Bundesliga:FC Bayern spielt Fußball von vorgestern

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Joshua Kimmich (li.): Torschütze zum 1:0

(Foto: John MacDougall/AFP)

Es macht im Moment mehr Spaß, Borussia Dortmund zuzusehen als den Münchnern. Doch womöglich ist gerade das Altmodische die Stärke im Spiel der Meisters.

Von Sebastian Fischer

Ein kleines Gedankenexperiment: Welche Ereignisse kommen einem bei der Beschreibung folgender Szenen auf dem Rasen im Hamburger Volksparkstadion in den Sinn? Der Torwart des FC Bayern vergisst sich vor Freude beinahe und vollführt wilde, unrhythmische Bewegungen. Seine Kollegen liegen sich feixend in den Armen, weil sie gar nicht mehr für möglich gehalten haben, dass einer von ihnen das wichtige, entscheidende Tor kurz vor dem Schlusspfiff doch noch erzwungen hat. Und die Gegner vom Hamburger SV schauen sich kopfschüttelnd an: Sie waren der Überraschung, die so viel bedeutet hätte, doch so unglaublich nah gewesen!

Richtig: Samstag, 19. Mai 2001, der FC Bayern mit dem Torwart Oliver Kahn und dem Kapitän Stefan Effenberg wird durch ein Tor von Patrick Andersson in der Nachspielzeit doch noch deutscher Meister; der HSV verpasst es, dem FC Schalke 04 den ersten Meistertitel seit 1958 zu bescheren. Und ja, auch richtig: Samstag, 24. September 2016, der FC Bayern mit Torwart Manuel Neuer und Räuberhauptmann Franck Ribéry gewinnt durch ein Tor von Joshua Kimmich in der 88. Minute doch noch sein fünftes Spiel in Serie; der HSV verpasst es, seinem Trainer Bruno Labbadia eine ruhige Nacht zu bescheren.

Dortmunds Spielzüge wirken orchestriert - und die Spieler brillieren

Zugegeben: Es gibt nicht überwältigend viele Parallelen zwischen den Bayern von damals und heute. Aber wer ein paar Indizien aus den ersten fünf Bundesligaspielen unter Carlo Ancelotti zusammenpuzzelt, kann schon zu dem Ergebnis kommen, dass der FC Bayern nicht etwa Bayerns Fußball von gestern spielt (also Guardiola-Fußball), sondern den Fußball von vorgestern. Nicht falsch verstehen: Womöglich macht dieser Fußball die Bayern am Ende so erfolgreich.

Fußball von vorgestern: Das Bild wird ein wenig deutlicher, wenn man es mit dem vergleicht, das Borussia Dortmund nach fünf Spielen abgibt. Nüchtern betrachtet hat der BVB drei Punkte weniger geholt, nur ein Tor mehr geschossen und drei mehr kassiert. Doch die Spiele der Borussia - 90 Minuten verzweifeltes Anrennen gegen Leipziger Bullen ausgenommen - waren stets ein Spektakel. Auch der 3:1-Sieg gegen Freiburg am Freitag hätte höher ausfallen können.

Wieder war es ein Ereignis, jungen Menschen wie Ousmane Dembélé bei der Arbeit zuzusehen, Spielzüge wirken orchestriert und die Spieler zumindest auf manchen Positionen relativ leicht durch Kollegen ersetzbar, die auf der Bank mit den Hufen scharren. Für seine Pläne vom modernen Kontrollfußball scheint Trainer Thomas Tuchel die passenden jungen und hungrigen Individualisten beisammen zu haben.

Dortmund fehlt einer wie Effenberg

Auch Ancelotti und die Bayern haben sich gesucht und gefunden, aber es ist nach den ersten Eindrücken eine andere Beziehung. Es machen bislang öfter die Individualisten den Unterschied: Manuel Neuer gegen Ingolstadt mit Paraden, die Oliver Kahn neidisch gemacht hätten. Arjen Robben und Franck Ribéry gegen Berlin mit den gleichen Dribblings wie schon vor einem Jahrzehnt. Und gegen Hamburg nun erneut Ribéry mit einer geradezu effenbergesken Weigerung, das Spiel zu verlieren. Was in Hamburg auch auffiel: Solange die Leuchtturmspieler Ribéry und Vidal draußen saßen, solange die jungen und hungrigen Coman und Sanches spielten, lief es nicht ganz so rund, wie es den bayerischen Ansprüchen gegen einen Abstiegskandidaten genügt.

Natürlich ist all das Kritik auf dem allerhöchsten Niveau, immerhin hat der FC Bayern von fünf Spielen genau null verloren und null Punkte abgegeben. Dass er auch nur einmal am Rande einer Niederlage gewesen wäre, das wäre schon eine krude These. Doch was sich relativ zweifelsfrei nach fünf Spielen sagen lässt: Unter fußballerischen Gesichtspunkten machen die Spiele des BVB gerade deutlich mehr Spaß als die des FCB.

Ob das in einem spannenden Kampf um die Meisterschaft resultiert, das lässt sich jetzt noch nicht erahnen. Vielleicht, zurück zum Fußball von vorgestern, macht ja gar so etwas Altmodisches wie Erfahrung den Unterschied. Wenn die Dortmunder Mannschaft so aufregend ist wie ein Jahrmarktbesuch, dann fehlt ihr doch ein Vater, der in seinem Leben schon so viele Jahrmärkte besucht hat, dass er weiß, dass man mit vollem Magen keine Loopings machen sollte. Der erfahrenste Dortmunder ist in Lukasz Piszczek eher unscheinbar. Es fehlt halt ein Typ wie Effenberg. Oder Ribéry. Man darf ja bei der Stilkritik nicht vergessen: Der Fußball von vorgestern war manchmal erfolgreicher als der von gestern.

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