Hertha BSC:Die Alte Dame bleibt eine Dramaqueen

Hertha BSC: Schwer getroffen von den Ereignissen: Die Berliner Spieler müssen nun in der Relegation weiterrackern.

Schwer getroffen von den Ereignissen: Die Berliner Spieler müssen nun in der Relegation weiterrackern.

(Foto: David Inderlied/dpa)

Hertha BSC geht in die Relegation, so wie es Aushilfscoach Felix Magath prognostiziert hat. Die Verantwortlichen müssen das Team wieder aufrichten - doch das wird eine Herkulesaufgabe.

Von Javier Cáceres, Dortmund

Es war 17.22 Uhr, und in der östlichen Ecke der Nordtribüne gingen die Arme hoch. Aus purer Verzweiflung, aus einem Gefühl des Unglücks heraus, aus Scham. Auf den Smartphones und dem einen oder anderen Transistorradio hatte sich die Nachricht aus Stuttgart Bahn gebrochen, die Hunderte Berliner dazu animierte, sich synchron mit den Händen durch die Haare zu fahren.

Die Hertha lag in Dortmund mit 1:2 zurück; der VfB Stuttgart erzielte gegen den 1. FC Köln doch noch das 2:1; und das bedeutete am Ende: Die Hertha muss ab Donnerstag in der Relegation gegen den dritten der zweiten Liga antreten. Der Gegner wird am Sonntag ermittelt.

Es gab eine Reihe von Fans, die noch lange in der Kurve verharrten. Die vergeblich gefordert hatten, dass die Mannschaft sich jenen Fans stellt, denen der Klub Lebensinhalt ist, und die ihr ein aufmunternd gemeintes "Hahohe" zugerufen hatte. Vergebens. Sie kamen nicht. Zu tief saß der Schock über die Niederlage und ihre Konsequenzen: Die Hertha bangt weiter um den Verbleib in der ersten Liga. Und wenn Tränen ein Maßstab sind, wird es für die Verantwortlichen der Hertha eine Herkulesaufgabe, die Mannschaft wieder aufzurichten. Denn es waren nicht wenige Spieler, die auf dem Rasen weinten.

"Die Jungs sind jetzt down. Total fertig", sagt Herthas Manager Fredi Bobic

Die Tränen waren nachvollziehbar. Zum zweiten Mal binnen acht Tagen vergab die in den letzten drei Jahren mit 374 Millionen Euro Investorengeld aufgepäppelte Hertha die Möglichkeit, den Klassenverbleib zu sichern. Sie hatten es in der eigenen Hand. Die Alte Dame gefällt sich weiterhin in der Rolle der Dramaqueen: In der Vorwoche verlor sie gegen Mainz, am Samstag unterlag sie in Dortmund, indem man eine 1:0-Führung (Ishak Belfodil/18.) aus der Hand gab, weil zunächst Erling Haaland, ebenfalls per Elfmeter, ausglich, und der eingewechselte Youssoufa Moukoko das 1:2 erzielte (84.).

Hertha BSC: Felix Magath hat Recht behalten: Die Saison ist für Hertha BSC nach dem 34. Spieltag noch nicht vorbei.

Felix Magath hat Recht behalten: Die Saison ist für Hertha BSC nach dem 34. Spieltag noch nicht vorbei.

(Foto: Andreas Gora/dpa)

"Die Jungs sind jetzt down. Total fertig", sagte Herthas Manager Fredi Bobic: "Wir haben zwei Spiele jetzt, in denen müssen wir es richten." Die Statistik spricht für die Hertha. Der Bundesligist setzt sich in der Regel gegen den Zweitligisten durch. Aber: Vor zehn Jahren wurde die Hertha zu einem der Teams, die gegen einen Zweitligisten - damals Fortuna Düsseldorf - in der Relegation den Kürzeren zogen.

Die Katastrophe brach über die Hertha in einer bemerkenswert bizarren Atmosphäre hinein. Die Dortmunder waren mit aufgerichteten Flaumhaaren in die Partie gegangen: Roman Bürki, Dan-Axel Zagadou, Axel Witsel, Thomas Meunier, Marin Pongracic und Haaland wurden verabschiedet. Vor allem aber sagte auch der ehemalige Spieler, spätere Manager Michael Zorc Adieu - und war zu Tränen gerührt, als "die Süd" ihm "Susi" hinterherrief.

Die Hertha tangierte das zunächst nicht. Sie wirkte überhaupt in einem positiven Sinne unberührt. Nervosität musste man schon mit der Lupe suchen, die Hertha erspielte sich sogar durch ansatzweise offensives Spiel so etwas wie Match- oder genauer: Spieltagsglück. Denn noch ehe im alten Westfalenstadion die Runde machen konnte, dass der VfB Stuttgart gegen den 1. FC Köln in Führung gegangen war (und die Hertha im Fernduell unter Druck setzte), zeigte Schiedsrichter Tobias Stieler in Dortmund auf den Elfmeterpunkt. Die eilige Korrektur durch den Linienrichter - angebliches Abseits vor dem Foulspiel von Zagadou an Herthas Ishak Belfodil - entpuppte sich beim Blick auf den Monitor rasch als Irrtum. Belfodil trat an und verwandelte sicher, nur drei Minuten nach der Nachricht von Stuttgarts 1:0.

Die Dortmunder spielten, als hätten sie esoterische Yoga-Musik gehört

In der Folge verdiente sich Borussia Dortmund die gellenden Pfiffe, die zur Halbzeit zu hören waren. Der Co-Trainer von Hertha BSC, Mark Fotheringham, legte in der Coachingzone eine größere Laufleistung an den Tag als die Hälfte der Dortmunder Mannschaft auf dem Rasen. Vor allem in der Untersparte "intensive Läufe" überragte der Schotte die BVB'ler. Die Dortmunder spielten, als hätten sie vor der Partie esoterische Yoga-Musik gehört - was dazu führte, dass es den Berlinern ein Leichtes war, jeden Angriffsversuch vom eigenen Tor fernzuhalten. Erst in der Nachspielzeit der ersten Halbzeit wurde es für die Hertha gefährlich - durch eine dramatisch verrutschte Flanke von Zagadou. Herthas Marcel Lotka lief rückwärts, erwischte den Ball in extremis, flog dann aber mit dem Gesicht voller Wucht gegen den linken Pfosten. Es sollte eine Szene mit Symbolcharakter werden.

Hertha BSC: Für Michael Zorc, den scheidenden Sportdirektor, war es ein tränenreicher Abschied vor der Dortmunder "Süd".

Für Michael Zorc, den scheidenden Sportdirektor, war es ein tränenreicher Abschied vor der Dortmunder "Süd".

(Foto: David Inderlied/dpa)

Denn in der zweiten Halbzeit fand Dortmund zurück ins Spiel, durch eine Szene, die im Lager der Hertha für nachvollziehbare Aufregung sorgte. Denn: In der 66. Minute wurde Schiedsrichter Stieler wieder an den Bildschirm gerufen. Nach einem Freistoß vom Strafraumrand war der Ball von Herthas Mittelfeldspieler Santiago Ascacíbar abgefälscht, und flog an den Arm von Marvin Plattenhardt; Stieler sagte, ihm sei regeltechnisch keine Wahl geblieben, als den Elfmeter zu verhängen, den Haaland verwandelte, zum 86. Tor im 89. Pflichtspiel für den BVB.

Kommt es nun, wie Magath vorhersagte, wirklich zum Relegations-Duell mit dem HSV?

"Das ist eine Wahnsinnsregel. Der Ball wurde abgefälscht, der Spieler kann nicht reagieren", ärgerte sich Manager Bobic. Trainer Magath pflichtete ihm bei: "Das hat nichts mehr mit Sport zu tun. Schon gar nicht mit Fußball." Das Problem für die Hertha war aber, dass in der 84. Minute auch das 1:2 folgte. Jude Bellingham spielte einen spektakulären Pass in den Lauf des 17-Jährigen Moukoko, vom Innenpfosten flog der Ball zum 2:1 ins Tor. Und das alles trug sich so spät zu, dass die Hertha gar keine Zeit mehr hatte, aus der Paralyse zu erwachen, und dem Spiel erstmals eine wirklich offensive Note zu verleihen. Der spät eingewechselte Stevan Jovetic traf noch das Außennetz, animierte die Hertha-Fans zu einem jäh erstickten Jubel. Das war's. Und es blieb den Herthanern nur, mit Fassung die Häme zu ertragen, die sich im Stadion über sie ergoss. "Zweite Liga, Hertha ist dabei", sangen die Dortmunder Fans.

Jedoch: Die Hertha hat noch 180 Minuten, um sich dagegen zu stemmen. "Unsere Mannschaft hat sich hier in Dortmund als Bundesligist präsentiert. Deshalb bin ich zuversichtlich. Gegen den Tabellendritten der zweiten Liga haben wir berechtigte Aussichten, den Klassenverbleib zu schaffen", sagte Magath. Er selbst hatte im Grunde schon bei Amtsantritt gesagt, dass die Hertha in die Relegation müsse. Und auch geunkt, dass es gegen den Hamburger SV gehen würde, einem Verein, bei dem er zur Legende wurde. Daran wollte er am Samstagabend nicht denken. Aber wenn es so kommen sollte, "wird es für mich persönlich ein sehr schwieriges Spiel", sagte Magath. Und für seine Mannschaft erst recht.

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