Borussia Mönchengladbach:Trost gibt’s nur zu Hause

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Es geht doch: Franck Honorat (2. v. l.) und Tim Kleindienst (Mitte) bejubeln das Tor zum 3:0 gegen Werder. (Foto: Federico Gambarini/dpa)

Starke Heimauftritte, bittere Auswärtspleiten: Gladbach spielt eine unbeständige Saison. Das Hochgefühl nach dem 4:1 gegen Werder Bremen könnte bald wieder verflogen sein.

Von Ulrich Hartmann, Mönchengladbach

Wie er mit der Kritik der Fans im Internet umgehe, ist Borussia Mönchengladbachs Trainer Gerardo Seoane am Sonntag vor dem Spiel gegen Werder Bremen beim Sender Dazn gefragt worden, und er hat brüsk geantwortet: „Ich bewerte Kritik von mir fremden Menschen in Sozialen Medien nicht.“ Was die Pfiffe der Fans bei der Nennung seines Namens vor dem Spiel mit seiner Trainerseele angestellt haben, ist Seoane dann nach dem Spiel in der Pressekonferenz gefragt worden, und er hat kühl geantwortet: „Habe ich nicht gehört, da war ich noch in der Kabine.“

Dass der Schweizer Seoane, 46, grundsätzlich weder persönliche noch emotionale Fragen beantwortet, wäre den Fans vermutlich egal, spielte die Mannschaft nur regelmäßiger so ansehnlich wie beim 4:1-Sieg gegen Werder Bremen. Wurde beim Verlesen seines Namens im Rahmen der Mannschaftsaufstellung zum wiederholten Male vor dem Anpfiff noch grell gepfiffen, so sangen die Fans in der Schlussphase des Spiels bereits wieder überschwänglich: „Gladbach ist der geilste Klub der Welt.“ Das ist ein örtlicher Gassenhauer, der nach Lust und Laune auch sehr spontan intoniert wird. In den vergangenen Wochen war die Stimmung in und um Mönchengladbach äußerst wechselhaft, am Sonntagabend war sie plötzlich mal wieder ausgelassen.

Ein goldener Herbst am Niederrhein gefällt nicht nur der regionalen Tourismusbranche. Indian Summer, Grünkohl- und Kürbis-Ernte sowie zuletzt drei Heimsiege nacheinander für die Borussia sind gut fürs Image und fürs Geschäft. Erstaunlich ist, dass nicht nur Fauna und Flora hier saisonalen Rhythmen unterliegen, auch die Borussia blüht im Herbst oft auf.

Vor fünf Jahren, im Herbst 2019, war Gladbach letztmals Bundesliga-Tabellenführer, vor einem Jahr gab es in einer ansonsten miserablen Saison im Herbst die einzigen Lichtblicke, und auch in diesen Wochen strahlt die Mannschaft zumindest im Borussia-Park etwas aus. Das 4:1 gegen Bremen war der dritte Heimsieg nacheinander, und wenn man die letzten beiden Heimsiege mit dem 1:1-Remis in Mainz verknüpft, dann hat sich Gladbach mit sieben Punkten aus drei Spielen in der Bundesliga-Tabelle vorerst auf jenen neunten Platz vorgearbeitet, der am Saisonende als „einstellige Platzierung“ sogar das selbsterklärte Saisonziel treffen würde.

„Das war eine unfassbar gute Performance nach dieser Kacke am letzten Mittwoch“, sagt Stürmer Kleindienst

Erheblich getrübt worden war Gladbachs Laune zwischenzeitlich von einer 1:2-Bundesliga-Niederlage in Augsburg und dem jüngsten 1:2-Pokal-Aus in Frankfurt. Aber wenn diese Mannschaft sich zuletzt eine Fähigkeit angeeignet hat, dann jene, nach bitteren Auswärtsblamagen wenigstens daheim Trost und Wiedergutmachung anzubieten.

Sowohl die Niederrhein Tourismus GmbH als auch der Mittelstürmer Tim Kleindienst haben ihren Wohnsitz in Viersen, nördlich von Mönchengladbach. Die Borussia ist ein Imageträger der ganzen Region, und Kleindienst ist der derzeit wichtigste Imageträger der Borussia. Zum 4:1 gegen Bremen hat er drei Torvorlagen beigesteuert, sein Torbeteiligungskonto in seinen ersten Wochen in Mönchengladbach beläuft sich nunmehr bereits auf sechs Treffer und vier Assists. Dass er nach dem Spiel gefühlt 100 Mal das Adjektiv „unfassbar“ benutzt hat („unfassbar gute Performance der Mannschaft“, „unfassbar zielstrebig gespielt“, „unfassbar selbstbewusst“), darf man nicht so sehr wörtlich nehmen. Aber ein wenig war dies schon Ausdruck einer vielleicht unerwarteten Erleichterung. Wörtlich sagte Kleindienst, mit Verlaub: „Das war eine unfassbar gute Performance nach dieser Kacke am letzten Mittwoch.“

Die so derb umschriebene Enttäuschung im Pokal, 1:2 in Frankfurt trotz 75-minütiger Überzahl, hatte das seit Jahren darbende Gladbach in einer als mittelfristiger Wendepunkt vorgesehenen Saison mal wieder erheblich zurückgeworfen. Die medialen Zweifel am Trainer Seoane in seiner zweiten Saison bei der Borussia waren vorläufig kulminiert, was ihn selbst vermutlich völlig kaltgelassen hat. „Intern gehen wir sehr kritisch mit unseren Leistungen um“, sagte Seoane, „aber wir diskutieren das rein inhaltlich.“

Die Leistung gegen Bremen war körpersprachlich, läuferisch, spielerisch und verwertungstechnisch eine der besten in dieser Saison. Seoane sagte: „Im Fußball spielt das Selbstvertrauen eine große Rolle, und wenn du erst mal einige Siege im Rücken hast, dann gelingen dir vielleicht Dinge, die dir vorher nicht gelungen sind.“ Der Stürmer Kleindienst sagte: „Wir müssen aus dem Sieg gegen Bremen das Selbstbewusstsein entwickeln, dass wir immer so spielen können.“ Die bislang nur hin und wieder überzeugenden Gladbacher suchen weiter nach Konstanz, nach mehreren Erfolgen in Serie, auch auswärts. Das bereits in Sichtweite liegende Problem dabei: Ihr nächstes Spiel ist am kommenden Samstagabend bei RB Leipzig.

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