Hertha gegen Gladbach:Einmal Krisenduell, bitte

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Könnte eine teure Scheidung werden: Lars Windhorst und Hertha BSC. (Foto: Matthias Koch/Imago)

Gladbach trifft auf Hertha BSC und vor dem Spiel stellt sich die Frage, bei welchem Klub die Not am größten ist. Am Niederrhein schwindet das Vertrauen in Trainer Hütter, in Berlin werden die Töne des Investors schärfer.

Von Javier Cáceres, Berlin

An den Kiosken liegt die aktuelle Ausgabe des Fachmagazins Kicker, dessen Titelseite einerseits an Deutlichkeit nicht zu überbieten ist und andererseits doch ein kleines Rätsel birgt. Die Schlagzeile kreist um die Bundesligapartie zwischen dem VfL Borussia Mönchengladbach und Hertha BSC am Samstagabend, und sie lautet: "Not gegen noch größere Not". Das Arrangement der Fotos der jeweiligen Trainer, Adi Hütter (Gladbach) und Tayfun Korkut (Berlin), lässt ahnen, dass der Kicker die Not bei der Hertha als größer ansieht. Doch unter den Anhängern der Borussen gibt es die nachvollziehbare Befürchtung, dass man das andersherum interpretieren müsste.

Rein tabellarisch betrachtet ist die Not bei der Hertha größer. Sie steht mit 23 Punkten auf dem Relegationsplatz, vier Punkte hinter dem Tabellen-13. Gladbach. Aber Fußball ist immer auch eine Frage von Gemütszuständen, und da wird es bei der Borussia gerade heikel.

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Das Vertrauen großer Teile der Borussen-Gemeinde in Hütter ist erodiert. Am Samstag fehlt er wegen Corona, was niemandem zu wünschen ist; doch daraus muss nicht zwingend folgen, dass alle Borussen traurig darüber sind, dass er keinen Einfluss nehmen wird. "Ich werde ohne Zugriff vom Adi coachen", erläuterte Hütter-Assistent und Christian Peintinger. Ganz allein muss sich der Österreicher jedenfalls nicht fühlen. Manager Roland Virkus, Nachfolger des kürzlich zurückgetretenen Max Eberl, will ganz nah am Team sein. Nur: Bei einer gemeinsamen Pressekonferenz wurde deutlich, dass Virkus und Peintinger wichtige Realitäten unterschiedlich wahrnehmen.

Bei beiden Klubs ist auch Gruppendynamik gerade Thema

Ein paar Gladbacher Spieler hatten zuletzt mehr oder minder offen erklärt, dass Gladbach auch unter einer in solchen Situationen durchaus gängigen "Grüppchenbildung" leide. Kaum, dass Peintinger die Fraktionsbildung geleugnet hatte, korrigierte ihn Virkus: "Jetzt ma' ganz kla': Natürlich gibt es Gruppen. Aber keine Gruppen, die gegeneinander arbeiten." Immerhin.

Virkus' Einlassungen ließen sich so deuten, dass die Fraktionsgrenzen entlang sprachlicher Barrieren verlaufen, vor allem zwischen der starken frankophonen und der deutschsprachigen Fraktion des Kaders. Denn Zufall wird es nicht gewesen sein, dass Virkus sagte: "Ich fahr nach Spanien in 'nen Urlaub, da sitzt eine Gruppe Deutscher, ich sprech kein Wort Spanisch, und da sitzt 'ne Gruppe Spanier: Wo ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass ich mich hinsetze? Zu 'n Deutschen. Heißt das, dass ich was gegen die Spanier habe? Ne. Glaub ich nich." Womit wir fast schon bei der Hertha wären. Dort ist auch Gruppendynamik gerade auch ein Thema.

Will ganz nah am Team sein: Gladbachs Manager Roland Virkus, Nachfolger des kürzlich zurückgetretenen Max Eberl. (Foto: Federico Gambarini/dpa)

Nach dem Debakel gegen die Eintracht (1:4) sprach erst Manager Bobic ohne Trainer Korkut mit der Belegschaft, dann traf sich das Team beim Griechen ohne Vorgesetzte zum ersten Mannschaftsabend seit Monaten, zwischendrin brach es aus Trainer Korkut heraus. Er sagte, dass er um seine persönliche Zukunft unbesorgt sei ("Scheiß auf mich!"), und wies - unter anderem - die Mannschaft in drastischen Worten darauf hin, dass sie bis zur Hüfte in Exkrementen stehe.

Investor Windhorst treibt schon länger die Frage um, was die Hertha-Führung mit seinen 374 Millionen Euro angestellt hat

Das wiederum könnte man eins zu eins auf den Gesamtverein übertragen. Als die Woche für die Herthaner begann, ihr Verdauungsapparat noch mit der neuerlichen Pleite vom Wochenende beschäftigt war, warf Sportdirektor Arne Friedrich hin. Mitte der Woche verlagerte sich die Debatte dann schon Richtung Film.

Die Zeitschrift Sport-Bild wartete mit der schon länger gärenden Nachricht auf, dass eine mutmaßlich in jeder Hinsicht abgedrehte Hertha-Dokumentation für eine Streaming-Plattform nicht veröffentlicht werde. Sie war von der Tennor-Gruppe des Hertha-Investors Lars Windhorst mit einem siebenstelligen Eurobetrag gesponsert worden. Als man aber bei Tennor - unter anderem - feststellte, dass sich ein Mitglied der Hertha-Geschäftsleitung "vor laufender Kamera in ehrabschneidender und herablassender Weise über Herrn Windhorst als Investor" geäußert hatte, wie Tennor-Sprecher Andreas Fritzenkötter sagte, blies man das Projekt wieder ab. Was einerseits bedauerlich, andererseits aus Windhorst-Sicht nachvollziehbar ist. Denn um einen spanischen Sinnspruch zu paraphrasieren: Gehörnt zu werden, ist eine Sache; dafür auch noch das Bett bereitzustellen, eine andere.

Zum Politikum wuchs sich das Ganze aus, weil der Windhorst-Sprecher der Nachrichtenagentur dpa erklärte, auf der Mitgliederversammlung im Mai werde "sicher etwas passieren müssen". Dazu muss man wissen, dass Windhorst angekündigt hat, sich alsbald vor seinesgleichen äußern zu wollen: Er ist Hertha-Mitglied. Ihn treibt schon länger die Frage um, was die Hertha-Führung seit seinem Einstieg als Investor im Jahr 2020 mit seinen 374 Millionen Euro angestellt hat. Die verlässlichste Aussage dazu stammt von Geschäftsführer Fredi Bobic: "Das Geld ist weg."

Zuletzt glänzte die Hertha-Führung durch Wortkargheit

Zuletzt bat Herthas Social-Media-Abteilung ihre Follower, "Tacheles" zu reden. Im Fall von Windhorst ist das dem Präsidium und dem zuletzt mit nur 54 Prozent wiedergewählten Vorsitzenden Werner Gegenbauer offenbar nicht geheuer. In einer Antwort auf die Äußerungen des Tennor-Sprechers Fritzenkötter hieß es seitens des Präsidiums, es sei mit Blick auf "die Autonomie des höchsten Vereinsgremiums" eine Grenze überschritten worden.

"Unterschiedliche Ansichten" sollten zukünftig "intern" angesprochen und diskutiert werden. Nur: Zuletzt glänzte die Hertha-Führung durch Wortkargheit. Nachdem Windhorst kürzlich dem Magazin Capital gestanden hatte, dass er sein 374-Millionen-Euro-Investment im Nachhinein als "Fehler" betrachte, wollte Hertha ihn zur Rede stellen: "Wir werden ihn befragen." Darauf warten Tennor und Windhorst noch immer.

Die Funkstille ist umso erstaunlicher, als Windhorst in der Vergangenheit weiteres Geld in Aussicht gestellt hat - und die Hertha wohl klamm ist. In einem aktuellen Finanzbericht der Hertha BSC GmbH & Co. KGaA ist zu lesen, dass die 374-Millionen-Euro-Hertha im vergangenen Jahr Corona-Hilfen des Bundes beantragt und bewilligt bekommen hat - in Höhe von sieben Millionen Euro. Dabei handele es sich um einen Zuschuss, nicht um ein Darlehen, erklärte Hertha. Was alles in allem so klingt, als ob sich Gladbacher und/oder Berliner Popcorn-Fabrikanten auf umsatzstarke Monate freuen dürfen. Denn in beiden Lagern drohen weiterhin Dramen im Cinemascope-Format.

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