Bundesliga: FC St. Pauli:Underdog als Schäferhund

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Mehr als nur Kiezklub-Kult: Der einst notorisch klamme FC St. Pauli hat sich mit seinem fünften Aufstieg in die Bundesliga zu einem ordentlichen Mittelstandsunternehmen entwickelt.

Jörg Marwedel

Wenn Helmut Schulte, 52, von denen spricht, die damals dabei waren, sagt er: "Die 88er." So wie man von den 68ern redet, die einst den Muff aus der Gesellschaft vertrieben haben. Damals, 1988 eben, war er Trainer des FCSt. Pauli, der gerade in die Bundesliga aufgestiegen war und die Belétage um eine neue Note bereicherte - mit wenig Geld, aber viel antikapitalistischem Underdog-Pathos. Die Fans haben dem jungen Trainer zu Füßen gelegen und viele Bananen auf ihn geworfen, weil er diese Frucht so gerne mochte. Inzwischen ist Helmut Schulte, nach vielen Jahren als Nachwuchskoordinator beim FC Schalke 04, zurück. Er ist jetzt Sportchef und neben dem außergewöhnlichen Fußballlehrer Holger Stanislawski, 40, der wichtigste Mann im sportlichen Bereich.

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Der FC St. Pauli, gerade zum fünften Mal in die oberste Klasse aufgerückt, ist "noch immer ein Underdog", sagt Schulte. Ein Klub, der auch damit umgehen müsse, mal wieder in der zweiten Liga zu spielen. Doch zwischen dem Underdog von 1988 und dem Underdog von 2010 ist der Unterschied so groß wie der zwischen einem Dackel und einem Schäferhund. Es gibt keine Schulden mehr wie 2003, als der Klub nur durch eine groß angelegte Retteraktion vor der Insolvenz bewahrt wurde. Auf der neuen Haupttribüne können sich jetzt betuchtere Vereinsfreunde ein "Separée" leisten, wie die neuen Logen wegen der nahen Reeperbahn genannt werden. Das bringt eine Menge mehr Geld. Am Samstag steht die Einweihung an, beim ersten Bundesliga- Heimspiel nach acht Jahren gegen die TSGHoffenheim.

Wer noch ein Stück altes St. Pauli erleben will, der muss zum Trainingsplatz in der Kollaustraße fahren - wobei auch das nicht ganz richtig ist, weil zu Schultes Trainerzeit gar kein eigenes Übungsgelände zur Verfügung stand, sondern oft nur einen Ascheplatz auf dem Heiligengeistfeld. Das alte St. Pauli waren Container. Das Millerntor-Stadion plus Geschäftsstelle bestand vornehmlich aus provisorischen Fertigbauten. An der Kollaustraße gibt es noch genau einen Container. Mit drei Büros, die kaum größer sind als ein Schlafzimmer. Eins für Stanislawski, eins für Co-Trainer André Trulsen, eins für Schulte. In Trulsens Raum klebt ein Spruch an der Wand: "Der Preis des Erfolges ist Hingabe."

Die Hingabe wurde nicht für die Ordnung in den Büros verwendet, wohl aber für die Verwandlung eines Klubs, der nach Jahrzehnten als Klitsche nun als ordentliches Mittelstandsunternehmen durchgehen kann. Das hat auch damit zu tun, dass der im Mai zurückgetretene Präsident Corny Littmann neue wirtschaftliche Strukturen geschaffen und für den Stadion-Neubau gesorgt hat. Davor hat nicht nur Schulte "ganz viele Hüte gezogen". Vor allem aber hat Littmann, der nicht besonders viel vom Fußball versteht, dafür gesorgt, dass allein die intelligenten Fußballer von einst jetzt das Sagen haben. Es gibt, sagt Schulte, nur sechs Leute, die über das Sportliche entscheiden: "Stanislawski, die Co-Trainer Trulsen und Klaus-Peter Nemet, Nachwuchschef Joachim Philipkowski, Scout Stefan Studer und ich."

Wobei die Kooperation zwischen Stanislawski und Schulte anfangs nicht so einfach war. Zuvor hatte Stanislawski ja als Vizepräsident und später als Sportchef fast allein bestimmt, was personell zu tun sei. Doch bald bekam er mit, dass der einstige Bundesliga-Trainer Schulte viel Verständnis für ihn aufbrachte und schon gar nicht scharf war auf seinen Job. Schulte wiederum fand es "genial", dass er Stanislawski nicht erklären musste, warum ein Transfer nicht klappte, weil der ehemalige Sportchef genügend Einblick im Wirtschaftlichen hatte.

Mit vielen Norddeutschen

Und in einem Punkt haben sich beide ohnehin getroffen, was die Klammer ist zwischen 1988 und 2010. St. Pauli ist - wie damals, als Hamburger wie Jürgen Gronau, André Golke oder Jens Duve den Ton im Team angaben - eine norddeutsche Mannschaft. Allein 13 Profis kommen aus dieser Region. St. Pauli hat im Profifußball sogar die meisten Spieler mit deutschem Pass. Allein der von Schalke ausgeliehene Peruaner Carlos Zambrano hat eine andere Nationalität. Kurios: Energie Cottbus hat in einer Gegend, die nicht für Ausländerfreundlichkeit bekannt ist, mal elf nichtdeutsche Profis aufgeboten. Der FC St. Pauli, bei dem die Fans vermutlich sogar elf schwarze Spieler akzeptiert hätten, ist jetzt Vorreiter der deutschen Welle. Wobei die Einwanderer Gerald Asamoah und Charles Takyi durchaus noch den Multikulti-Faktor reinbringen.

In Schultes Büro hängt nur eine deutsche Landkarte, denn "den internationalen Spielermarkt können wir eh nicht beherrschen", sagt der Sportchef, der eine Scoutingabteilung nebst Datenbänken über interessante Spieler aufgebaut hat. Inzwischen gibt es, auch wegen Stanislawskis Popularität bei den Profis, acht ehemalige oder aktuelle U21-Nationalspieler im braunen Trikot. Und die können nicht nur kämpfen wie die früheren St. Pauli-Profis, sondern auch ansehnlichen Fußball spielen.

Helmut Schulte, der Mann, der Gegenwart und Vergangenheit verbindet, könnte in noch einem weiteren Punkt wichtig werden. Als Moderator zwischen den Fans der Alt-88er und den neuen Ultras, die beide wiederum die Modefans nicht mögen. "Ich lehne Dogmatismus ab", sagt Schulte, "das ist der falsche Ansatz für das Leben."

© SZ vom 28.08.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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