Süddeutsche Zeitung

Bayern-Transfer Marc Roca:Gemessen am Potenzial ein Schnäppchen

Ein Jahr nach dem ersten Annäherungsversuch kommt Marc Roca nun doch von Espanyol Barcelona zu den Bayern. In Spanien wird er schon länger als Sechser der Zukunft gehandelt.

Von Javier Cáceres

Vor gut einem Jahr waren der damalige Bayern-Trainer Niko Kovac und der damalige Sportdirektor Hasan Salihamidizic, inzwischen Sportvorstand, auf diskreter Dienstreise in Ibiza. Auf der Baleareninsel trafen sie den heute 23-jährigen Marc Roca. Und wenn alles stimmt, was in Spanien von Leuten erzählt wird, die den jungen Mann kennen, kann es gar nicht anders gewesen sein, als dass Kovac und Salihamidizic von Roca als Person angetan waren. Er gilt als etwas reserviert, aber verbindlich, geradeaus und reflektiert. Von den fußballerischen Qualitäten waren sie ohnehin überzeugt. Und doch wurde der Transfer nicht vollzogen, beziehungsweise, wie man seit dem Wochenende sagen muss: Er wurde vertagt. Am Samstag weilte Roca in München zum Medizincheck; am Sonntag, unmittelbar vor Beginn der Partie gegen Hertha BSC, bestätigten die Bayern dann den Transfer. Roca wird einen Vertrag bis 2025 erhalten.

Auf neun Millionen Euro soll sich die Ablöse belaufen, im Erfolgsfall kommen ein paar Scheine obendrauf. Zum Vergleich: Im Sommer 2019 überbot der FC Bayern zwar die 15 Millionen, die Atlético Madrid zahlen wollte, um etliche Millionen. Aber Espanyols chinesischer Eigner Chen Yansheng stand der Sinn nach Aufrüstung, weil das Team die Europa League erreicht hatte, und er wies seine Mitarbeiter an, Roca nur abzugeben, wenn die vertraglich festgeschriebene Ablösesumme von 40 Millionen hinterlegt werde. Roca war gerade in Italien U21-Europameister geworden war. Gegen Deutschland siegte Spanien mit Rocas Zimmerpartner Dani Olmo, heute RB Leipzig, im Finale von Udine mit 2:1.

Wie sich die Zeiten doch ändern: Jetzt, ein Jahr später, ist Espanyol in die zweite Liga abgestürzt und wird von den Geldsorgen gepeinigt, die üblicherweise mit einem Abstieg einhergehen, den man nicht ansatzweise einkalkuliert hatte. Durch die Corona-Krise werden sie noch potenziert. Für die Bayern eine ideale Situation. Der Bedarf, einen zentralen Mittelfeldspieler zu holen, war durch den Abschied von Thiago zum FC Liverpool gestiegen. "Fußballerisch und charakterlich" passe Roca ideal zum FC Bayern, sagte Salihamidzic am Sonntag. Und Roca ist gemessen an seinem Potenzial "una ganga", wie man in Spanien sagt: ein Schnäppchen. "Für mich geht ein Traum in Erfüllung", sagte Roca.

Dass er in der vergangenen Saison nur selten glänzte, lag an den Wirren bei Espanyol, sie verbrauchten dort vier Trainer. Die Referenzgröße aber ist die vorherige Spielzeit, als Joan Francesc Ferrer, genannt Rubi, als Espanyol-Trainer die Fähigkeiten Rocas ausschlachtete wie kein Zweiter. "Er hat eine großartige Zukunft vor sich", sagt Rubi am Telefon, "denn abgesehen von seinen fußballerischen Fähigkeiten hat er einen sehr gut möblierten Kopf."

Ihm wird ein fotografisches Gedächtnis attestiert

Das war auch einer der Gründe dafür, dass Rubi ihm bei Espanyol die Schlüsselposition als Sechser anvertraute, als Aufbauspieler vor der Abwehr. Roca wurde in Penedès geboren. Er wuchs in der Nachwuchsabteilung Espanyols auf, die eigentlich nicht zu den größten Eliteschmieden des Weltmeisters von 2010 zählt. Aber: Mit Roca haben sie einen Fußballer entwickelt, der in Spanien schon länger - zusammen mit Mikel Merino (Real Sociedad) und Rodri (Manchester City) - als der Sechser der Zukunft gefeiert wird. Als ein neuer Busquets. Obwohl Roca sich stark am früheren Bayern-Profi Xabi Alonso orientiert.

Solche Vergleiche mag Rubi nicht ziehen, wenn er über Roca redet. "In der Saison 2018/19 war er wirklich überragend, er hat uns im Spiel mit Ball sehr viel gegeben", sagt er. Roca wird ein fotografisches Gedächtnis attestiert, das ihm hilft, Schwächen zu kaschieren. Roca ist weder der schnellste, der größte oder der kräftigste Sechser der Welt, obschon er 1,84 Meter misst. Aber als Sechser muss er eher die komplexen Aspekte des Spiels besser beherrschen als andere. Und die Weisen des spanischen Fußballs sagen: Roca kann das. Als alleiniger Sechser, der eben wegen seiner Fähigkeit, zu antizipieren, andere Mittelfeldspieler befreit, oder auch als Teil einer Doppelsechs.

Zu seinen Stärken zähle vor allem "der überraschende (vertikale) Pass, mit dem er ein oder zwei Linien überrumpelt", sagt Rubi. Die Kunst von Busquets, einem Spiel "den richtigen Moment der Pause" zu geben, oder den Ball von einer Seite zur anderen wandern zu lassen, beherrsche er auch. Und: "Er hat sehr gute Ausdauerwerte", sagt Rubi. Er könnte torgefährlicher sein (drei Tore in 121 Spielen für Espanyol), doch das weiß Roca selbst. "Tore sind nicht seine wichtigste Aufgabe. Aber er weiß, dass er als Sechser schon mal an den Strafraum kommt. Deshalb hat er bei uns an seinem Abschluss trainieren wollen, und ich finde: Er ist da auch besser geworden."

Dass er wettbewerbsstark ist, zeigte Roca bei der U21-EM. Erst war er Reservist, im Finale stand er in der Startelf. Die Frage ist, wie er sich bei einem großen Klub im neuen Land zurechtfindet. Vor einigen Jahren lernte Rubi den heutigen Bayern-Trainer Flick bei einer vom DFB organisierten Visite kennen - und schätzen. Rubi glaubt deshalb: "Das wird."

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SZ vom 05.10.2020/ska
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