Süddeutsche Zeitung

Leon Goretzka:Jawoll, ein "Bayern-Spieler"!

  • Seit Leon Goretzka ins spielerische Zentrum der Münchner Elf gerückt ist, hat er mit seinen vielfältigen Qualitäten die Skeptiker überzeugt.
  • Er besticht mit Präsenz, Dynamik, Torgefahr und Intelligenz.
  • Vor dem Wiedersehen mit Schalke 04 überhäufen ihn auch die alten Weggefährten mit Lob.

Von Philipp Selldorf

Nicht jeder Fußballer, der beim FC Bayern landet, ist ein Bayern-Spieler. Das wissen die Betroffenen oft erst dann, wenn sie nicht mehr beim FC Bayern sind. Manchmal wollen sie es aber gar nicht so genau wissen, und einige wollen es auch einfach nicht wahrhaben.

Von Jan Kirchhoff zum Beispiel wurde berichtet, dass er sich trefflich wie ein Bayern-Spieler aufzuführen wusste, doch leider nicht dann, wenn er auf dem Spielfeld stand. In jener Zeit hatten die Bayern den angeblich hochtalentierten, von Mainz 05 ablösefrei angeworbenen Kirchhoff an den FC Schalke 04 verliehen - auf die Realisierung der Kaufoption zum Super-Sonderpreis von 6,5 Millionen Euro verzichtete der Bundesligaklub aus Gelsenkirchen allerdings später dankend (was auch mit der komplexen Verletzungsbilanz des Mittelfeldspielers zu tun hatte). Kirchhoff kehrte nach München zurück, zum Bayern-Spieler wurde er nicht mehr. Diesen Winter hat nun der Zweitligaklub Magdeburg den mittlerweile 28-Jährigen engagiert.

Jan Kirchhoff wird seinen Kindern und Kindeskindern erzählen können, dass er mit Toni Kroos zusammengespielt und höchstpersönlich die Lehre von Pep Guardiola empfangen hat. Damit wird er seinen Nachfahren nicht die Unwahrheit sagen, doch ob er sich und seiner Fußballerkarriere einen Gefallen damit getan hat, aus Mainz nach München zu wechseln?

Die Goretzka-Zweifler bilden eine winzige Splitterpartei

In dieser Saison, während der Hinrunde, äußerten nun Eingeweihte im Bayern-Hauptquartier die Ansicht, dass es Leon Goretzka ähnlich ergehen könnte. Sicherlich auf höherem Niveau als bei Kirchhoff, wie konzediert wurde, aber das hielt Skeptiker nicht davon ab, die Grundsatzfrage zu stellen: Ob Goretzka, 24, tatsächlich die Eignung hätte, ein "Bayern-Spieler" zu sein? Im unruhigen Münchner Herbst war das eine von vielen Sorgen, die man sich an der Säbener Straße machte.

Sorgenfrei sind die Bayern auch dieser Tage nicht, doch was Goretzka angeht, bilden die Zweifler nur noch eine winzige Splitterpartei. Der Nationalspieler erfreut sich im Klub mittlerweile großer Anerkennung und ist auch mit sich selbst zufrieden: "Es gibt viele Spieler, die in ihrem ersten Jahr bei Bayern ein paar Probleme haben, weil es eine große Umstellung ist. Ich glaube, dass ich das ganz gut hinbekommen habe", erzählte er dem kicker vor ein paar Wochen, und da wusste er noch gar nicht, dass er gerade erst begonnen hatte, besonders angenehm aufzufallen. Denn nachdem ihn die FCB-Fans mit hoch qualifizierter Dreiviertelmehrheit zum "Spieler des Monats Januar" gewählt hatten, hat Goretzka im frühen Februar bereits Argumente für die Wiederwahl vorgelegt.

Beim 1:3 in Leverkusen schoss er das Tor zum 1:0, das beispielhaft einige seiner Vorzüge illustrierte: Präsenz, Dynamik, Torgefahr - unter anderem. Kurz vor dem eigenen Strafraum stoppte er einen Leverkusener Konter, kaum eine halbe Minute später vollendete er im gegnerischen Strafraum den Konter mit einem Kopfballtor. Nachdem ihn Trainer Niko Kovac (endlich) ins spielerische Zentrum seiner Elf transferiert hat, tragen Artikel über den Neu-Bayern Überschriften wie: "Goretzka lässt Özil vergessen" oder "Niemand verkörpert so wie er das 'Mia san Mia'".

Komplimente ist Leon Goretzka seit Teenagertagen gewohnt, es geht ihm da wie dem fünf Jahre jüngeren Kollegen Kai Havertz, der es ebenfalls schon als Jugendlicher aushalten musste, dass man ihn im Leverkusener Nachwuchs als Außerirdischen bestaunte. Schon in den Junioren-Teams des VfL Bochum sei es offensichtlich gewesen, "dass Leon bei linearer Entwicklung bis hin zur Weltklasse reifen kann", hat Peter Neururer mal erzählt, der den 17-jährigen Goretzka in der zweiten Liga trainierte. Das "vielleicht größte Talent seit 50 Jahren" nannte er den Spieler damals; eine gefährliche Prophezeiung, aber immerhin eine mit Fachkenntnis.

Am Samstag wird Goretzka seiner Vergangenheit begegnen, wenn er mit den Bayern gegen seinen früheren Klub Schalke spielt. Das Wiedersehen wird garantiert ein herzliches sein, die Verbindung ist nach dem Wechsel im Sommer nicht abgerissen. Vor ein paar Wochen hat Goretzka während eines Heimatbesuchs den alten Kollegen einen Kabinenbesuch abgestattet. Mit Domenico Tedesco telefoniert er gelegentlich, die beiden haben sich außerordentlich gut verstanden.

Intelligent ist Goretzka sowieso

Goretzka sei "ein unfassbarer Mensch", schwärmt der Schalker Trainer: "Alles was man Positives über einen Menschen sagen kann, kann man über Leon sagen." Gleiches gilt für Tedesco, wenn vom Fußballer Goretzka die Rede ist: "Ein Vollprofi - ein Vollprofi in jeder Hinsicht." Die Vorgehensweise beim ablösefreien Wechsel nach München war für den Geschmack der Schalker Führung allerdings etwas zu professionell, man fühlte sich ein wenig hintergangen.

Es gab in der vorigen Saison eine Szene, die einiges erzählt über diesen unfassbaren Menschen und Profi: Schalke hatte freitagabends in Mainz einen 1:0-Kampfsieg der besonders rumpeligen Art gelandet, was die Freude über den Erfolg umso größer machte. Alle umarmten sich nach dem Abpfiff wie Überlebende einer Expedition in die Eiswüste, bloß Goretzka nahm Abstand - und suchte das Gespräch mit dem Trainer. Minutenlang diskutierten die beiden, es ging, wie sich Tedesco erinnert, um ein aufregendes Thema: das Pressing-Verhalten im Spiel. Ein Spieler mit so viel Sinn für die Theorie - "es gibt für einen Trainer nichts Schöneres", sagt dazu Tedesco.

Intelligent ist Goretzka sowieso, sogar "sehr intelligent", wie auf Schalke nicht nur Tedesco betont. Eine Eigenheit, die gewiss nicht schadet, schon gar nicht einem Mittelfeldspieler mit der Veranlagung zum Strategen und Taktiker. Seine Schlauheit - nicht zu verwechseln mit Altklugheit - ist ihm durchaus bewusst, wie Goretzka bei einem Fantreffen auf die Frage nach einem alternativen Berufsweg preisgab: "Meine Freunde sagen immer, ich hätte Jura studiert, weil ich am Ende gerne recht behalte." Humor besitzt er offenbar auch noch, dieser Bayern-Spieler.

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SZ vom 09.02.2019/ebc
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