Bundesliga: FC Bayern:Der ukrainische Spielball

Plötzlich wichtig - und doch vor dem Absprung: Warum der Ukrainer Anatoli Timoschtschuk beim FC Bayern München "in einer schwierigen Situation" steckt.

Andreas Burkert

Er beginnt zu lachen und hört sich die Frage gar nicht zu Ende an. Und das ist dann schon wieder einigermaßen überraschend, dass Anatoli Timoschtschuk, 31, sehr wohl heiter sein kann, dieser Mann mit den sehr schmalen Lippen und dem melancholischen, stets zweifelnden Blick. Der Ukrainer ist dem Publikum bislang eben doch sehr fremd geblieben, erst diese Woche ist sein Name plötzlich in den großen Überschriften aufgetaucht; als Mark van Bommel, der ins Training zurückgekehrte Kapitän des FC Bayern, den Kollegen nach einem Foul schubste und annölte.

Bundesliga: FC Bayern: Mark van Bommel und Anatoli Timoschtschuk gerieten beim Training aneinander.

Mark van Bommel und Anatoli Timoschtschuk gerieten beim Training aneinander.

(Foto: AFP)

Wer dem Holländer zusah, wie er nach seiner Verletzung gleich mal den Konkurrenten Timoschtschuk anging, konnte dies auch als indirekte Anerkennung werten. Ein nervöser, sein Revier verteidigender Platzhirsch, ist das nicht sogar eine Auszeichnung? Timoschtschuk lächelt noch einmal, dann sagt er: "Ich kämpfe gerne, im Spiel und auch um meinen Platz."

Die Personalie Timoschtschuk ist wieder ein Thema bei den Bayern, nicht nur, weil er - wegen der vielen Verletzten - jetzt spielt. Sondern weil sich in ihr auch programmatische Streitfragen bündeln. Zur Münchner Einkaufspolitik vor der Ankunft des Fußballlehrers Louis van Gaal etwa, oder zu dessen Disput mit Präsident Uli Hoeneß, der ihm schlechten Umgang mit "Zweite-Reihe-Spielern" vorwarf.

Dies war und ist auch ein Disput über fußballerischen Sachverstand, vor allem im Fall Timoschtschuk. Denn Hoeneß war es, der vor zwei Jahren mit Timoschtschuks Gattin, die auch seine Agentin ist, eine Einigung erzielte, mit Zustimmung des späteren Trainers Klinsmann. Gegen gut elf Millionen Euro kam er dann im Sommer 2009 aus St. Petersburg. Klinsmann war schon wieder weg.

Bei van Gaal spielte der Profi aus Luzk im Nordwesten der Ukraine anfangs durchaus, aber man sah damals wenig von dem, was man mit van Bommel verbindet: die Attitüde einer Leitfigur. Timoschtschuk gilt auf der Position vor der Abwehr als besserer Fußballer, aber er agierte schüchtern, blass. Er widerspricht nicht, "das Team war aber insgesamt nicht so gut, und dann hat es sich bis zur Meisterschaft entwickelt". Ohne ihn. Er wurde allenfalls eingewechselt.

Das ist kein Zustand für einen Mann, den man in Osteuropa kennt. Er hat soeben sein 100. Länderspiel gemacht, und seitdem er Profi ist, war der Sohn einer Ingenieurin und eines stellvertretenden Betriebsdirektors überall Chef: Bei Schachtor Donezk, wo sein Bild in der Ahnengalerie hängt, war er früh Kapitän; ebenso in St. Petersburg, wohin er für 15 Millionen Euro Ablöse 2007 wechselte. 2008 gewann er den Uefa-Cup. In München? Reservist. Zweite Reihe. Gerempelt. "Ich habe eine sehr große Erfahrung hinter mir", sagt er diplomatisch. "Und ich versuche, ruhig zu bleiben."

Timoschtschuk: plötzlich Leitwolf

Derzeit spielt Timoschtschuk, zunächst als Verteidiger, nun neben Andreas Ottl im Mittelfeld; vermutlich auch am Sonntag gegen Nürnberg. Die Kritiken zuletzt waren gut, und vorige Woche in Gladbach geschah sogar Erstaunliches: Timoschtschuk dirigierte lautstark die Kollegen. Chef zu sein, betont er, "das traue ich mir auch hier zu". Weshalb er aber so lange brauchte, seine Qualität zu zeigen, vermag er nicht zu sagen. Daran, dass sein persönlicher Koch, der Friseur und die Masseuse, die ihm in St. Petersburg den Alltag erleichterten, wegen Visa-Problemen nicht zugegen sind, eher nicht. Denn Timoschtschuk, dessen Schwester Basketballprofi war, gilt bei den Trainern als Musterprofi. "Ich habe noch nie Alkohol getrunken."

Anatoliy Tymoshchuk of Bayern Munich scores a goal against Freiburg during their German Bundesliga first division soccer match in Munich

Innenverteidigung? Defensives Mittelfeld? Bank? Noch ist unklar, wo Anatoli Timoschtschuk das Finale beginnt. Tipp: halbrechts in der Verteidigung.

(Foto: Reuters)

"Es gibt Situationen, auf die ich persönlich keinen Einfluss nehmen kann", entgegnet er dann vorsichtig zur Frage nach seinem schweren Einstieg. Er dürfte van Gaals Amtsübernahme meinen.

Oder liegt es doch eher an der russischen Seele? Im Ausland tun sich diese Spieler traditionell schwer, "ja, die russische Seele, davon hab ich gehört", sagt Timoschtschuk amüsiert. "Die Menschen dort sind offen, friedfertig, sehr freundlich und dennoch hartnäckig in ihrer Zielverfolgung." So wie er.

Van Gaal lobt ihn denn auch als "unglaublichen Profi, Timo hat sich wirklich kein einziges Mal hängenlassen". Aber dieser Profi sagte zuletzt auch, dass er sich "alles nur bis zum Winter ansieht" - spielt er erneut nicht, wenn alle fit sind, wird er gehen wollen: "Dass ich auf der Ersatzbank sitze, damit werde ich mich nie zufrieden geben." Im Sommer gab es schon Offerten namhafter Klubs aus England, dazu offenbar aus Wolfsburg. Aber damals sorgte er sich noch um seine jungen Zwillinge, sie waren viel zu früh auf die Welt gekommen. Den Wechsel verhinderte auch der Eklat um Martin Demichelis, den van Gaal degradierte: "Letztlich hat mich der Klub nicht gehen lassen."

Nächste Saison dürfte er aber kaum noch hier sein, sofern van Bommel, 31, wie erwartet verlängert. Van Gaal dürfte dem Landsmann eher die Chefrolle zutrauen, wenn im Frühjahr die großen Spiele anstehen. Timoschtschuk ist Hoeneß dankbar, dass er sich einsetzte, "der Präsident ist ein sehr verehrter Mann im Klub", der sich wohl wegen des Tabellenstandes gesorgt habe. "Und ich bin froh, dass ich beweisen konnte, dass ich ein guter Spieler bin." Doch seine Position im Kampf um die Sechser-Position sieht er realistisch. "Dass ich in einer schwierigen Situation bin, stimmt natürlich."

Er wird bald gehen, so hört sich das an. Timoschtschuk mag sich dann nicht durchgesetzt haben oder auch nur Spielball höherer Mächte gewesen sein. Aber seine stille Freude, seine Glückszahl 44 als Rückennummer und sein passables Deutsch nähme er mit. Den Zwillingen gehe es nun sehr gut, hat er erzählt. "Und das Leben besteht eben nicht nur aus einem weißen Streifen." Andreas Burkert

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