Süddeutsche Zeitung

Hannover 96:Alle sind bereit für den Elfmeter

Lesezeit: 3 min

Von Jörg Marwedel, Hannover

Man darf es sich gar nicht vorstellen, wenn auch das am Freitagabend noch schiefgegangen wäre. Sechs Punkte hätte Hannover 96 nach elf Spieltagen gehabt mit nur einem einzigen Sieg. Im Vorjahr waren es zu diesem Zeitpunkt schon 18 Zähler beim damals schwunghaften Wiederaufsteiger. Und die Gefahr in diesem Niedersachsenderby gegen den VfL Wolfsburg war groß, dass es erneut so erfolglos geendet wäre wie zehn Tage zuvor, als man im DFB-Pokal gegen den gleichen Gegner am gleichen Ort mit 0:2 verlor.

Es lief die 18. Minute, als Wolfsburgs Stürmer Yunus Malli den Ball im Tor von 96 unterbrachte. Der frühe Rückstand wäre das gewesen, womöglich hätte er Hannovers Team in seinem Ehrgeiz schon wieder gebremst. Doch dann schritt der Video-Schiedsrichter aus Köln ein. Über den hatten sich die Hannoveraner zuletzt oft aufgeregt, diesmal aber tat er ihnen etwas Gutes. Er hatte gesehen, wie Yannick Gerhardt in der Szene davor das Leder an die Hand bekam. Der Treffer wurde annulliert und 96-Trainer André Breitenreiter stellte fest, das "Spielglück" sei endlich zurückgekommen.

Am Ende stand ein 2:1, ein "Befreiungssieg", bei dem viele "Steine vom Herzen gefallen sind", wie Breitenreiter es ausdrückte. Es war einerseits die Belohnung für die Ruhe, mit der die 96-Führung auf die missliche Tabellensituation reagiert hatte und der Trainerdiskussion keine Nahrung ab. Anderseits hatte der Coach im Vergleich zum Pokalspiel viele Konsequenzen gezogen: Nur vier Spieler hatte er in der Startelf gegenüber dem Pokalspiel gelassen. Tief sollte seine Elf stehen und dann mit den gerade genesenen Flügelspielern Linton Maina, 19, und Noah Sarenren Bazee, 22, mit Geschwindigkeit kontern. Das ging auch deshalb auf, weil in der 31. Minute Ihlas Bebou einen perfekten Ball auf Maina spielte, der ihn direkt zum 1:0 ins Tor leitete.

Von da an hatte 96 deutlich mehr Selbstbewusstsein, was sich auch in der 62. Minute zeigte. Da gab es Elfmeter für die Hannoveraner, weil William den von Bobby Wood angespielten Marvin Bakalorz kurz vorm Tor von den Beinen holte. "Gleich mehrere Spieler" hatte Breitenreiter beobachtet, die den Strafstoß gerne ausgeführt hätten - so etwas machen keine Profis, die Angst vorm Versagen haben. Schließlich schnappte sich Bebou die Kugel und versenkte sie in der linken Torecke, während VfL-Torwart Koen Casteels in die andere Richtung flog.

Ein fragwürdiger Elfmeter für Wolfsburg

Gleichwohl hatte sich das Spiel zugunsten der Wolfsburger nach der Pause verändert. VfL-Trainer Bruno Labbadia, der mit den beiden Innenstürmern Daniel Ginczek und Wout Weghorst, aber ohne Flügelstürmer begonnen hatte, kopierte von der 46. Minute an seinen Trainer-Kollegen, indem er die Flitzer Josip Brekalo und John Yeboah anstelle von Ginczek und Elvis Rexhbecaj aufs Feld schickte. Besonders Brekalo sorgte für große Aufregung rund um den 96-Strafraum. Laut Statistik gewann der Außenstürmer unglaubliche 87 Prozent seiner Zweikämpfe, vergab aber auch seine herausgespielten fünf Chancen zum Teil fahrlässig. "Mehr als nach der Pause können wir das Spiel nicht im Griff haben", bilanzierte Labbadia.

Heraus kam aber nur noch ein fragwürdiger Elfmeter, den Weghorst in der 82. Minute zum 2:1 verwandelte. Angeblich soll Miiko Albornoz Gerhardt umgerissen haben. "Er hat ihn gar nicht berührt", sagte Breitenreiter nach Studium der Bilder. Da griff Videomann aber nicht mehr ein. Das anfängliche Spielglück hat schließlich gerade noch gereicht. Und so ließ der Coach am Schluss kaum jemanden aus bei seinen Lobeshymnen. Maina und Sarenren Bazee pries er für ihren "Mut und ihre Frechheit", Torwart Michael Esser, der in mancher brenzligen Situation großartig hielt, als "absoluten Rückhalt". Und Wood, dem so oft kritisierten Stürmer, applaudierte er für ein "hervorragendes Spiel, in dem er bewies, dass er doch ein guter Spieler ist".

Nun bekommen die Profis einige Tage frei, bevor es in zwei Wochen gestärkt zu Borussia Mönchengladbach mit dem früheren 96-Trainer Dieter Hecking geht. Kaum leichter haben es die Wolfsburger, die jetzt kaum besser dastehen als vor einem Jahr (zwölf statt elf Punkte): Sie empfangen das Spitzenteam von RB Leipzig.

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