Süddeutsche Zeitung

Borussia Mönchengladbach:Gesucht: Eine Mannschaft für den Abstiegskampf

Gladbach präsentiert sich bei der 1:2-Niederlage gegen Union Berlin besser als zuletzt - immerhin. Doch der Zustand der Borussia bleibt chaotisch, Trainer Hütter steht vor wegweisenden Spielen.

Von Ulrich Hartmann, Mönchengladbach

An diesem Montag wird der Sportdirektor Max Eberl in seinem Büro im Borussia-Park zurückerwartet. Fünf Tage war er krank. Eberl hat Mönchengladbachs Pokal-Blamage in Hannover (0:3) nicht im Stadion miterlebt - und auch nicht die 1:2-Bundesliga-Niederlage am Samstag gegen Union Berlin. Er hatte kein Corona und auch sonst nichts Schlimmeres, heißt es. Aber frisch genesen geradewegs ins Auge eines Orkans zurückkehren zu müssen, ist trotzdem nicht angenehm.

Die kommende Aufgabe führt Borussia Mönchengladbach in der übernächsten Woche ins Kellerduell zu Arminia Bielefeld, eine Woche später empfängt der Klub den Abstiegskampf-Konkurrenten FC Augsburg. Es folgen also mitten in der Krise zwei wegweisende Spiele. "Da müssen wir punkten", sagt Trainer Adi Hütter - und formuliert damit quasi für sich selbst das einzige Ultimatum, das es bei der Borussia aktuell zu hören gibt.

Die Mannschaft habe ein "anderes Gesicht" gezeigt als beim Pokal-Aus in Hannover, findet Gladbach-Coach Hütter

Denn Eberl hält weiterhin an Hütter fest, nicht nur deshalb, weil er für den Österreicher im vergangenen Sommer 7,5 Millionen Euro Ablöse an Eintracht Frankfurt überweisen musste. Eberl hält Hütter nach wie vor für einen Trainer, der menschlich und fußballerisch gut zur Borussia passt. Was zu Hütter und seinem Verständnis vom Fußball derzeit nicht passt, sind jedoch Spieler wie die französischen Stürmer Marcus Thuram und Alassane Plea, die in vorderster Reihe erkennbar keine große Lust auf kämpferische Abwehrarbeit verspüren. Sie waren mal Gladbachs strahlende Helden, Thuram schwenkte einst die Eckfahne zum Zeichen des Triumphs. Gegen Union saß er auf der Bank, Plea wurde spät eingewechselt.

"Ein weiterer Nackenschlag", sagte Hütter zum vierten verlorenen Heimspiel in Serie. Und doch konnte er der Partie etwas abgewinnen, weil Gladbach Bereitschaft zum Kampf gezeigt hatte und sogar gewinnen hätte können. "Ich kann der Mannschaft heute nullkommanull Vorwurf machen", betonte Hütter, "sie hat ein anderes Gesicht gezeigt als in Hannover." Sein explizites Lob ging an den von ihm zuvor so oft verschmähten Nationalspieler Florian Neuhaus: "Florian hat verstanden, wie man auf dem Platz arbeiten muss. Ich brauche Spieler, die 90 Minuten alles geben."

Noch herrscht viel Steigerungspotenzial bei Gladbach, aber endlich mal schien die Mannschaft verstanden zu haben, dass die Zeiten des Hurra-Fußballs vorbei sind. Mit großer Vorsicht in einem flachen 5-4-1 hielt sie die Berliner in Schach. Als fatal erwiesen sich allerdings zwei Fehler von Denis Zakaria: erst beim Handspiel vor dem Elfmeter zum 0:1 (18.) - und schließlich bei einem missglückten Befreiungsschlag vor Max Kruses spätem Siegtor für Union (2:1/84.).

Ein Absturz in die Zweitklassigkeit wäre eine der absurdesten Episoden der Gladbacher Klubgeschichte

Zakaria ist neben Matthias Ginter einer jener Gladbacher, die im Sommer vertrags- und ablösefrei fortgehen werden. Auch an ihnen entzünden sich Debatten um die Moral der Mannschaft, doch gegen Union gab es wenig auszusetzen. Zakarias Schnitzer waren unglücklich, "es trifft uns momentan richtig hart", sagte Hütter. Drei Punkte Vorsprung sind es noch bis zum Relegationsplatz und vier bis zum direkten Abstiegsplatz. Würde Gladbach aus dem Champions-League-Achtelfinale im Februar 2021 tatsächlich binnen eineinhalb Jahren in die zweite Liga abstürzen, wäre dies eine der absurdesten Episoden der Vereinsgeschichte.

Am vergangenen Freitag ist bei Kapitän Lars Stindl im Training auch noch ein Innenband im Knie eingerissen, er wird wochenlang fehlen. Immer wieder fallen relevante Spieler aus, gegen Union war allerdings nach sechswöchiger Verletzungspause der Angreifer Jonas Hofmann wieder da, und auch Flügelspieler Ramy Bensebaini kommt vom Afrika-Cup zurück, nachdem Titelverteidiger Algerien ausgeschieden ist.

Manager Max Eberl wirkt zuletzt zerstreut und angefasst wie in 13 Jahren nicht

Für Hütter geht in dieser spielfreien Woche ein Selektionsprozess weiter, in dem er herausfinden muss, welche seiner Spieler sich für den Abstiegskampf eignen. "Ich muss die richtigen elf finden, die die Situation annehmen", hatte er bereits vor der Partie gegen Union gesagt. Elf Fußballer hat er gefunden, aber das löste Gladbachs Probleme noch nicht, die sich auch in Zahlen ausdrücken lassen: die drittmeisten Gegentreffer der Liga, vier verschuldete Elfmeter binnen drei Begegnungen in einer Woche - und nur ein einziger Sieg aus den jüngsten acht Pflichtspielen.

Max Eberls Auftritt vor einer knappen Woche in seiner bislang letzten Pressekonferenz tat das Übrige zum chaotisch anmutenden Zustand der Borussia. Mit geröteten Augen, von medialer Kritik gekränkt, strafend wortkarg und derart zerstreut, dass er Adi Hütter neben sich zwei Mal versehentlich "Dieter" nannte - so hatte man den sonst so freundlichen, lustigen und eloquenten Fußballmanager in 13 Jahren noch nie erlebt.

Mit Eberls Rückkehr ins Büro verbindet der Klub die Hoffnung auf neue emotionale Stabilität. Vom Präsidenten Rolf Königs, 80, und vom Aufsichtsratschef Reiner Körfer, 80, kam während Eberls Absenz kein Wort. Ob das ein gutes Zeichen ist, weil man die Ruhe bewahrt, oder ein schlechtes, weil im Hintergrund größere Umwälzungen vonstatten gehen, werden die nächsten Wochen zeigen. Gladbachs Krise dauert an.

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