Die Sprechchöre begannen in der Nordkurve der werkseigenen Arena, wo sich eine kleine Fanschar hinter dem grünen Banner „VfL Wolfsburg Frauen“ versammelt hatte. Von hier aus nahm der Evergreen „Zieht den Bayern die Lederhosen aus“ seinen Ursprung, bis ein Großteil der 17 152 Zuschauer mitsang. Hohn und Spott sind in der Frauen-Bundesliga zwar eher nicht üblich, aber beim Heimerfolg des VfL Wolfsburg gegen den FC Bayern (2:0) schienen Frohsinn und Überschwang durchaus verständlich. 44 Ligaspiele hatten die Münchnerinnen nicht mehr verloren und gerade in dieser Saison bei acht Pflichtspielerfolgen wieder unbesiegbar gewirkt.
Als nun der Schlusspfiff ertönte, ballte die VfL-Vorzeigefigur Alexandra Popp die Faust. Zwischen Freudentänzen sagte die gerade aus dem Nationalteam zurückgetretene Stürmerin vergnügt am ARD-Mikrofon: „Wir haben extrem konzentriert und diszipliniert verteidigt. Wir standen tiefer, und man hat gesehen, dass die Bayern keine wirkliche Idee gehabt haben, gegen dieses Bollwerk, so nenne ich es einmal, anzulaufen.“ Vor einem halben Jahr habe man bei einer Heimpleite (0:4) nach individuellen Aussetzern „extrem geblutet“, sagte Popp, nun sei das Signal aus dem östlichen Niedersachsen wichtig gewesen: „Man sieht, dass wir weiter dran sind. Nicht: Die Bayern laufen vor uns weg.“
Die hatten zuletzt am 23. Oktober 2022 an selber Stelle verloren (1:2). Der zuletzt unter einer gewissen Monotonie im Meisterschaftskampf leidenden Liga kann nichts Besseres passieren. Eintracht Frankfurt würde bei einem Heimsieg gegen den SC Freiburg (Montag, 18 Uhr) plötzlich die Tabellenspitze übernehmen.
In Wolfsburg agierten die FCB-Fußballerinnen von Beginn an reichlich verwirrt, was sich im Fehlpass von Jovana Damnjanovic ausdrückte, den Vivien Endemann mit einem leicht abgefälschten Vollspannstoß zum 1:0 nutzte (5.). Eine Viertelstunde später blieb die serbische Allrounderin nach einem Luftkampf mit Marina Hegering lange benommen liegen und musste mit einer Trage vom Feld gebracht werden. „Ich habe sie in der Halbzeit gefragt und sie hat gesagt, es sei nicht so schlimm“, sagte Linda Dallmann, die Damnjanovic ersetzte. Auch Bayern-Trainer Alexander Straus berichtete später, die Szene habe zwar dramatisch ausgesehen, aber vermutlich werde der Zusammenstoß folgenlos bleiben.
VfL-Coach Stroot setzt noch am Spieltag selbst ein Taktiktraining an
Die Vorentscheidung fiel in der Autostadt dann in der Mitte der zweiten Hälfte: Als die abgemeldete Münchner Nationalstürmerin Lea Schüller am eigenen Fünfmeterraum ein Luftloch schlug, beschenkte sich die gerade eingewechselte Lineth Beerensteyn einen Tag nach ihrem 28. Geburtstag mit dem 2:0 (67.). Fünf Jahre hatte die Niederländerin ja selbst für die Bayern gespielt, nun wunderte sich Wolfsburgs Zugang, „dass wir alles unter Kontrolle hatten“. So hilflos hatte sich die FCB-Starbesetzung lange nicht mehr angestellt. „Wir sind nicht richtig ins letzte Drittel gekommen“, sagte Sydney Lohmann.
Weil selbst die zum Champions-League-Auftakt gegen Arsenal (5:2) so treffsichere Stürmerin Pernille Harder im Abschluss glücklos blieb, kam das, was laut Coach Straus irgendwann kommen musste. „Es ist unglücklich, aber es war irgendwann unvermeidlich. Man gewinnt nicht 444 Spiele in Folge“, meinte der ernüchterte Norweger. Ihn hatte der Kollege mit einem einfachen Kniff überrumpelt. VfL-Coach Tommy Stroot erzählte hinterher ziemlich lässig, dass ihm auf dem Rückflug vom missglückten Königsklassen-Comeback in Rom (0:1) die Idee gekommen sei, es doch mal mit einer Fünferkette zu versuchen. Deshalb habe er seinen Spielerinnen nicht nur den freien Tag gestrichen, sondern am Spieltag noch ein Taktiktraining am Elsterweg angesetzt, um das Verschieben zu üben. „Toll zu sehen, wenn es sich so auszahlt.“
Nationaltrainer Wück verpasst Spitzenduell – dürfte sich aber auf eine Wolfsburger Mittelfeldspielerin freuen
Überragend agierte dabei im Zentrum der Wolfsburgerinnen die unter Horst Hrubesch bei den Olympischen Spielen zur Stammspielerin aufgestiegene Janina Minge („Wenn ich es mir aussuchen könnte, würde ich offensiver spielen“). Deren vielseitige Verwendung dürfte auch Hrubeschs Nachfolger Christian Wück erfreuen, der gegen England (25. Oktober) und Australien (28. Oktober) seine ersten Länderspiele bestreitet. Der dazugehörige Kader wird am Dienstag verkündet. Weil der Bundestrainer am Samstagabend den Bayerischen Fernsehpreis empfing, sahen allein seine Assistentinnen Maren Meinert und Saskia Bartusiak den Wolfsburger Coup.
Dass der VfL wie im gewonnenen Pokalfinale gegen Bayern (2:0) zuschlägt, wenn zuvor von der Wachablösung geraunt wird, hatte neben dem Matchplan auch mit der Mentalität zu tun. Insbesondere die Ü30-Fraktion, also Popp und Hegering, aber auch Svenja Huth und Kathrin Hendrich ließen sich „nicht aus der Ruhe bringen“, erklärte Stroot. Mit ihrer Erfahrung ließen sich Qualitäten immer noch punktgenau abrufen. Die Frage ist, ob sein Ensemble das auch gegen den Champions-League-Rekordsieger Olympique Lyon (Donnerstag, 21 Uhr) schafft, wenn es im eigenen Stadion neben der Arena vor kleinerer Kulisse auch andere Fangesänge gibt.