Süddeutsche Zeitung

FC Bayern in Hoffenheim:Ein Schachzug, mit dem Kovac alle verblüfft

Von Matthias Schmid, Sinsheim

Leon Goretzka lief ein letztes Mal in den Strafraum. Ehrlich gesagt schlurfte er mehr, als dass er rannte. Aber das war in diesem Fall völlig in Ordnung. Er war ja in den 90 Minuten davor etliche Male mit Hochgeschwindigkeit in die Box geeilt, wie die Fußballer neuerdings den guten alten Sechzehner nennen. Nach dem Schlusspfiff durfte es dann schon mal gemächlicher sein. Goretzka ließ sich am Freitag vor dem Block der mitgereisten Münchner Sympathisanten feiern, der 23-Jährige war beim 3:1-Sieg des FC Bayern in Hoffenheim zum Auftakt der Rückrunde nicht nur wegen seiner beiden Toren der auffälligste Akteur des Abends.

Goretzka hatte auch in neuer Rolle gefallen, er lief als Zehner auf, hinter Robert Lewandowski. Ein Einfall von Cheftrainer Niko Kovac, der die Frage, ob James oder Thomas Müller die nicht ganz unbedeutende Position bekleiden sollen, damit auf seine ganz eigene Weise beantwortet hat. "Mit dieser Entscheidung haben wir alles richtig gemacht", stellte Kovac bei Eurosport ungewohnt emotional fest und fügte mit einem Lächeln hinzu: "Wir haben mal was gefunden."

In der Tat war es ein Schachzug, mit dem Kovac alle verblüffte. Goretzka ist Münchens Alleskönner, eine Spezialkraft, die überall spielen kann, zur Not auch linker oder rechter Außenverteidiger. Er ist das, was Lucien Favre einst polyvalent genannt hatte, ein Profi, der mehrere Positionen ausfüllen kann, quasi ohne Leistungsabfall. "Leon ist ein Spieler, der in beide Richtungen sehr gut arbeitet, der defensiv parat ist, der schnell ist, der auch in die Tiefe gehen kann", lobte Kovac: "Dass er sich heute mit zwei Toren belohnt, zeigt einfach, dass er in der Vorbereitung gut gearbeitet hat."

In Goretzka steckt etwas Stürmisches

Goretzka selbst wollte keine große Sache aus seinem neuen Jobprofil machen. Viel lieber als über sich sprach er über die Fortschritte der gesamten Mannschaft, die in der ersten Hälfte sehr lebhaft spielte, sehr dominant auftrat und gegenüber Tabellenführer Borussia Dortmund andeutete, dass sie den siebten Meistertitel nacheinander noch lange nicht abgeschrieben hat. "Gerade in der ersten Hälfte haben wir ein hervorragendes Spiel gemacht", sagte Goretzka.

Das lag vor allem auch an ihm, der sich aus einer starken Bayern-Mannschaft noch mal hervortat. Goretzka war in den Spielen vor der Winterpause gemeinsam mit Joshua Kimmich im zentralen defensiven Mittelfeld aufgelaufen, sie wechselten sich dabei ab, wer den offensiveren Part von ihnen spiele. Besonders in Goretzka steckt schon was Stürmisches, wie auch sein Teamkollege Müller erkannt hat. "Er hat seine Abschlussqualität nicht nur heute gezeigt", hob er hervor, "er weiß, wie er sich vor dem Tor bewegen muss."

In Hoffenheim tauchte Goretzka in der ersten Hälfte sogar häufiger als erster Mann in vorderster Linie auf, vor Lewandowski, der sich auch mal fallen ließ, sein Gespür für den richtigen Augenblick, sein natürlicher Instinkt im Strafraum waren natürlich auch dem Polen nicht entgangen, der zustimmend nickte, als Goretzka abstaubte, nachdem Torwart Oliver Baumann Lewandowskis Kopfball noch herausragend pariert hatte. Beim Führungstreffer (34.) war allerdings auch Glück dabei, weil Hoffenheims Kapitän Kevin Vogt Goretzkas Schüsschen so abgefälscht hatte, dass der Ball zwischen Pfosten und Baumann durchflutschte.

Sehr viel Können, vor allem Wucht und Raffinesse, ging dann seinem zweiten Tor zum 2:0 kurz vor der Pause voraus. Nach einem missglückten Hoffenheimer Eckball leitete Goretzka den Konter selbst ein mit einem Pass auf Kingsley Coman, der weiterspielte zu David Alaba, während Goretzka sich auf den langen Weg machte. Mit den raumgreifenden Schritten eines 400-Meter-Sprinters lief und lief er, ohne zu vergessen, rechtzeitig den Ball mit dem rechten Arm zu fordern, und Alaba spielte ihn so brillant frei, dass er diesen schließlich mit einer astreinen Grätsche ins Tor befördern konnte. "Das hat er echt elegant mit der Innenseite gemacht", witzelte Müller.

Die Frage, ob ihm auf der Zehnerposition, die auch Müller präferiert, nun ein weiterer Konkurrent neben James erwachsen ist, beantwortete Müller in seiner typischen schlitzohrigen Art: "Wir haben noch viel mehr Zehner, das wisst ihr nur noch nicht."

Kapitän Manuel Neuer begegnete der Diskussion sehr viel pragmatischer, er übernahm sogar die Rolle des Klubmahners, die einst Matthias Sammer so schön ausgefüllt hat. "Leon muss unter Beweis stellen, dass er so ein Spiel wiederholen kann", sagte Neuer. Der Torhüter merkte dann selbst, dass das ein wenig zu hart klang und begann danach eine Eloge auf Goretzka, die er mit dem Satz einleitete: "Wir sind beide Kinder des Ruhrpotts." Wie er selbst hat auch Goretzka schon das Trikot des FC Schalke getragen. Aber anders als Neuer lernte der Mittelfeldspieler beim VfL Bochum das Kicken. "Er ist ein guter Typ", schwärmte Neuer, "sehr torgefährlich, der sehr hart an sich arbeitet, sehr viel über Fußball spricht und sich immer Gedanken macht, wie er sich verbessern kann, individuell, aber auch im Mannschaftsgefüge."

Aber der Nationalkeeper wollte sich nicht darauf festlegen, ob Goretzka seine Zukunft als Zehner hat. Oder doch eher James oder Müller. "Wir haben da verschiedene Spieler, alles Topspieler", stellte Neuer diplomatisch fest, "wir haben da die Qual der Wahl, welche Lösung die richtige ist, hängt auch vom Gegner ab, aber grundsätzlich sind wir sehr variabel und flexibel."

Das gilt ganz besonders auch für die Herren der Führungsetage. Gemeinsam verließen Karl-Heinz Rummenigge und Uli Hoeneß am Freitagabend die Hoffenheimer Arena. Sie trennten sich kurzfristig, Rummenigge wählte die rechte Seite, Hoeneß den Weg über die linke zum Ausgang. "Wir haben ein schönes Wochenende", flötete Rummenigge beim Hinausgehen noch, als sie sich wieder in Reih und Glied eingefunden hatten.

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