wir haben sensationell gefightet. Nach dem 0:2 sind wir unglaublich gut zurückgekommen", sagte der 49-Jährige, der für das Remis deutlich weniger Freude aufbringen konnte als Klinsmann. Martin Hinteregger urteilte unverblümt über die Berliner: "Die waren gar nicht vorhanden und führen 2:0. Wir haben uns alle gefragt, was ist jetzt los?"

Kurzerhand erledigte der kernige Abwehrspieler mit seinem 1:2-Anschlusstreffer (65.) und der Vorlage zum 2:2 des eingewechselten Sebastian Rode (86.) die Aufholjagd mal eben im Alleingang. Klinsmann lobte die Eintracht hinterher artig: "Die Entwicklung ist toll zu sehen und bemerkenswert." Das Fazit zum eigenen Spiel fiel dann aber doch zu positiv aus. Dass der prominente Nothelfer gerade versucht, Schwung in seine Mannschaft zu bringen, ist verständlich. Doch muss er aufpassen, dass bei seinen positiven Worten genug Platz für eine selbstkritische Analyse bleibt. Nach beiden Spielen unter Klinsmanns Regie litt die Nachbetrachtung aller Protagonisten unter einer verzerrten Wahrnehmung.

Immerhin: Bei Akteuren wie Marko Grujic, bester Berliner, der mit einer feinen Vorlage das 1:0 von Dodi Lukebakio einleitete (30.) und das 2:0 selbst erzielte (63.), hat Klinsmann großen Kredit. "Ich bin sehr glücklich, unter ihm zu arbeiten. Er ist einer der größten Namen im deutschen Fußball", sagte der serbische Nationalspieler. "Wir können so viel von ihm lernen. Der Trainer war nach dem Spiel sehr positiv. Freiburg ist jetzt ein Team, dass wir schlagen können." Auch Klinsmann hat kommenden Samstag den ersten Sieg fest ins Visier genommen. "Jetzt wollen wir nächste Woche drei Punkte." Die Vorgabe wirkt zur Beruhigung der prekären Berliner Lage beinahe alternativlos. Bis zum Ende der Hinrunde sind die weiteren Aufgaben bei Bayer Leverkusen und gegen Borussia Mönchengladbach.

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