Bundesliga:Halil und Hamit - Zeugen einer anderen Fußballwelt

Halil Altintop Halil Altintop Bundesliga

Aus dem Familienalbum der Fußball-Bundesliga: Der ehemalige Schalke-Stürmer Halil Altintop (links) und der ehemalige Bayern-Mittelfeldspieler Hamit Altintop. Das Bild ist fast zehn Jahre alt.

(Foto: Action Pictures/Imago)

Das Duell der Zwillinge Altintop im Spiel Darmstadt gegen Augsburg ist mehr als nur eine romantische Geschichte. Ihre ersten Tore schossen sie noch gegen Verteidiger Wörns und Torwart Stiel.

Von Christof Kneer, Augsburg

Eineiige Zwillinge sehen gleich aus, sie telefonieren täglich, und mit hoher Wahrscheinlichkeit kratzen sie sich auch mit einer ähnlichen Bewegung am Kopf: All das weiß die Zwillingsforschung längst. Ebenfalls verstehen sich Zwillinge auf die Kunst der Gedankenübertragung, eine Fähigkeit allerdings ist bislang noch erstaunlich unerforscht: Richtig anständige Zwillinge haben womöglich auch die Macht, ihre solidarischen Gedanken an Dritte zu übertragen, zum Beispiel an Berichterstatter des Magazins Kicker.

Der 1. FC Kaiserslautern hat im Dezember 2003 zu Hause gegen Schalke 04 verloren, was gemäß gängiger Berichterstatterlogik bedeutet, dass die Spieler der unterlegenen Heimelf deutlich schlechtere Noten bekommen als die Spieler der siegreichen Auswärtself. In diesem Fall hatte die Logik aber keine Chance: Halil Altintop (1. FC Kaiserslautern) und Hamit Altintop (FC Schalke 04) haben die Gedanken der Reporter damals so gelenkt, dass am Ende beide Altintops dieselbe Note bekamen: eine 3,5.

Zu schlecht für einen Auswärtssieger eigentlich, zu gut für einen Heimverlierer. Aber Zwillinge können gönnen.

Halil war "erst skeptisch", als er von Hamits Wechsel nach Darmstadt erfuhr

Achtmal haben Halil und Hamit Altintop bisher in der Bundesliga gegeneinander gespielt (wobei sich Hamit, der Ältere, etwas unsolidarisch fünf Siege sicherte); am Wochenende folgt nun jenes neunte Duell, mit dem weder die Branche noch Halil und Hamit Altintop mehr gerechnet haben. Halil, der Angreifer, stürmt seit 2013 mit immer noch gutem Erfolg für den FC Augsburg, aber Hamit, der Mittelfeldspieler, hatte sich aus der Bundesliga eigentlich längst verabschiedet. Die letzten Jahre hat er bei Galatasaray Istanbul verbracht; dass er von dort noch mal zu Darmstadt 98 wechseln würde, war etwa so wahrscheinlich wie die Aussicht, dass er irgendwann mal nicht täglich mit seinem Zwillingsbruder telefonieren würde.

Also ausgeschlossen, quasi.

Jetzt aber, Bundesliga, 22. Spieltag: Darmstadt spielt gegen Augsburg, Altintop spielt gegen Altintop. In beiden Orten haben sie unter der Woche kleine Sondergipfel einberufen, in Darmstadt saß Hamit vor den Reportern, in Augsburg nahm Halil in einem Journalisten-Stuhlkreis Platz.

Natürlich haben alle noch mal alles wissen wollen: ob die Mama zuschaue (wie immer: nein); ob man Trikots tauschen werde (auch nein); wann man sich zuletzt gesehen habe (Mitte 2016); ob Halil überrascht gewesen sei, als er erfuhr, dass Hamit im Winter nach Darmstadt wechselt (ja, sehr). Und ob das wohl ein Abstieg für seinen Bruder sei, der vier Jahre für den FC Bayern und ein Jahr für Real Madrid gespielt hat? Antwort Halil: Klar sei er "erst skeptisch" gewesen, "weil mein Bruder in seiner Karriere für die größten Vereine und immer nur um Titel gespielt hat" - aber man müsse eben dessen Geschichte kennen, "und nach den Verletzungen in Istanbul war es für Hamit jetzt sicher noch mal ein Reiz, auf Bundesliga-Niveau zu spielen".

"Als wir anfingen, war der Fußball ein ganz anderer"

Und übrigens: Wenn sein Bruder fit sei, könne er "immer noch viele Mannschaften auf der Welt verstärken".

Ja, das nennt man dann wohl: Geschwisterliebe.

Halil und Hamit Altintop, 34, eineiige und rechtsfüßige Zwillinge, gehen nun gemeinsam auf die letzten Meter ihrer Karriere, und auf den ersten Blick kann man es etwas unglamourös finden, wie das alles nun allmählich zu Ende geht: mitten im Abstiegskampf. Aber vermutlich muss man das andersherum sehen: Beide haben es geschafft, dreizehneinhalb Jahre nach ihren Debüts immer noch konkurrenzfähig zu sein - in einer Sportart, die sich immer mehr einen Spaß daraus macht, eine andere Sportart zu sein als jene, in der die Altintops mal angefangen haben.

Als Hamit in seinem ersten Spiel für Schalke gleich zwei Tore gegen Dortmund schoss, hießen die BVB-Verteidiger Reuter und Wörns. Als Halil sein erstes Ligator für Kaiserslautern glückte, überwand er Gladbachs Torwart Jörg Stiel.

Hamit und Halil Altintop stammen aus einer Zeit, in der die Spieler noch Wörns und Stiel und die Trainer noch Gerets, Reimann, Jara und selbstverständlich Neururer hießen, allein diese Vita macht die Zwillinge zu historischen Figuren. Sie zählen zu den letzten noch aktiven Zeugen der Zeitenwende. "Als wir anfingen, war der Fußball ein ganz anderer", sagt Halil Altintop im kleinen Augsburger Stuhlkreis, "es wurde viel mehr Wert auf Erfahrung und Führungsstärke gelegt, und wir Jungen hatten es ganz schön schwer, uns durchzusetzen."

Jung und begabt zu sein, machte einen im Wörnsland eher verdächtig. Was sollte das auch sein, ein Talent???, es gab ja kaum welche damals, außer diesem kolossalen Deisler, und es galt noch die Branchenregel, dass man erst mal 100 Ligaspiele durchgerackert haben musste, um wahr- oder gar ernst genommen zu werden. In diese Zeit platzten die Altintops mit ihrem Talent, vor allem Hamit, der Mittelfeldspieler, der auf Schalke einen kleinen Medienhype auslöste: Ein Talent, ein Talent!

Tempo und Athletik des modernen Spiels haben Halil seinen Stammplatz gekostet

Die Altintops werden jetzt für immer erzählen können, dass sie dabei waren: dass sie miterlebt haben, wie sich der deutsche Rumpel- und Humpelfußball zum durchdesignten Spiel entwickelte, in dem 25-Jährige schon bald alt sind. "Heute kommt Fußball viel mehr über Tempo und Physis, junge Spieler haben da einen völlig anderen Stellenwert als früher", sagt der Augsburger Halil, den diese Entwicklung zunehmend auf die Ersatzbank verdrängt. Auch sein Trainer, der natürlich jugendbewegte Manuel Baum, stellte ja lieber rasende Umschaltathleten auf als die eleganteren Zeugen einer anderen Zeit. Nur in Darmstadt darf Zwilling Hamit einfach noch ein Routinier sein, passenderweise beim Routinier-Versteher Torsten Frings.

Ob Hamit und Halil im Sommer, wenn ihre Verträge gemeinschaftlich enden, ihre Karrieren beenden werden? Das haben sie noch nicht entschieden. Sicher ist nur, dass es der Zwillingsbruder am Telefon als Erster erfahren wird.

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