Süddeutsche Zeitung

Bundesliga:Müllers Frage wird noch ihre Wucht entfalten

Wie passt es zusammen, wenn Spieler auf Gehalt verzichten und Klubs das gesparte Geld auch für Transfers ausgeben? Der Bundesliga steht ein paradoxer Sommer bevor.

Kommentar von Claudio Catuogno

Die Frage, wie man in Zeiten von Kurzarbeit, Notkrediten und Corona-bedingt zusammengestrichenen Budgets die Kosten reduzieren und trotzdem in die Zukunft investieren kann, stellt sich gerade in vielen Bereichen des Wirtschaftslebens, auch in der Bundesliga. Auf eines muss sich die Fußballgemeinde aber wohl nicht einstellen: dass demnächst auch systemrelevante Tätigkeiten wie die Mittelfeldorganisation oder die Torerzielung an Subunternehmer outgesourct werden.

Wobei, beim FC Schalke 04 kann man sich da vielleicht nicht so sicher sein: Wittern die Klubführer hier Potenzial zur Effizienzsteigerung? Indem sie auch die Rasenarbeit externen Dienstleistern übertragen anstelle der Stammbelegschaft?

Zwei nur auf den ersten Blick sehr verschiedene Meldungen haben am Wochenende den Fußballbetrieb in die branchenübliche Aufregung versetzt: Da war die von Thomas Müller angezettelte (und teilweise wieder eingefangene) Debatte, ob das stete Spekulieren über Multi-Millionen-Transfers in Zeiten von Corona-Gehaltsverzicht nicht "paradox" sei. Und da war die öffentlich gewordene Entscheidung von Schalke, mitten in der Krise 24 Minijobbern zu kündigen, die bisher die Nachwuchskicker des Klubs zum Training und wieder nach Hause kutschiert haben - und stattdessen den "Fahrdienst aus wirtschaftlichen und organisatorischen Gründen extern zu vergeben".

Wofür Geld ausgeben, wenn weniger davon da ist?

Im ersten Fall geht es um die weiterhin mit ihrem Festgeldkonto gesegneten Münchner und um mutmaßliche Zugänge wie Kai Havertz oder Leroy Sané. Im zweiten Fall geht es um die Schalker, denen längst nicht mehr nur die Liquidität, sondern auch das Gespür dafür verloren gegangen ist, was die Seele eines Malocherklubs ausmacht. In beiden Fällen geht es aber letztlich um die Frage: Wofür Geld ausgeben, wenn weniger davon da ist?

Auf Schalke, wo der eigene Betriebsrat die Kündigungen als "sozial verantwortungslos" rügt, haben sie eilig beteuert, dass die Entscheidung schon vor Corona gefallen sei. Was die Sache aber noch schlimmer macht: Der Schaden im öffentlichen Ansehen dürfte jedenfalls größer sein als die Ersparnis, wenn man dem Verein zum Teil seit Jahrzehnten verbundenen Rentnern und 450-Euro-Kräften ihren Zuverdienst wegnimmt. Bloß: Schalke ist ja immer irgendwie ein Sonderfall, gerade halt ein besonders trauriger.

Die Frage, die Thomas Müller im Nachhinein gar nicht mehr so ausdrücklich gestellt haben will, wie er sie gestellt hat, wird hingegen an vielen Ligastandorten noch ihre Wucht entfalten. Es mag kaum einen Fußballprofi wirklich schmerzen, auf 20 oder 30 Prozent Gehalt zu verzichtet, um Jobs auf der Geschäftsstelle, im Marketing (und im Fahrdienst?) zu sichern. Aber es wird jetzt nicht ausbleiben, dass dieses Geld auch für Verstärkungen ausgegeben wird. Das Investieren ins Kerngeschäft: eine strategische Notwendigkeit, gerade in Zeiten der Krise? Ja, schon richtig. Aber der Einzelne kann ja trotzdem auf den Gedanken kommen, ob es das wert war: dass man seinem Arbeitgeber über Monate Geld schenkt, welches dieser jetzt für die Verpflichtung eines Nachfolgers aufwendet.

Dieser Transfersommer wird noch in vielerlei Hinsicht paradox, da hat Thomas Müller ganz bestimmt recht.

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SZ vom 15.06.2020/chge
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