Fußball-Bundesliga:Hertha BSC ist ultragenervt

Borussia Dortmund - Krawalle

In Dortmund brannten etliche Feuerwerkskörper im Berliner Fanblock.

(Foto: dpa)
  • Nach den gewalttätigen Zwischenfällen von Dortmund eskaliert der Konflikt zwischen Herthas Fans und der Vereinsführung.
  • Für das Spiel am Samstag gegen RB Leipzig sind neue Proteste zu erwarten.
  • Dass der Verein ein weitreichendes Bannerverbot erlässt, dürfte die Stimmung im Olympiastadion weiter vergiften.

Von Javier Cáceres, Berlin

"Dortmund haben wir schon vergessen", sagte Pal Dardai, der Cheftrainer bei Hertha BSC, in der Pressekonferenz vor dem Spiel gegen RB Leipzig, und lachte. Das war sehr aufrichtig gemeint. Aber eben auch nur auf die sportlichen Aspekte des vergangenen Wochenendes bezogen.

Ein 2:2 hatten die Berliner bei Borussia Dortmund errungen, in einem mehr als nur passablen Fußballspiel. Allein: Dortmund ist natürlich nicht vergessen, wie auch. Denn rund um die Partie geschahen Dinge, die sich nicht so einfach vergessen lassen, Medien und den Klub seit Tagen beschäftigen und - wie nun feststeht - auf die Partie gegen Leipzig ausstrahlen werden. Die Atmosphäre, in der Hertha im Olympiastadion an diesem Samstag zum Bundesliga-Topspiel RB Leipzig empfängt (18.30 Uhr), dürfte mindestens seltsam werden.

Denn weil es am Rande der Partie in Dortmund zu Zusammenstößen zwischen Hertha-Anhängern und der Polizei kam, untersagte die Vereinsführung der Berliner nach einem Treffen mit den Sicherheitskräften und Vertretern von RB Leipzig das "Einbringen von Bannern, Spruchbändern, Blockfahnen und Doppelhaltern", so etwas wie die Reliquien und mitunter Ventile einer so buntscheckigen wie streitbaren Fanszene. Auf der klubeigenen Facebook-Seite erntete Hertha BSC ein verheerendes Echo. Dass ein Dustin Berlin fragte: "Seid ihr noch ganz knusper?!", zählte zu den harmlosen Äußerungen. Auch in den konventionellen Medien der Stadt waren verwunderte bis ablehnende Töne zu lesen. Außer in der örtlichen Ausgabe der Bild: "Traurig, aber verständlich", schrieb das Blatt.

"Man hätte das in Ruhe abbrennen lassen können, und dann wäre gut gewesen"

Was in Dortmund genau geschah, wird gerade aufgearbeitet, dies gestalte sich "komplex", sagte Herthas Manager Michael Preetz. Eine Dortmunder Polizeisprecherin erklärte am Freitag, dass ihren Kollegen eine "monatelange Puzzle-Arbeit" bevorstehe, die Auswertung der Filmaufnahmen werde dauern. Diese zirkulieren seit knapp einer Woche im Netz: Bilder, auf denen zu sehen ist, wie Hertha-Fans im Stadion über den Zaun springen, sich der Polizei herausfordernd stellen, am Ende mit (Plastik-)Fahnenstangen auf die Beamten in Schutzkleidung einprügeln. Zuvor hatten Hertha-Fans, wie zuletzt schon in Braunschweig und Rostock im Pokal-Wettbewerb, pyrotechnische Erzeugnisse abgefackelt, im Sichtschutz eines Banners, das am Zaun hing.

Die Polizei riss daher die Fahne der Ultra-Gruppierung "Hauptstadt-Mafia" vom Zaun (was von solchen Gruppen bekanntermaßen als provokante Aktion angesehen wird), angeblich, um neuerliche Zündeleien zu verhindern. Es folgten besagte Scharmützel, der Einsatz von Pfefferspray durch die Polizei, später auch Zerstörungen von Sanitäranlagen durch Hertha-Fans; sie bewarfen die Polizei mit Keramikteilen, attackierten sie mit Abflussrohren. Die überwiegende Mehrheit der offiziell 45 Verletzten waren allerdings Fans.

Die "Fanhilfen" aus Dortmund und von Hertha BSC kritisierten den Einsatz der Polizei als unverhältnismäßig; "statt mögliches Fehlverhalten im Nachgang durch die hochgelobte Kameratechnik zu verfolgen, wird von der Polizeiführung ein vollkommen überzogener Einsatz veranlasst", schrieben sie. Thomas Feltes, Kriminologe an der Ruhr-Universität Bochum, sprach in der Zeit von einem "groben, handwerklichen Fehler", da "die Gefahr, die unzweifelhaft durch Pyrotechnik entstehen kann, nicht gegeben war. Man hätte das in Ruhe abbrennen lassen können, und dann wäre gut gewesen."

Herthas Manager Preetz, der unmittelbar nach dem Spiel von einer "Katastrophe" und einem "bitteren Tag für den Fußball" gesprochen hatte, widersprach der Kritik auch am Donnerstagmittag: "Ein möglicherweise unverhältnismäßiger Einsatz der Polizei rechtfertigt keine Gewalt." Am Abend folgten die Repressalien, sprich: das weitreichende Bannerverbot - einzig sogenannte Zaun- und Klubfahnen werden erlaubt sein -, das die Stimmung im Olympiastadion weiter vergiften dürfte. "Miteinander zu reden, dürfte jetzt noch schwieriger werden", sagt Manfred Sangel, der seit fast 30 Jahren ein Hertha-Fan-Radio betreibt und früher selbst einmal in der Kurve stand - zu Zeiten, da Hertha ein wirkliches Gewaltproblem hatte und die Kurve mit den rechtsextrem durchwirkten, längst aufgelösten "Hertha-Fröschen" gleichgesetzt wurde.

Im Netz kursieren seit Freitag Boykottaufrufe der Ultras

Mit dem Reden ist das freilich schon länger so eine Sache bei der Hertha. Anfang 2017 kündigten die sichtbarsten Fan-Gruppierungen aus der Ostkurve einen länger bestehenden Dialog mit der Vereinsführung auf, seither sind die Beziehungen spannungsgeladen. "Im Dialog mit unseren Fans sind wir seit eh und je", sagte Preetz und präzisierte: "Jedenfalls mit denen, die mit uns reden wollen."

Der Kreis ist überschaubar geworden, weil der Widerstreit zwischen der "Modernisierung", wie er von Herthas Vereinsführung angestrebt wird, in den Augen der Ultras als grenzüberschreitende Kommerzialisierung gebrandmarkt wird. Auch das Verhältnis Herthas zum Samstagsgegner RB Leipzig spielte in den vergangenen Jahren hinein. Die Ultras verlangten von Herthas Klubführung, das Projekt RB zu verdammen. Sie selbst ließen sich zu Geschmacklosigkeiten hinreißen.

Vor ein paar Jahren wünschten sie dem heutigen RB-Trainer Ralf Rangnick auf einem Banner nicht weniger als ein neuerliches Burn-Out-Syndrom an den Hals. "In der Vergangenheit hat man sich schon gefragt, wie einige Banner an den Kontrollen vorbeigekommen sind", sagte Rangnick am Freitag.

Einer der jüngeren Kulturkämpfe kreiste um die Hymne

Vor allem aber kreisten die Konflikte um die Marketing-Kampagnen, mit denen die Hertha versucht, die angeblich so modernen, aber überwiegend herthafernen Zugezogenen unter den Hauptstädtern für sich zu interessieren und bestenfalls zu gewinnen. Diese sind jenen Fans, die sich als einzige legitime Gralshüter einer tradierten Fußballkultur gerieren, aber mit ihren monotonen und hauptsächlich aus der südlichen Hemisphäre importierten Gesängen kaum Interesse am Spielgeschehen zeigen, ein Dorn im Auge.

Mal wurde die Farbe des dritten Ausweichtrikots (rosa) als frevelhaft verteufelt. Dass ein Klubmotto in Englisch daherkam ("We try. We fail. We win.") galt ihnen als nicht minder diabolisch. Einer der jüngeren Kulturkämpfe kreiste um die Hymne, die beim Einlaufen der Mannschaft gespielt wurde: Statt Frank Zanders "Nur nach Hause (geh'n wir nicht)" tönte plötzlich ein Song der Berliner Band "Seeed" aus den Lautsprechern des Stadions. Hertha ruderte rasch und peinlich berührt zurück. Vor allem wurde Herthas "Markenboss" Paul Keuter attackiert - auch persönlich.

Dass Herthas aktueller Werbespruch ("In Berlin kannst Du alles sein. Auch Herthaner") in der Ostkurve paraphrasiert und auf ihn gemünzt wurde ("In Berlin kannst Du überall sein. Auch arbeitslos"), quittierte der einstige Twitter-Manager Keuter noch sportlich. Zuletzt wurde aber mit einer anderen Attacke eine Grenze überschritten. Das Haus, in dem Keuter mit seiner Familie wohnt, wurde von Unbekannten besprüht, mit der alles andere als subtilen, sondern faschistoiden Botschaft: Wir wissen, wo Du wohnst. "@Paul: Ist Hertha hier zu Hause???", stand an der Fassade. Das LKA ermittelt seither gegen Unbekannt.

Derlei spielt auch eine Rolle, wenn die Hertha als Hausherrin eine Maßnahme ergreift, die in den Augen der gereizten Fans als Einschränkung der Meinungsfreiheit wahrgenommen werden wird. Unabsehbar wird dadurch, wann sich die Gräben wieder zuschütten lassen, die über Jahre hinweg gebuddelt wurden. Ausgerechnet jetzt, da Hertha nach neun Spieltagen auf Tabellenplatz sechs und damit sportlich gut dasteht, durch vergleichsweise ansehnliches Spiel auf sich aufmerksam macht und in der Partie gegen den Tabellenfünften aus Leipzig mit einigem Recht ein Spitzenspiel erkennt.

"Wir freuen uns auf diese Partie", sagte Herthas Trainer Dardai. Im Netz kursieren derweil seit Freitag Boykottaufrufe der Ultras für das Spiel gegen RB.

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