Süddeutsche Zeitung

FC Bayern:Süles pikante Sätze

Mit einem an Besessenheit grenzenden Perfektionsdrang gewinnt der FC Bayern weiter. Ein Rechtsstreit unter Spielerberatern, an dem auch Niklas Süle beteiligt ist, könnte aber plötzlich für Unruhe sorgen.

Von Christof Kneer

Würde man diesen Satz aus seinem Zusammenhang reißen, könnte man eine abenteuerliche Geschichte über den FC Bayern erzählen. Thomas Müller hat nach dem 3:1-Sieg bei der SpVgg Greuther Fürth nämlich gesagt, die Bayern müssten aufpassen, dass sie "den Anschluss nicht verlieren". Dieser Satz ist selbstverständlich eine Einladung an alle Journalisten, die ja kraft Amtes dazu aufgerufen sind, Sätze aus dem Zusammenhang zu reißen. Man könnte jetzt also eine reißerische Story machen, die den Alarmzustand beim FC Bayern beschreibt. Müllers Mahnung könnte man in Großbuchstaben drüberschreiben und dann die Argumente bringen. Die Bayern drohen also abgehängt zu werden, weil ... weil ... ja warum eigentlich? Nach einiger Überlegung würde man zu dem Schluss kommen: Funktioniert leider doch nicht, die Geschichte.

Hier kommt, was Thomas Müller wirklich sagte, mit Zusammenhang: "Wir sind zufrieden, wie es läuft, aber wir dürfen den Anschluss nicht verlieren, immer weiter den nächsten Schritt zu machen. Darum geht's, und das macht ja auch am meisten Spaß, dieses Sich-Verbessern. Wir dürfen den Anschluss nicht verlieren an unsere eigene Entwicklung."

Diese Sätze sind zu lang für eine Überschrift, dennoch muss man anerkennen, dass sie zu den besten Sätzen zählen, die man auf dem Markt zurzeit zum FC Bayern findet. Müller sagt, wie's ist: Der FC Bayern hat sich im Moment nur selbst zum Gegner. Die Herausforderungen bestehen zurzeit weniger darin, gegen Leipzig, Barcelona, Bochum oder die SpVgg Greuther Fürth zu gewinnen. Über das "ob" sind die Bayern inzwischen hinaus, es geht vor allem ums "Wie". Also: Genügt die Leistung schon den hohen Ansprüchen des neuen Trainers, genügt sie den genauso hohen Ansprüchen der Spieler? Darf es sein, dass man in einem niedlichen Stadiönchen mitten in einem Fürther Wohngebiet ein spätes Gegentor zulässt? Darf es sein, dass man zwar wieder absurd überlegen ist, zwischendurch aber immer wieder Fehlpässe spielt?

Einen Teil des FC Bayern gibt es nicht mehr

In der ersten Hälfte habe man "zwei Konterchancen verdaddelt", sagte Müller nach dem 3:1, zu dem er ebenso einen Treffer beigetragen hatte wie Joshua Kimmich (dazu kam ein Eigentor des Fürthers Griesbeck). Man habe das Spiel zwar im Griff gehabt, sagte Kimmich, trotz der über 40-minütigen Unterzahl, die den FC Bayern nach dem Platzverweis von Benjamin Pavard beschäftigte; dennoch sei das "nicht unbedingt eine Glanzleistung" gewesen.

Auch das ist ja eine Nachricht: Einen Teil des FC Bayern gibt es nicht mehr. Jenen FC Bayern, der sich gegen kleinere Gegner manchmal ein paar Nachlässigkeiten gönnte, hat der FC Bayern höchstpersönlich abgeschafft. Die unter dem Trainer Flick zusammengewachsene Gruppe strahlt auch unter Julian Nagelsmann einen Geist aus, der sich nicht mal von einem Stadiönchen im Wohngebiet einlullen lässt. Ein haarscharf an der Besessenheit vorbeischrammender Eigenantrieb bringt nun sogar glückliche Verlierer und unzufriedene Sieger hervor - zumindest in Fürth, wo die Gastgeber mit leuchtenden Augen davon erzählten, dass der große FC Bayern zu Besuch war, während der große FC Bayern schmallippig die eigenen Fehlpässe durchnummerierte.

Ist die Geschichte des FC Bayern mit dem Müller-Zitat also für den Moment zu Ende erzählt? Den superehrgeizigen Bayern kann keiner gefährlich werden, nicht mal sie sich selbst?

Nagelsmann sagte nach dem Spiel allerdings auch dies: "Ich finde es grenzwertig, wenn solche Chat-Verläufe an die Öffentlichkeit gegeben werden. Das hat auch mit Vertrauen zu tun. Ich habe es nicht mit Niki thematisiert, aber er ich kenne ihn seit Jahren und weiß, dass er Qualität und Potenzial hat." Der Trainer sagte das auf der Pressekonferenz, womit aus einem komplexen Thema einstweilen ein öffentlicher Vorgang geworden ist.

Nagelsmanns Antwort bezog sich auf eine Veröffentlichung des Spiegel, in der es - verkürzt gesagt - um den Rechtsstreit der Spielerberater Karlheinz Förster und Murat Lokurlu geht, die sich um Zuständigkeiten und Provisionen streiten. Es geht dabei auch um die Nationalspieler Timo Werner und Niklas Süle, von denen der erste nie in München landete, obwohl er mit dem FC Bayern schon mal einen Vertrag unterzeichnet haben soll. Dass es eine feste Verabredung zwischen den Parteien gab, deckt sich mit SZ-Informationen; Timo Werner soll seinen Berater dann aber aufgefordert haben, die Bindung wieder zu lösen.

Pikant könnte die Geschichte werden, weil Süle zur einflussreichen Gruppe der 1995/96er-Jahrgänge gehört

Bei Süle handelt es sich hingegen um einen Spieler des FC Bayern, und so könnte seine Verwicklung in den Fall noch für Unruhe in München sorgen. Laut Spiegel soll Süle im Februar 2019 eine eidesstattliche Versicherung unterschrieben haben, wonach er von 2013 bis 2020 allein durch Förster vertreten worden sei; zu Lokurlu hingegen habe er "überhaupt keine geschäftlichen Kontakte" gehabt. Für den Münchner Tagesbetrieb relevanter könnten aber jene Passagen werden, in denen Süle angeblich in diversen WhatsApps an Lukurlu seinen Wechselwillen hinterlegt ("wenn einer sagt der würde mich nehmen von den großen Clubs sag mir Bescheid"; "ich will im Sommer eigentlich nach England nach der EM"; "keine Lust mehr hier will unbedingt nach England"). Sätze, die bei der Münchner Klubführung keinen Enthusiasmus auslösen dürften.

Pikant könnte die Geschichte werden, weil Süle zur einflussreichen Gruppe der 1995/96er-Jahrgänge um Kimmich, Goretzka, Gnabry oder Sané gehört. Die Kumpels hätten ihn sicher gerne weiterhin im Verein, aber Süles Vertrag läuft nächsten Sommer aus. Inwieweit der Fall die innerbetriebliche Atmosphäre beeinflusst, wird sich zeigen - fest steht, dass die Bayern und ihr Trainer nun vor einer unerwünschten Herausforderung stehen, in der es nicht um verdaddelte Konterchancen geht.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5421860
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ/klef/ska/ebc
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.