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Hertha BSC:Die Zukunft muss warten

Fast 300 Millionen Euro hat Investor Windhorst in die Hertha gesteckt, Erfolg brachte das bisher nicht. Auch wenn der Name Rangnick jetzt oft fällt, wäre sein Engagement verwunderlich - es braucht eine Komplettreform.

Kommentar von Javier Cáceres

Wer sich einen Begriff davon machen möchte, was für eine Ära am Sonntag zu Ende ging, der muss zurückspringen ins letzte Jahrhundert. Genauer: in den Juli 1996, als Michael Preetz noch kurze Hosen und das Trikot von Wattenscheid 09 trug.

Wattenscheid war seinerzeit schon abgestiegen aus der zweiten Liga und besuchte am letzten Spieltag die Hertha. Dass die Berliner sich damals retteten und die Wattenscheider nicht in die Drittklassigkeit begleiteten mussten, blieb auf ewig mit Preetz verbunden. Preetz vergab kurz vor Schluss eine sogenannte hundertprozentige Torchance für Wattenscheid. Und unterschrieb wenig später, siehe an, bei der Hertha einen Arbeitsvertrag.

Nie wieder hat Michael Preetz, heute 53, die Hertha verlassen. Nach seinem Karriereende als Spieler wurde er erst Azubi beim früheren Manager Dieter Hoeneß, 2009 beerbte er ihn. Am Sonntag erfolgte nun die Trennung, nach nahezu einem Vierteljahrhundert auf dem Olympiagelände. Oder, aus anderer Perspektive betrachtet: gut anderthalb Jahre nach dem Einstieg des Investors Lars Windhorst, der Hertha BSC in einen "Big City Club" verwandelt sehen will.

Fast 300 Millionen Euro hat Windhorst in den Klub gesteckt, Erfolg zeitigte das bisher nicht. Als gut gemachtem Hauptstadtprojekt könnte der Hertha die Zukunft gehören, da sind sich alle einig - aber die Realität ist: Der Klub steht, wie schon vor einem Jahr, im Abstiegskampf. Trainer Bruno Labbadia musste gehen, weil er es nicht vermochte, die Mannschaft zu verbessern. Preetz wurde entlassen, weil er einen Kader zusammengestellt hatte, der strukturelle Mängel aufweist. Jahrelang hatte der Präsident Werner Gegenbauer die schützende Hand über Preetz halten können; bei der letzten Mitgliederversammlung zeigte sich, dass auch sein Rückhalt im Klub erodiert ist, Gegenbauer wurde gerade so wiedergewählt. Und dann ist im Hintergrund noch der Investor.

Aus seiner Sicht hat die Hertha mehr als nur anderthalb Jahre verloren - und Geld versenkt. Perspektivisch sieht es nicht viel besser aus. Vorausgesetzt, dass Hertha die Klasse hält: Ehe das Ziel vom Big City Club erreicht werden kann, geht mindestens eine weitere Saison ins Land. Es gibt sogar Zukunftsprojekte der EU-Kommission, die in kürzeren Zeiträumen umgesetzt werden.

Wer die Geschicke der Hertha leiten wird, ist offen. Im vergangenen Jahr war Ralf Rangnick von Jürgen Klinsmann umgarnt worden, die Gespräche versandeten, offenkundig auch wegen des nun geschassten Preetz. Die Lösung Rangnick würde wohl auch jetzt vom Investor goutiert werden, und sie hätte den Charme, dass sie ein ganzheitliches Konzept verkörpern würde, das im Lichte von Rangnicks Aufbauarbeit in Hoffenheim und Leipzig eine Perspektive böte.

Nur: In der Zwischenzeit hat sich Rangnick international in einer Weise als Mastermind des neuen deutschen (Trainer-)Fußballwunders etabliert, dass es schon Wunder nähme, wenn er ausgerechnet Hertha entkernen wollte. Rangnick ist vom AC Milan und der Roma umgarnt worden, beim FC Chelsea gilt er neben Thomas Tuchel als möglicher Kandidat, falls der Trainerposten frei wird, sein Name wird auch jenseits der Pyrenäen gehandelt. Und dann ist ja immer noch nicht gesagt, ob der DFB sich nach der EM nach einem neuen Coach, Teammanager und Akademie-Leiter umschauen muss. Das klingt allemal interessanter als die nun wohl unausweichliche Komplettreform der Hertha.

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