Kimmich beim FC Bayern:Er brüllt wieder

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So kennt man ihn: Joshua Kimmich mit der typischen Joshua-Kimmich-Geste. (Foto: Daniel Roland/AFP)

Joshua Kimmich hat die Mängel im Bayern-Spiel zuletzt deutlich angesprochen. Jetzt ist er der beste Spieler in Frankfurt - das hilft, die anspruchsvollen Systemdebatten erst mal zu vertagen.

Von Sebastian Fischer

Vielleicht hat Joshua Kimmich erst mal gar nicht mitbekommen, dass es die Grätsche nicht gebraucht hätte. Es war die 85. Minute in Frankfurt, Münchens Verteidiger Lucas Hernández hatte den Eintracht-Stürmer Rafael Borré soeben heldenhaft vom Ball getrennt und Kimmich war herbeigeeilt: Viele Zentimeter weit aufgerissener Mund, zusammengekniffene Augen, so brüllte er seine Genugtuung heraus - die typische, weltberühmte Kimmich-Geste. Dass Borré im Abseits gestanden hatte, das störte fast. Es war schließlich eine Szene mit Symbolkraft.

"Wenn man merkt, die letzten zehn, fünfzehn Minuten, wie wir uns da hinten gepusht haben", beim Toreverhindern, "dann macht das auch Spaß", sagte Kimmich kurz darauf, nachdem er als Spieler des Abends zum Interview beim Sender Sky eingeladen worden war. "Heute war die Mentalität echt gut", stellte er fest. Dieses 1:0 in Frankfurt, das erste Zu-null-Spiel seit mehr als einem Monat, er nannte es einen "Kampfsieg".

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Es war ein Spiel, das vor allem im Zeichen des Protests gegen den Krieg stand: "Stop it, Putin" leuchtete vor dem Anpfiff auf der Anzeigetafel, Robert Lewandowski trug eine Kapitänsbinde in den ukrainischen Landesfarben. Es war außerdem ein Spiel, das eine kleine Trendumkehr in dieser Saison des deutschen Rekordmeisters bedeutet haben könnte. An Kimmich war das besonders zu sehen.

Der FC Bayern gewinnt 65 Prozent der Zweikämpfe, Joshua Kimmich erobert 19 Mal den Ball

Der Nationalspieler, 27, hatte in den vergangenen Wochen so manche Mängel im Spiel der Bayern deutlich angesprochen. Die Mannschaft habe derzeit keine "Weltklasse-Mentalität", sagte er nach dem 2:4 in Bochum. "Wir sind momentan nicht in einem Flow", sagte er nach dem anschließenden 1:1 in Salzburg in der Champions League. Und spätestens, als die Bayern danach gegen den Tabellenletzten Fürth erst mit 4:1 gewannen, nachdem Trainer Julian Nagelsmann beim Stand von 0:1 in der Pause von Vierer- auf Dreierkette in der Abwehr umstellte, wurde nicht nur über Mentalität und Flow, sondern auch über die richtige Taktik diskutiert.

"Stop it, Putin!" steht in großen Buchstaben auf der Frankfurter Anzeigetafel. (Foto: Arne Dedert/dpa)

Man vergaß dabei zwar leicht, dass der FC Bayern die Bundesliga auch vor einer Woche schon souverän und mit der besten Defensive anführte. Aber es rumpelte eben ein bisschen beim anspruchsvollen Rekordmeister. Und es rumpelte zunächst auch in Frankfurt: Nach sieben Minuten hätte die Eintracht führen können, Torwart Sven Ulreich rettete gegen Filip Kostic. Die Verteidigung, diesmal von Anfang an in eigenem Ballbesitz als Kette aus drei Innenverteidigern aufgestellt, hatte ihn nicht stoppen können. Es blieb aber die gefährlichste Frankfurter Szene. Nagelsmann sagte: "Alle drei hinten haben insgesamt ein gutes Spiel gemacht."

Ob die Dreierkette die beste taktische Grundordnung für den FC Bayern ist, und wenn ja, in welcher Besetzung in Zukunft, das ist natürlich auch nach diesem 1:0 in Frankfurt noch nicht abschließend geklärt. Benjamin Pavard zum Beispiel, der in einer Viererkette meistens der Rechtsverteidiger ist und wohl am liebsten immer ein Innenverteidiger wäre, nahm einmal mehr die Position auf dem rechten Flügel ein.

Doch es machte sich kaum bemerkbar, dass es sich dabei nicht um die perfekte Lösung handelt. Auch Pavard war nämlich ein Beispiel für Kimmichs Kampfspiel-These: Sechs Luftduelle gewann der Franzose, die meisten auf dem Platz. Seine Mannschaft sei die "aggressivere" gewesen und habe "auch aufgrund dessen verdient gewonnen", sagte Nagelsmann. 65 Prozent aller Zweikämpfe entschieden die Münchner für sich. Selbst den filigranen Jamal Musiala, an seinem 19. Geburtstag der Ersatz für den coronapositiven Thomas Müller im offensiven Mittelfeld, lobte Nagelsmann zwar auch für seine bewundernswerte Ballfertigkeit, aber vor allem für seinen Fleiß.

"Sehr clever, sehr ballsicher, sehr dominant", so beschreibt Trainer Nagelsmann Kimmichs Leistung

Dass solche Spiele, in denen es um Willensstärke und Zweikämpfe geht, Gelegenheiten für Kimmich sind, seine Klasse zu beweisen, das wäre vor einem halben Jahr wahrscheinlich nicht mal eine Erwähnung wert gewesen: eh klar. Doch auch Kimmich hatte durchaus etwas zu beweisen, er hatte noch nicht oft wieder standesgemäß herausgeragt, nachdem er nach langer Corona-Quarantäne und fast zwei Monaten Pause im Herbst zurückgekehrt war.

Diesmal gab es kaum eine Statistik, die nicht seine überragende Leistung auswies: 19 Balleroberungen, 13 zurückgelegte Kilometer, 120 Ballkontakte. Außerdem mehr als 90 Prozent Pass-Akkuratesse, gar sieben von neun langen Bällen kamen an, und natürlich der wichtigste Pass des Tages vor dem 1:0: Zwischen Frankfurts Verteidigern hindurch spielte er den Ball in den Lauf des soeben eingewechselten Torschützen Leroy Sané. "Das Passfenster ist sehr klein, den spielt er perfekt getimt", sagte Nagelsmann. "Sehr clever, ballsicher und dominant im Spielaufbau", so beschrieb der Trainer Kimmichs Leistung.

Neben ihm auf der Sechserposition machte Marcel Sabitzer, Ersatz für die verletzten Leon Goretzka und Corentin Tolisso, übrigens einmal mehr ein eher bescheidenes Spiel. Doch das war der Unterschied zu den Vorwochen: Systemdebatten, Formschwächen, eigene Mängel, das waren die Themen für einen anderen Tag.

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