Bundesliga: Hamburger SV:Strategie aus dem Schlachthofviertel

Der Münchner Roman Grill, als HSV-Sportchef abgelehnt, plant die Karriere des Profis Piotr Trochowski - dessen Entwicklung erinnert an Philipp Lahm.

Christof Kneer

Wahrscheinlich hätte er tausend Interviews geben müssen in dieser Woche, wahrscheinlich hätte er in allen Sportsendungen gesessen, die das Fernsehen hergibt. Er hätte erzählen müssen, wie das so ist, als Kind des Südens einen Klub zu führen, den seine Anhänger als "Perle des Nordens" verehren. Er hätte erzählen müssen, wie man bei den Hanseaten mit bayerischer Klangfärbung durchs Leben kommt, und bestimmt hätte noch jemand gefragt, ob das Spiel des Hamburger SV gegen den FC Bayern ein besonderes Spiel für ihn sei.

Roman Grill hätte saubere Antworten in bayerischer Klangfärbung gegeben und bestimmt gesagt, dass das ein besonderes Spiel ist - für ihn, den neuen HSV-Sportchef, der alles, was er über Fußball weiß, in München lernte. Er war Amateurspieler, A-Jugendtrainer und Pressestellenmitarbeiter beim FC Bayern, später unterhielt er eine Spielerberatungsagentur im schicken Münchner Schlachthofviertel.

Vorbild Iniesta

Roman Grill, 44, wird nun aber doch nicht im Fernsehstudio sitzen am Wochenende. Er ist auch nicht HSV-Sportchef geworden, er sitzt immer noch im schicken Münchner Schlachthofviertel und versucht, die gescheiterte Bewerbung sportlich zu nehmen. Er war ja fast schon in Amt und Würden beim HSV, nur noch eine letzte Präsentationsrunde vor dem Aufsichtsrat trennte ihn vom neuen Job. Aber weil der letztverbliebene Rivale Oliver Kreuzer per SMS aus dem Hotelzimmer absagte, wurde die Runde vertagt, und zwar sicherheitshalber um mehrere Monate. Ein paar Tage später hörte Grill den HSV-Aufsichtsratschef Becker sagen, "Herr Grill" sei "kein Kandidat mehr"; man lasse sich jetzt "Zeit bis zur Winterpause". Das Lustige an diesem Satz ist, dass der viel zu offensive, viel zu wenig ausbalancierte HSV im Moment so spielt, als brauche er dringend einen Sportdirektor.

In Wahrheit ist Grill am Ende wohl sein Job im Schlachthofviertel zum Verhängnis geworden; die Mannschaft, so wurde kolportiert, sei skeptisch, einen Spielerberater zum Vorgesetzten zu bekommen. Der eifrigste Kolporteur war der Torwart Frank Rost, 35, von dem wiederum kolportiert wird, er wolle nach dem Ende seiner Karriere lieber selbst Sportchef werden beim HSV. Der Rivale Grill ist fürs Erste aus dem Rennen, umso kurioser ist es, dass der Münchner die Entwicklung des HSV indirekt dennoch mitbestimmt.

Zu Grills Klienten zählt ja Piotr Trochowski, 25, jener Spieler, der im Moment versucht, zumindest auf dem Feld die Geschäfte beim HSV zu übernehmen. Und wenn Trochowski so gedeiht, wie Grill sich das vorstellt, dann wird der HSV bald sehr viel Freude am Grill-Klienten haben - entweder, weil Trochowski den Verein mit seinem Spiel auf eine höhere Ebene hebt; oder weil er lieber gleich auf eine höhere Ebene wechselt und dem HSV irgendwann eine beträchtliche Transfereinnahme beschert.

Der Berater Grill ist bekannt dafür, dass er seine Spieler entwickelt, als wäre er immer noch Trainer. Im Schlachthofviertel sitzt er manchmal stundenlang mit seinem Topspieler Philipp Lahm zusammen und erörtert noch die winzigsten Vor- und Nachteile des Links- bzw. Rechtsverteidiger-Seins. Auch Trochowski darf sich nach jedem Spiel auf tiefgehende Fachdebatten gefasst machen, nach der Pokalpleite in Osnabrück hat ihm Grill etwa vorgehalten, er habe "wieder zu viele Moves" gehabt; zu viele unnütze, nicht zielführende Bewegungen, die fein aussehen, dem Spiel aber seinen Fluss nehmen. "Wir reflektieren ständig, was ihn weiterbringt", sagt Grill, "und Piotr weiß, dass sich ein Spieler neben der Begabung auch durch seinen Charakter definiert. Er ist von Haus aus kein Alphatier, aber in diesem Geschäft muss er lernen, sich zu behaupten."

Profilschärfung wie bei Lahm

Es ist also kein Zufall, dass sich Trochowski pünktlich zum Duell mit dem FC Bayern mit knackigen Aussagen vernehmen ließ. Der Glanz der Bayern sei "etwas verblasst", meinte der ehemalige Bayern-Profi, "früher waren die Bayern die Mächtigen, die über allen thronten. Das ist verloren gegangen." Vor kurzem war er auch in Hamburg mit markanten Sätzen auffällig geworden, der HSV müsse aufpassen, so Trochowski, "dass er am Ende nicht wieder mit leeren Händen dasteht", weshalb man sich "gezielt verstärken" müsse. Wer Philipp Lahms öffentliche Profilschärfung miterlebt hat, der erkennt nun auch in Trochowski die Grill-Schule wieder. Wenn er seine Spieler für gut genug hält, ermuntert er sie, sich zu offensiver zu positionieren.

Piotr Trochowski ist zurzeit eines der spannendsten Projekte im deutschen Fußball; spannender als Lahm, dessen Weltklasse unumstritten ist; spannender auch als Mesut Özil, dessen künftige Weltklasse ebenfalls kaum mehr zu verhindern ist. Das Spannende an Trochowski ist, dass er einerseits ein auffälliger Spieler ist, dass aber gerade seine krachenden Schüsse und virtuosen Haken mitunter von seinem wahren Potential ablenken. Er läuft ja ständig Gefahr, als reines Dribblerchen verkannt zu werden; seine strategische Veranlagung erschließt sich nicht immer, was auch an Trochowski selbst liegt, der immer noch dazu neigt, die Klarheit seines Spiels ein paar gefälligen Schnörkeln zu opfern. "Piotr muss sich Iniesta zum Vorbild nehmen", sagt Grill, "das ist genau der Spielstil, der ihm eigentlich liegen müsste."

Fürs Erste hat es Trochowski immerhin geschafft, zum stellvertretenden HSV-Spieler aufzusteigen. Trochowski steht einerseits für die Qualität, die der HSV bereits besitzt; andererseits hat er mindestens noch so viel Luft nach oben wie der ganze Klub. Bis 2011 läuft Trochowskis Vertrag, er steht längst auf den Perspektivlisten von Manchester United und dem FC Arsenal, und die Hamburger müssen jetzt abwarten, was jener Mann plant, der bei ihnen nicht Sportchef werden durfte.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: