Süddeutsche Zeitung

Fußball:Ohne Fans geht es, aber nicht ohne Fernsehgelder

  • Die harte Erkenntnis der Corona-Zeiten deutet sich bereits an: Finanziell mag der Fußball ohne den Fan in der Arena vielleicht funktionieren, aber es wird nicht ohne die Fernsehgelder und Sponsorenmillionen gehen.
  • Schon jetzt ist höchst fraglich, ob alle Klubs die Krise überstehen.

Von Freddie Röckenhaus, Dortmund

Es klang wie ein Seufzer des Triumphs. Kaum waren die ersten zuschauerfreien Spiele dieser Woche abgepfiffen, da meldeten die Experten der Fankurven ihren Indizien-Sieg der edlen Sache: Fußball vor leeren Sitzschalen sei kein Fußball mehr! Ohne "Fans und Emotionen", so verkündete in Dortmund etwa das "Bündnis Südtribüne", fehle dem Fußball "fast alles, was ihn ausmacht", er sei dann "nur ein gewöhnlicher Sport, in dem 22 Menschen einem Ball hinterherjagen". Und Borussia Dortmunds junger Stürmer Erling Haaland bekannte nach dem BVB-Ausscheiden am Mittwoch im Champions-League-Achtelfinale (Hinspiel in Dortmund mit Publikum 2:1, Rückspiel ohne Publikum bei Paris Saint-Germain 0:2) treuherzig, ohne Fans sei "alles scheiße".

68 Millionen Euro pro Spieltag zahlt allein das Fernsehen

Die Fußball-Romantik hatte obsiegt, so schien es für einen Wimpernschlag zu sein, ausgerechnet dank der Corona-Krise. Die Geisterspiele zur Wochenmitte in Mönchengladbach (Bundesliga: 2:1 gegen Köln) und Paris hätten endgültig bewiesen, meinten die Fans, um was es wirklich gehe beim großen Spiel: um das Gesamtkunstwerk aus Rasen und Zuschauern. Wenn da nicht die bösen Finanzen wären.

Hinter den Kulissen der Liga und denen von Borussia Dortmund fällt die Wochenbilanz ziemlich genau andersherum aus. Auch wenn das kaum einer offen sagen mag, weil man im gefühlsseligen Fußballgeschäft den Zuschauern nicht jede Wahrheit zumuten mag. Ohne Fans und auch ohne deren Eintrittsgelder kann sehr wohl noch ein Fußballspiel stattfinden. Zumindest, solange alle Spieler und Beteiligten gesund sind. Genau genommen muss es sogar stattfinden. Denn ohne die Millionen von Fernsehen und Sponsoren geht es in der Liga nicht lange weiter. Sage und schreibe 68 Millionen Euro pro Spieltag zahlt allein das Fernsehen, zuverlässig, Woche für Woche. Einzige Bedingung: Es wird gespielt. Wenn hier Gelder und Liquidität wegbrechen, weil nicht mehr gespielt werden kann, dürften kurzfristig mehr Vereine in Gefahr sein, in die Insolvenz zu rutschen.

Hans-Joachim Watzke, Geschäftsführer von Borussia Dortmund, der sich früher selbst als Fußball-Romantiker outete, inzwischen aber dem Überschwang abgeschworen hat, fasst die Lage erschreckend nüchtern so zusammen. In erster Linie geht es nämlich wohl nicht um Gefühle. "Nicht für uns, aber für einige könnte es ganz knallhart um eine Insolvenz-Vermeidungsstrategie gehen", sagt Watzke.

Natürlich würde niemand gerne in einem leeren Stadion sitzen, aber jeder Spieltag, den die Bundesliga durchgezogen bekomme, würde den Klubs helfen, diese Zeiten zu überstehen. Nicht für den Einnahmen-Krösus aus Dortmund, nicht für den noch wohlhabenderen FC Bayern aus München, und auch nicht für die Werks- und Sponsorenklubs Bayer Leverkusen, VfL Wolfsburg, TSG Hoffenheim und RB Leipzig - aber für eine ganze Reihe anderer Klubs der ersten Liga. An Geisterspiele werde man sich vielleicht für eine Weile gewöhnen müssen. Doch nicht allzu lange, denn: The Show must go on.

Dortmund erzielt im normalen Bundesligabetrieb nur etwa zehn Prozent seiner Einnahmen aus dem Verkauf von Eintrittskarten. Bei anderen Klubs liegt der Anteil zwar oft höher, aber selten über 20 Prozent der Erlöse. Derzeit kalkuliert Borussia Dortmund, mit seinem besonders großen Stadion mit mehr als 81 000 Plätzen, mit Einnahmeverlusten von etwa drei Millionen Euro pro Heimspiel ohne Zuschauer. Der BVB hat noch fünf Heimspiele, inklusive des Revierderbys gegen Schalke 04, das eigentlich an diesem Samstag um 15.30 Uhr angepfiffen werden sollte. Aber selbst wenn alle diese Spiele ohne Publikum gespielt würden, könnte Dortmund den drohenden Gesamtverlust von 15 Millionen Euro an Ticketeinnahmen verschmerzen. Robin Steden, Dortmunds Mann für die Kommunikation mit der Börse, an der die Aktie des BVB gehandelt wird, hat dies bereits unter der Woche den Aktionären bekannt gegeben.

"Natürlich müssen wir unseren Dauerkartenkunden dann ihr Geld anteilig zurückerstatten", sagt Watzke, "bei fünf Spielen wären das also fünf Siebzehntel des bezahlten Preises." Andere Klubs, mit kleineren Stadien, verlieren pro Heimspiel nur 1,5 bis zwei Millionen Euro an Eintrittsgeldern. Auch diese Verluste wären zwar schmerzhaft, aber vergleichsweise verkraftbar. Nichts reißt solche Löcher wie der komplette Ausfall von Spielen, weil dann das Fernsehen seine bestellte Leistung nicht bekommt und nicht zahlen muss. "Sechs oder acht Wochen praktisch ohne Einnahmen, das brächte jede Liquidität unter Druck", schätzt Watzke. Er hat sogar für Borussia Dortmund vor einigen Wochen "vorsorglich" eine Kontokorrent-Kreditlinie besorgt. Beim BVB ist das kein Problem, weil das Unternehmen schuldenfrei ist und die Risiken für Banken sich in Grenzen halten. Aber für Vereine, deren Kreditlinien ohnehin am Anschlag sind und denen die Banken keine Überbrückungskredite geben, weil die Risiken zu hoch erscheinen, ist das existenzbedrohlich. Spielergehälter müssen ja weiter bezahlt werden, egal ob Einnahmen fließen. "Wer seine Gehaltszahlungen einstellt, muss damit rechnen, dass seine Spieler ablösefrei wechseln dürfen", sagt Watzke.

Die brutale Erkenntnis der Corona-Zeiten ist also nicht, dass es ohne Fans nicht geht, sondern dass es ohne die Fernsehgelder nicht geht, und im zweiten Zug auch ohne Sponsorenmillionen nicht. Geisterspiele, lässt Watzke durchblicken, wolle zwar niemand, aber sie könnten unter dem finanziellen Druck unvermeidbar werden.

"In Sponsorenverträgen steht mitunter natürlich, dass du 34 Bundesliga-Spieltage als Leistung abzuliefern hast"

Offenbar liegen einigen Vereinen Informationen aus dem Gesundheitsministerium vor, man rechne dort für die laufende Saison gar nicht mehr damit, dass noch einmal Spiele normal mit Zuschauern im Stadion würden stattfinden können. Weitere Geisterspiele ohne Zuschauer dagegen wären technisch machbar.

Das Horrorszenario für die Bundesliga scheint deshalb gerade zu sein, dass man jetzt Spieltage komplett verschiebt und sich im Sommer herausstellt, dass man die Saison nicht mehr vollständig zu Ende gespielt bekommt. "In Sponsorenverträgen", so Watzke, "steht mitunter natürlich, dass du 34 Bundesligaspieltage als Leistung abzuliefern hast. Dasselbe gilt selbstverständlich für die Fernsehverträge. Wenn du also bis 30. Juni, einen Monat nach unserem geplanten Saisonende, nicht alle Spieltage abgeliefert hast: Was dann?"

Man könne wohl kaum darauf rechnen, dass Fernsehsender und Sponsoren dann allzu großherzig trotzdem zahlen würden. Die Dimensionen sind dabei schwindelerregend. In Deutschland geben die meisten Bundesligaklubs mindestens zehn Millionen Euro im Monat für ihren laufenden Betrieb aus, Klubs wie Bayern oder Dortmund, mit Umsätzen von 500 oder gar 600 Millionen, entsprechend das Vier- oder Fünffache.

Angesichts der Meldungen aus anderen europäischen Ligen ist allerdings auch damit zu rechnen, dass selbst "Geisterspiele" auf unabsehbare Zeit nicht mehr möglich sein könnten: sobald es auch in Deutschland positiv auf den Virus getestete Spieler, Trainer und Betreuer gäbe. England, Italien, Spanien und Frankreich hatten ihre Spieltage bereits abgesagt, am Freitagnachmittag folgte die Komplettabsage der deutschen Bundesliga, beginnend mit diesem Wochenende. Offenbar sind andere Länder und Ligen optimistischer, was die schnelle Rückkehr zu einer Normalität angeht. Das kann auch an einer eher realistischen Einschätzung des deutschen Gesundheitsministers Jens Spahn und seinen wissenschaftlichen Beratern liegen.

Deswegen spielt die Bundesliga derzeit auf Zeit, und dazu gehört es offenbar, mit dem Mittel von Geisterspielen ohne Zuschauer zumindest bis zur Ziellinie der Saison zu kommen. Hoffnung auf Hilfe vom Staat hat Watzke nicht. "So etwas wie Kurzarbeitergeld wird es bei uns in der Bundesliga eher nicht geben," sagt Watzke. Während sein CDU-Parteifreund, Wirtschaftsminister Peter Altmaier, anderen Branchen bereits üppige Hilfen zusagt, glaubt der Profifußball nicht an solche Auffanghilfen: den vielzitierten Millionären vom Profifußball Existenzbeihilfen oder Bürgschaften zu geben. Das werde sich wohl kaum ein Politiker trauen, das könnte in der augenblicklichen Corona-Situation politischer Selbstmord sein.

Kann sein, dass sich alle ein bisschen dran gewöhnen, in solchen Zeiten zu Hause am Fernseher wenigstens noch ein bisschen Fußball gucken zu können. Trotz Geisterkulisse, und ohne Fangesänge.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4844395
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 14.03.2020
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.